Interview mit BfArM-Chef Karl Broich "Die Patienten müssen uns vertrauen"

Bonn · Dass immer mehr Pharmahersteller die für die Zulassung eines Medikamentes notwendigen Studien im Ausland anfertigen lassen, bereitet Karl Broich Sorge. Er ist Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Über Herausforderungen bei Zulassungsverfahren sprach mit ihm sprach Claudia Mahnke.

Viele Tabletten gleichzeitig nehmen ältere Menschen. Wechselwirkungen sollen besser erforscht werden.

Viele Tabletten gleichzeitig nehmen ältere Menschen. Wechselwirkungen sollen besser erforscht werden.

Foto: dpa

Warum gibt es für Kinder und Jugendliche immer noch wenig spezielleArzneimittel?
Karl Broich: 60 bis 70 Prozent der Arzneimittel, die heute beiKindern eingesetzt werden, sind noch nicht bei ihnen untersucht. Man überträgtdie Daten nach dem Motto: Kinder sind kleine Erwachsene. Das stimmt aber nicht.Es gibt sogar Medikamente, die müssen von Kindern am Anfang in höherer Dosisgenommen werden. Und es mangelt an kindergerechten Darreichungsformen. Erst fürArzneimittel, die jetzt neu auf den Markt kommen, ist es verpflichtend, dassauch für Kinder Studien erstellt werden.

Was muss getan werden?
Broich: Es gibt bereits spannende Neuerungen wieStrohhalme, die von innen mit einem Medikament beschichtet sind. Aber dieAnreize für Pharmahersteller, solche Dinge zu entwickeln, sind zu gering. Wirwollen die Öffentlichkeit sensibilisieren, dass mehr getan werden muss. Aucharbeiten wir mit Kinderärzten und Arzneimittelherstellern zusammen, um zusehen, wo der größte Bedarf für Neuerungen ist. Auf der europäischen Ebene gibtes seit acht Jahren Vereinfachungen für patentfreie Arzneimittel, die bereits aufdem Markt sind. Bislang werden diese Möglichkeiten von den Pharmaherstellernaber kaum genutzt. Es sind erst zwei solcher PUMA-Zulassungen erfolgreichbeantragt worden. Es gibt beispielsweise einen Betablocker, der ursprünglichgegen Bluthochdruck entwickelt wurde. Er kommt jetzt auch Kindern mit einerlebensbedrohlichen Gefäßmissbildung zugute.

Woran liegt das?
Broich: Die Preise, die die Hersteller nehmen können, sindrelativ niedrig, weil die Mittel schon auf dem Markt sind und Patentfristenabgelaufen sind. Außerdem gilt der Markt für Kindermedikamente alsverhältnismäßig klein. Wenn weniger Wirkstoff genommen wird, muss nach denGesetzen der Preis auch niedriger sein. Da sagen die Hersteller natürlich, eineEntwicklung würde sich nicht rechnen.

[kein Linktext vorhanden]Wie ermutigen Sie die Hersteller, trotzdem weiterzumachen?
Broich: Wir beraten die Hersteller, kümmern uns um zügigeZulassungsverfahren und erlassen auch Gebühren. Der deutsche Arzneimittelmarktist der größte in Europa. Da sehen wir uns als Zulassungsbehörde in derPflicht, etwas zu tun. Neben Kindern und Jugendlichen wollen wir uns umMedikamente für ältere Menschen kümmern. Das ist auch noch zu wenig erforscht.

"Mehr als die Hälfte sind Medikamente gegen Krebs"

Geht es um Wechselwirkungen?
Broich: Auch das wird in den Zulassungsverfahrenunzureichend geprüft. Als Arzt brauche ich Daten, wie sich die Medikamentemiteinander vertragen. Es gibt bislang immer nur Schätzungen. Jetzt haben wirein konkretes Forschungsprojekt und untersuchen an drei Notfallambulanzenzusammen mit der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft, welcheUrsachen die Patientenaufnahmen haben, um Wechselwirkungen von Medikamenten zuidentifizieren.

Auch bei seltenen Erkrankungen gibt es wenig Anreize fürPharmahersteller, Medikamente zu entwickeln, weil der Markt zu klein ist. DieMedizin spricht von einer seltenen Erkrankung, wenn nicht mehr als fünf von10.000 Menschen darunter leiden. Springen die Hersteller auf neue Möglichkeitenwie Steuerersparnisse, Gebührensenkungen, beschleunigte Zulassungsverfahren undexklusive Vermarktungsrechte für zehn Jahre in der EU an?
Broich: Es gab ja anfangs sogar die Befürchtung, dassPharmafirmen diese Anreize über Gebühr ausnutzen und eine Zulassung für ihreMedikamente speziell erst einmal für seltene Erkrankungen beantragen, obwohlsie einen breiteren Anwendungsgrad haben. Das stellt sich aber aus unsererSicht nicht so dar. Es funktioniert im richtigen Ausmaß. Die pharmazeutischeIndustrie bekommt mit der Zulassung einen Zusatznutzen direkt attestiert. DieZulassungsgebühren sind auch niedriger. Die Studienverfahren kann man beiseltenen Erkrankungen gar nicht so umfangreich gestalten wie beiVolkskrankheiten. Das erfordert dann auch viel Fingerspitzengefühl bei uns.

"Der deutsche Markt ist für die Hersteller sehr wichtig"

Es gibt viele moderne Arzneimittel, die sehr teuer sind, wiebeispielsweise ein neues Präparat für Hepatitis C mit fünfstelligenBehandlungskosten. Dementsprechend steigen die Arzneimittelausgaben dergesetzlichen Krankenkassen stark an. Muss das so sein?
Broich: Das neue Hepatitis-C-Arzneimittel ist eine echteSprunginnovation. Wir haben als Zulassungsbehörde gesagt, es ist wie eineHeilung. Diese Entscheidung hat für große Diskussionen gesorgt, weil es hieß,man müsse erst Langzeitstudien machen. Aber das wäre ethisch nicht zuvertreten. Das wäre wie beim Test eines Fallschirms: Einer springt mit ab, einanderer ohne.

