Lohnkluft zwischen Männern und Frauen Eine Frage der Prioritäten

Berlin · Die Zahl klingt gewaltig. Sie ist ein Fanal. 22 Prozent beträgt die Lohnkluft zwischen Männern und Frauen. Frauen verdienen also im Schnitt rund ein Fünftel weniger als Männer.

Lohnkluft zwischen Männern und Frauen: Eine Frage der Prioritäten
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Daran ändert sich seit Jahren so gut wie nichts. 2006 lag der Wert bei 23 Prozent. Eine riesengroße Ungerechtigkeit, sagt Manuela Schwesig (SPD), Frauen- und Familienministerin. Sie will noch in diesem Jahr ein Lohngleichheitsgesetz vorlegen und kann sich dabei vage auf den Koalitionsvertrag stützen.

Eine große Ungerechtigkeit? Diskriminierung von Frauen? Keine Frage, die Lohnkluft beträgt 22 Prozent, hat das Statistische Bundesamt für 2014 ausgerechnet. So kommt die Zahl zustande: Sie bildet die Differenz des durchschnittlichen Bruttostundenverdienstes der abhängig beschäftigten Frauen im Verhältnis zum Vergleichswert der abhängig beschäftigten Männer ab. Mehr aber auch nicht. In absoluten Zahlen? Mit 15,83 Euro verdiente eine Frau im vergangenen Jahr im Schnitt fast fünf Euro weniger als ein Mann.

So viel ist unstrittig, die Frage ist nur: Taugt die Zahl 22 Prozent als politischer Kampfbegriff, als Beleg gar für Diskriminierung? Immerhin begründet Schwesig mit ihr die Forderung nach einem Gesetz. Wer genauer hinschaut, wird feststellen, dass die Verdienstverhältnisse bei weitem nicht so skandalös sind. Die ominöse Zahl spiegelt einfach wider, dass Frauen häufiger in niedrigeren Lohngruppen tätig sind als Männer. Und dass sie in schlechter bezahlten Branchen unterwegs sind.

Bei näherer Betrachtung schnurrt die Zahl 22 Prozent schnell zusammen. Schwesigs eigenes Haus hatte 2006 beim Statistischen Bundesamt eine Studie in Auftrag gegeben. Dessen Experten dürften politischer Voreingenommenheit unverdächtig sein. Ihre These: Jobmerkmale machen den großen Unterschied zwischen den Geschlechtern aus. So ist der Frauenanteil in besonders schlecht bezahlten Branchen besonders hoch: Er betrug nach den neuesten Daten 85 Prozent bei Reinigungskräften, 73 Prozent bei Verkäufern. Auch in dienstleistungsorientierten Branchen wie dem Gastgewerbe sind mit 59 Prozent mehr Frauen vertreten als Männer, im Erziehungswesen liegt dieser Wert bei 65 Prozent, im ebenfalls schlechter bezahlten Gesundheitsbereich bei 77 Prozent.

Männer dagegen dominieren in Hochlohnbranchen wie etwa unter IT-Experten mit 82 Prozent oder in Industriejobs mit 75 Prozent. Hinzu kommt: Frauen sind seltener die Chefs, nur sieben Prozent besetzen Führungspositionen, bei Männern dagegen 13 Prozent. Frauen sind häufiger ungelernt (13 Prozent) als Männer (acht Prozent).

Wenn man die Lohnkluft-Statistik um diese Faktoren bereinigt, bleiben von den 22 Prozent acht Prozent Lohnunterschied übrig. Worüber die Ministerin schweigt. Es geht noch weiter: Bis heute wurde noch nicht untersucht, welchen Einfluss familienbedingte Auszeiten auf die Höhe der Löhne haben. Frauen bekommen Kinder, viele fangen nach einer Babypause zunächst in Teilzeit wieder an und fahren die Arbeitszeit später wieder hoch, wenn die Kinder selbstständiger sind. Oliver Stettes vom arbeitgebernahen Institut der Wirtschaft (IW) in Köln sagt: "Wenn die Jobpause von Frauen maximal 18 Monate dauert, reduziert sich der Gehaltsunterschied zu den Männern auf weniger als zwei Prozent."

