NRW-Wahl 2012 Ein Tag im Wahlkampf der Sozialdemokraten in Bonn

BONN · Der vorletzte Samstag im April macht dem Monat alle Ehre, und den Wahlkämpfern Kummer. Warm, so viel steht um 8 Uhr fest, wird es jedenfalls nicht. Aber noch gibt es ab und zu einen Lichtblick: einen Hauch von Sonne.

 Die Spitzenkandidatin: Hannelore Kraft lugt durch den SPD-Wahlkampfstand

Die Spitzenkandidatin: Hannelore Kraft lugt durch den SPD-Wahlkampfstand

Foto: Barbara Frommann

9 Uhr Wer am Samstag um diese Zeit Wahlkämpfer auf den Straßen sucht, ist schnell fertig. Es gibt sie (fast) nicht. Bestenfalls holt der Bürger um diese Zeit Brötchen. Wahlkampf? Eine Wunschvorstellung. Nur an den Laternenmasten hängen sie: Felix neben Norbert, Benedikt über Joachim, Hannelore neben Renate. Sie alle wollen in den Landtag. Und wer dorthin will, braucht Helfer. Viele Helfer. Zum Beispiel für die Plakate. Der überraschende Wahltermin in diesem Mai hat hierfür negative Wirkung: Die ersten Wahlplakate, die zentralen, die Themenplakate, kommen bei der SPD Hardtberg am Freitag nach Ostern an. Nachtschicht ist angesagt, bis sie hängen. Dafür gibt es Pläne.

Erst fünf Tage später aber, am Mittwoch, kommen die Kandidatenplakate, also muss die Truppe diesmal noch einmal raus. "Ich glaub sowieso nicht an die Wirkung der Plakate", sagt Gabi Sauermann und "es wäre schön, wenn wir nicht so viele hängen müssten." Gabi Sauermann ist Sozialdemokratin. Seit 22 Jahren. Und Mutter. Die Jungs sind jetzt 19 und 17 Jahre alt. Also macht Gabi Sauermann, seit die beiden aus dem Gröbsten raus sind, Wahlkampf. Genau seit fünf Jahren.

Die Kandidaten entscheiden, wie viele Plakate sie bestellen. Renate Hendricks hat dieses Jahr 1.000 bestellt. Das geht noch. Bei der letzten Kampagne, der ordentlich geplanten und lang anhaltenden, hatte sie zusätzlich noch eigene Stadtteilplakate drucken lassen. Dafür ist diesmal keine Zeit. Das freut Genossin Gabi. Denn dann müssen sie nicht aufgehängt werden.

Lieber macht sie mit "Renate", was sie selbst für ihren Kommunalwahlkampf schon gemacht hat: Marmelade oder Gelee. Sie hat 300 Minigläser Quitte gekocht, Renate (drei Tage lang mit vielen Helfern) 700 mit Erdbeeren. Kandidatenwerbung drauf und fertig ist das persönliche Geschenk. Es kommt an.

10 Uhr Brüser Berg. Einkaufszone. Der Wahlkampf kann beginnen. Der Stand steht, er besteht aus einer Faltbox, die mehr als 200 Euro gekostet hat, sie geht überall hin mit, die Sonnenschirme auch. Weshalb gibt's in jedem Wahlkampf Sonnenschirme? Damit sich Helfer und Kandidaten drunter stellen können, wenn es einmal regnet. Es wird vielfach regnen an diesem Tag. Doch noch ist eitel Sonnenschein.

Die Konkurrenz ist auch schon da, die CDU. Man grüßt sich, kennt sich gut. Den Wettbewerb um den besten Zulauf gewinnt in der ersten Stunde die Sozialdemokratie, mehr Helfer, mehr Volk. Bei der CDU kommt Benedikt Hauser, der Kandidat, erst später, dann wird's auch dort lebendig. Die CDU verteilt grünrote Äpfel. Geht das? "Die SPD verteilt auch nicht nur rote Sachen", lautet die Antwort.