Deutschland als Apotheke der Welt - das war einmal, sagen Experten.Originalhersteller würden ihre neuen Präparate gar nicht erst in Deutschlandauf den Markt bringen, wenn ihnen der Preis nicht passt. Stimmt das?
Broich: Der deutsche Markt ist für dieArzneimittelhersteller sehr wichtig. Durch die Preisverhandlungen zwischenKrankenkassen und Herstellern wird Deutschland aber nicht vom Fortschrittabgekoppelt. Natürlich ist der Markt global geworden.

Wie hoch sind die Kosten für die Entwicklung eines Arzneimittels?
Broich: Bei wichtigen Arzneimitteln hört man, dass esanderthalb bis zwei Milliarden Euro kostet. Man darf ja nicht vergessen, dassein Wirkstoff, der auf den Markt kommt, viele andere Stoffe hinter sich gelassenhat, viele Fehlschläge waren zu verbuchen. Damit sind natürlich hoheEntwicklungskosten verbunden.

Wie unterscheiden sich Zulassungsverfahren in Deutschland, Europa undden USA?
Broich: Natürlich sind die Zulassungsverfahren weltweitzum Teil harmonisiert. Aber in Deutschland haben wir strengere Anforderungenals in den USA. Dort reicht es, wenn ein Arzneimittel gegen einScheinmedikament getestet wird, um Sicherheit und Wirksamkeit zu belegen. Wirfordern auch Tests im Vergleich mit anderen Präparaten, die alsTherapiestandard gelten.

[kein Linktext vorhanden]Warum braucht man nationale Zulassungsbehörden für Arzneimittel, wenneuropaweit schon vieles harmonisiert ist?
Broich: Die nationalen Behörden in Europa sind einNetzwerk. Die europäische Zulassungsbehörde dient quasi als Sekretariat. Diewissenschaftliche Bewertung wird von den nationalen Behörden gemacht. Das BfArMist z.B. bei Onkologie, Stoffwechselerkrankungen und Erkrankungen des zentralenNervensystems oft federführend in Europa. In Deutschland sind patentfreie Arzneimittel,also Generika, wichtiger als in anderen Ländern. Wenn ein Patentschutz abläuft,kommen viele Anträge auf Zulassung von Generika gleichzeitig. Da ist nur einegroße Behörde wie das BfArM in der Lage, diese Fülle abzuarbeiten.

Wo liegt der Schwerpunkt der Neuzulassungen?
Broich: Mehr als die Hälfte sind Krebsmedikamente. Derneue Trend sind individualisierte Arzneimittel. Dazu machen wir auch eigeneForschung.

Ende vergangenen Jahres gab es die Entscheidung ihres Hauses, dass 80Generika nicht weiterverkauft werden dürfen, weil die in Indien von der FirmaGVK Biosciences durchgeführten Studien mangelhaft waren. Wie viele Präparatekonnten schon wieder auf den Markt zurück?
Broich: Einige sind noch am Markt, weil die Herstellergegen unsere Entscheidung Rechtsmittel eingelegt haben. Die endgültigeEntscheidung wird von der Europäischen Kommission getroffen. Aus unserer Sichtgab es zu unserer Entscheidung keine Alternative, als die Präparate vom Marktzu nehmen, weil wir keinen Nachweis hatten, dass sie sicher sind.

Es gab damals Kritik, das BfArM sei über das Ziel hinaus geschossen,weil die Präparate eigentlich sicher seien. Können Sie die Kritiknachvollziehen?
Broich: Die Patienten müssen uns vertrauen. Wenn es zuUnsicherheiten kommt, ist das ganz schlecht, weil die Patienten dannMedikamente oft nicht nehmen. Grundsätzlich bereitet es uns Sorge, dass immermehr Studien ins Ausland abwandern. Die Konsequenz aus dem Skandal ist, dasswir jetzt noch öfter kontrollieren und noch mehr Inspektoren ins Auslandentsenden. Aber das System funktioniert grundsätzlich. Der Skandal ist auchdurch französische Inspektoren aufgedeckt worden.

Stichwort Medizinprodukte: Hat man aus dem Skandal um Brust-Implantategenug gelernt?
Broich: Hinter dem Implantate-Skandal steckte kriminelleEnergie. So etwas lässt sich nie verhindern. Wir haben insofern Konsequenzengezogen, dass Kontrollen durch die Zertifizierungsstellen häufiger unangemeldetstattfinden. Wir müssen abwarten, inwieweit neue EU-Regeln, die gerade beratenwerden, Verbesserungen bringen. Es gibt gute Gründe, die Kontrollen fürHochrisiko-Produkte wie Hüftgelenke zu verstärken. Ich wünsche mir auch mehrHandhabe bei diesen Produkten, um Patienten zu informieren. Derzeit läuft dieVeröffentlichung über die Landesbehörden. Das ist manchmal zu umständlich.Andererseits gibt es gerade bei Medizinprodukten viele deutsche Mittelständler,die Weltmarktführer sind und hohe Standards setzen.

In den USA könnte schon bald das erste "Viagra für Frauen" aufden Markt kommen. Ein Expertengremium der US-Arzneimittelbehörde hat sich fürdie Zulassung des Medikaments Flibanserin ausgesprochen. Könnte das bald auchin Europa ein Thema werden?
Broich: Ich bin mir sicher, dass wir auch in Europa inKürze Zulassungsanträge auf dem Tisch haben werden.

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