Die Experten des Statistischen Bundesamtes sehen es ähnlich: "Familienbedingte Erwerbsunterbrechungen" seien wohl der wichtigste Aspekt bei der Frage nach sonstigen Gründen für die Lohnunterschiede. Zu Beginn des Erwerbslebens steigt nach ihren Daten mit zunehmendem Alter der Verdienst von Frauen und Männern in ähnlicher Weise an. Allerdings nur bis zum 30. Lebensjahr, wenn Frauen statistisch gesehen ihr erstes Kind bekommen. Bei Männern über 30 setze sich der Verdienstanstieg fort, bei Frauen über 30 stagniere er. Wenn Frauen die 30 überschritten, gehe der Teilzeitanteil um 13 Prozentpunkte nach oben. Geringere Anwesenheit am Arbeitsplatz bedeute auch schlechtere Chancen, im Betrieb aufzusteigen.

Weitere Faktoren sind plausibel, wurden aber selten wissenschaftlich untersucht: Womöglich verhalten sich Frauen in Gehaltsverhandlungen anders als Männer. Womöglich wechseln Männer eher ihren Arbeitgeber, um Karriere zu machen und Gehaltssprünge zu realisieren, während Frauen immer noch eher die Hinzuverdiener-Rolle haben und bei einem jobbedingten Ortswechsel ihrem Partner hinterherziehen - was sie bei Gehaltsverhandlungen in eine schwache Position manövriert.

Das Zwischenfazit muss also lauten: Ja, es gibt Unterschiede in der Bezahlung zwischen Männern und Frauen, die Lohnkluft wird auch nicht geringer. Nur: Mit Diskriminierung durch lohndrückerische Unternehmer hat das alles nichts zu tun.

Die Ungleichheit ist dennoch ein Ärgernis. Die Frage ist: Was kann man tun, um sie zu beseitigen? Politik und Wirtschaft sind seit geraumer Zeit sehr rege, um die zentralen Ursachen der Lohnungleichheit zu bekämpfen. Es gibt zahllose Programme, die Mädchen für naturwissenschaftliche Fächer und den Ingenieurberuf begeistern wollen. Langsam steigt der Anteil junger Frauen in den einschlägigen Leistungskursen und Studiengängen. Auf lange Frist dürfte das dazu führen, dass mehr Frauen in den besser bezahlten Branchen anheuern.

Andererseits muss es darum gehen, Müttern den Job-Alltag zu erleichtern: Heimarbeit ermöglichen, wenn ein Kind krank im Bett liegt, flexiblere Anfangszeiten, bessere Betreuung. Die Frage: Führt eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf tatsächlich dazu, dass mehr Frauen Karriere machen, Chefpositionen besetzen, höhere Löhne kassieren?

Studien zeigen, dass für viele Arbeitnehmerinnen Familie oberste Priorität hat. Sie verzichten lieber auf einen Karrieresprung, wenn der mit weniger Zeit für den Partner und die Kinder verbunden ist. Das IW hat herausgefunden, dass für Frauen Karriere nicht alles ist. Zumal wenn sie die 30 überschritten haben und die Familienplanung ansteht: Fast 43 Prozent der Frauen zwischen 31 und 40 gaben bei einer Befragung durch das Bundesinstitut für Berufsbildung an, dass sie ihre berufliche Karriere stark oder sehr stark verfolgten. Bei Männern in dieser Altersgruppe lag dieser Wert mit 58,1 Prozent deutlich höher.

In der Altersgruppe unter 30 waren die Karrierebewussten mit 66,7 Prozent bei den Frauen und mit 79,5 Prozent bei den Männern noch nicht so ungleich verteilt. Wenn die Kinder aus dem "Gröbsten" heraus und die Arbeitnehmer über 50 sind, verteilen sich die Karrierebewussten zwischen den Geschlechtern dann mit 20 Prozent bei den Frauen und 23,6 Prozent bei den Männern wieder einigermaßen gleich. Was nahelegt, dass vielen Frauen die Familie wichtiger ist als die Karriere.

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