Es gibt, wie immer, Kulis: Stückpreis je nach Einkauf 15 bis 20 Cent, meist von Privatfirmen billiger als von der Partei. Es gibt Tempotaschentücher ("Nicht weinen, wählen"), rot verpackte Gummibärchen, rote Ballons, später am Markt auch Flaschenöffner ("Offen für Menschen SPD") und eben Marmelade. Und Info-Material. Was es nicht mehr gibt: Ostereier. Die gab's natürlich vor Ostern. "und sie sind endlich Bio", sagt Gabi Sauermann sehr stolz, zentral beschafft von zwei Unterbezirken, 10.000 Stück à 27 Cent, knallrot gefärbt, aber so, dass der Biostempel noch erkennbar war. Von einem Hof im Bergischen. Auch das ist Wahlkampffortschritt.

11 Uhr Der Tatort wird gewechselt, ein Teil der Truppe zieht runter zum Duisdorfer Markt. Die Linke ist schon da, die Grünen auch, sogar die Liberalen - mit zwei Schirmen, von denen allerdings der eine beim ersten Windstoß Reißaus nimmt. Der Schirm der Sozialdemokraten, kleiner, wirkt dagegen etwas verloren.

Dafür ist die Kandidatin in Hochform. Marmeladengläser in die Taschen, ab geht's durch die Geschäfte. "Die Give-aways, wie die Gratissachen in der Fachsprache heißen, sind der Türöffner", weiß Gabi Sauermann aus Erfahrung. Marmelade als Multiplikator. Je origineller, desto leichter der Kontakt. Und wer keine Kulis hat, ist schnell unten durch.

Lohnt sich der ganze Aufwand? "Man kann doch die CDU nicht allein lassen", sagt Genossin Gabis Mitstreiterin. "Wenn wir nicht da wären, würde man es merken." Leuchtet ein. Wenn alle es machen, muss es jeder tun. Das Volk bleibt an diesem Morgen in Duisdorfs City in der Unterzahl. Es ist schlicht und einfach ein Scheißwetter, die Genossen halten den Schirm fest, weshalb der sich trotzdem auf links dreht. Wer will da was von Wahlkampf hören? "Sturmerprobt seit 1863", witzelt ein Genosse. Ein Bürger kommt und droht: "Was machen Sie, wenn es für Rot-Grün nicht reicht? Eines sag' ich Ihnen: Machen Sie dann eine große Koalition, war es das letzte Mal, dass ich SPD gewählt habe." Nicht alle sind so direkt. Oder aber noch direkter.

13 Uhr Marktplatz Bonn. Ein Bürger nähert sich dem roten Stand der Sozialdemokratie. "Wenn Sie mir sagen, wo hier der nächste Briefkasten ist, bekommen Sie meine Stimme." Bernhard von Grünberg, der Kandidat, gegen den Norbert Röttgen antritt und den alle nur Felix nennen, ergänzt den Hinweis auf den Briefkasten mit der Überreichung einer roten Rose. Darf man das, wo doch alles in Bonn genehmigt sein muss? Man darf. Man darf Gratisblumen verteilen, sogar neben dem Blumenmarkt. Ohne Genehmigung. Aber keine Berliner oder sonst was unverpacktes Essbares oder Trinkbares. Da muss das Plazet der Kommune vorliegen. Wahlkampf ist eine weithin geregelte Sache.

Warum tut Gabi Sauermann, die 46-jährige Referatsleiterin in einer Kölner Behörde, sich das auch diesmal wieder an, zumal sie ihren Jahresurlaub dafür zu großen Teilen hergibt? "Parteiarbeit ist mein Hobby", sagt die zierliche Powerfrau. "Und wenn ich was mache, mache ich es richtig." Gabi Sauermann ist Überzeugungstäterin.

Ihre Oma war schon Sozialdemokratin, dann hat sie ihre Mutter überzeugt, ihren Bruder und selbst ihren Vater ("Das hat was länger gedauert"). Und sie sagt: "Ich find's wichtig, Farbe zu bekennen." Sozialdemokratin ist sie, weil sie dort "zumindest in großen Zügen alles richtig findet". Die größte Übereinstimmung. "Sagt auch der Wahl-o-mat", sagt Gabi Sauermann.

Und was findet sie nicht richtig? Sie ist kein Fan der Riester-Rente, kein Fan der Dutzenden von Gesundheitsreformen. Und Vorbilder für Politiker, wie sie sie mag, finden sich auch nicht so zahlreich. Hannelore Kraft, die ja. Zweimal hat sie bisher mit ihr gesprochen, einmal beim Landesparteirat, einmal beim Bundesparteitag. Zufällig, aber gut. "Hannelore macht Sozialdemokraten stolz", sagt sie und das ist jetzt nicht ihr persönlicher Werbeblock. Sie, die von Politikern "Verlässlichkeit, Ansprechbarkeit, Ehrlichkeit und Kontinuität" erwartet, lobt Hannelore Krafts Augenmaß, ihre Ruhe, ihre Glaubwürdigkeit.

Der Regen fegt den Marktplatz leer, Gabi Sauermann muss zum Glück zum nächsten Termin.

15 Uhr Im Brüser Dorf bei der Jugendfarm wollen die Kids einen Baum pflanzen. Saisoneröffnung gewissermaßen. Man will sich, muss sich sehen lassen, aber Wahlkampf ist das eigentlich nicht. Jedenfalls nicht direkt. "Präsenz zeigen - das allein ist schon wichtig." Also hin. Gegessen wird im Auto. Wie misst man Erfolg im Wahlkampf? Jedenfalls nicht daran, das ist Gabi Sauermann klar, dass man am Abend eines Tages sagen kann: Fünf Stimmen hab ich gewinnen können. Aber, sagt ein Genosse, "wenn einer meint: Da ist was dran, dann ist das schon viel".

Der Erfolg liegt in der Steigerung der Motivation, wählen zu gehen. "Unser größter Feind ist der Nichtwähler", sagt Gabi Sauermann. Und den Kandidaten persönlich kennengelernt zu haben, am Stand oder auch wenn er an der Haustür klingelt, das hilft dabei enorm. Sagt auch Renate Hendricks.

16.30 Uhr Schmitthalle Duisdorf. Die Bangladeshi feiern ihr Neujahrsfest. Felix und Gabi feiern mit. Es geht natürlich um Integration und um Beachtung. Und eben um den persönlichen Kontakt und um die Öffnung der Partei. Die Hardtberger Sozialdemokratin ist für offene Mitgliederversammlung, für Urwahl, für Transparenz, kurz für alles, was die Partei näher an die Bürger bringt. Angesichts der Parteienverdrossenheit eine Daueraufgabe. Weshalb Wahlkämpferin Gabi eigentlich auch kein Wahlkampffan ist. "Die Politiker müssten immer da sein, Wahlkampf mache ich immer, nicht nur vor dem Wahltag."

19.30 Uhr Auf dem Weg zum Fest der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen (AfA), die in der Stadt tagt, dreht sich die Debatte um den jüngsten Plakatcoup der Sozialdemokratie. Man hat die Bürger im Netz beteiligt. Hat sie zu eigenen Entwürfen ermuntert. Herausgekommen ist mit weitem Vorsprung ein Bild, ein Spruch: "Currywurst ist SPD". Das ist nicht nach jedermanns Geschmack. Auch nicht nach Gabis. Denn die Konkurrenz zieht sie, wenn man so sagen kann, dafür durch den Kakao. Auch wenn Kandidat Felix sich bemüht, dem Plakat etwas abzugewinnen. Currywurst, sagt er, sei das einzige deutsche Produkt, das jenseits der Grenzen bekannt ist (wie die SPD, will er damit sagen). Er vergisst nicht, die rote Soße zu erwähnen und den Multikulti-Curry. Aber etwas gequält wirkt diese Unterstützung doch. Weshalb die Wurst in Bonn nur selten zu sehen sein wird. Was Gabi Sauermann freut.

21 Uhr Die jungen Menschen auf Poppelsdorfs "Meile" freut jetzt etwas anderes. Gabi Sauermann und die Jusos ziehen mit kleinen "jelly shots" von Kneipe zu Kneipe: Wackelpudding, natürlich rot, mit 'nem ordentlichen Schuss Wodka drin. Die Sonne, wenn sie denn öfter geschienen hätte, scheint längst nicht mehr. Stunden später sinkt Gabi Sauermann "total platt" ins Bett. Der ganz normale Wahnsinn eines Großkampftages hat ein Ende.

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