Artikel vom 17.08.1988 Die Gladbecker Bankräuber fuhren im Schrittempo in die Nacht

Gladbeck · 'Ist da die Deutsche Bank?', lautete die Frage. 'Ja', antwortete eine weibliche Stimme. 'Sind sie eine der Geiseln?', bohrte der Frager weiter. Mit etwas leiser Stimme erneut ein 'Ja'.

So einfach, wie gestern in Gladbeck, ist es selten, ein Opfer, dann aber auch Täter eines noch laufenden Verbrechens am Telefon zu sprechen. Offenbar suchten die Geiselnehmer in der Bank den Kontakt zur Presse. Sie nutzten die Möglichkeit, um ihre Entschlossenheit zu verdeutlichen.

Für die beiden Geiseln, die 24jährige Kundenberaterin Andrea Blecker und den 34jährigen Bankangestellten Reinhold Alles, war die Lage 'brenzlig', wie Alles es beschrieb. Mit zunehmender Dauer der Geiselnahme in der Filiale der Deutschen Bank würden die beiden Täter immer nervöser.

Eine Stunde später sagte Alles: 'Ich habe Todesangst.' 'Mir geht es gar nicht gut', klagte Alles und berichtete, daß sich Täter und Opfer inzwischen in die Kassenbox der Bank zurückgezogen hätten. Er erzählte von Schüssen in die Wand, die die Täter abgegeben hätten.

Über die Geisel Alles ließen die Gngster ausrichten, sie schössen gezielt und gegenüber Journalisten fluchten sie schon einmal, sie hätten 'das Schwein' - einen Polizisten - verfehlt. Sie waren offenkundig hartgesotten.

'Der Tod ist mir egal', so umschrieb einer von ihnen im direkten Gespräch seine Einstellung. Das sei so etwas Unabänderliches wie die Geburt. 'Haben Sie Angst', fragte der Interviewer. 'Nein, warum?', lautete die Antwort. 'Wenn ich Geld sehe, bin ich weg'.

Die beiden Geiseln hatten offenbar in den ersten Stunden gewisse Spielräume. So konnte Alles nach seiner Geiselnahme seinen Vater von dem Unglück informieren. 'Wir sind überfallen worden', habe er ihm per Telefon mitgeteilt.

Doch die anfänglichen Freiheiten trogen. Am Nachmittag sah die Lage anders aus. 'Ich habe keine Garantie, daß ich hier wieder lebend herauskomme', klagte der Bankangestellte, dessen Frau ein Kind erwartet.

Frau Blecker getraute sich am Telefon nicht, allzu viel zur Lage in der Bank zu erzählen, sie dürfe das nicht, teilte sie kurz mit. Allerdings machte auch sie einen relativ gefaßten Eindruck.

Für die beiden Männer schien es jedenfalls nur zwei Möglichkeiten zu geben: Entweder die Polizei stellt Geld und das Fahrzeug, oder Geiseln und Täter sterben zusammen. 'Wie wollen die denn da rauskommen, das ist doch eine Mausefalle' - Viele unter den Hunderten von Schaulustigen, die den Verlauf des Geiseldramas aus sicherer Entfernung mitverfolgten, vertrieben sich die Wartezeit mit Fachsimpeleien.

Die Bank liegt im Innenhof eines Geschäftszentrums mitten in einer Hochhaussiedlung. Die Menschen, die sich zur Zeit des Überfalls in den über der Bank gelegenen Wohnungen aufhielten,
waren von der Polizei über Leitern evakuiert worden.

Zeugen hatten gegen 7.40 Uhr die Ankunft des Gangsterduos beobachtet, das ein - wie sich später herausstellte - gestohlenes Motorrad hinter der Bank abstellte. Ein Arzt hatte gesehen, wie die beiden schwarz maskierten und gekleideten Männer zwei Angestellte, die zur Arbeit kamen, in den Eingang hineingedrängt hatten. Er benachrichtigte die Polizei.

Die Geiselnahme dauerte den ganzen Tag an. Die Schaulustigen hielten aus, bis die Gangster um 21.45 Uhr in einem weißen Audi 100 mit den Geiseln den Tatort verließen. Den geforderten BMW hatten sie nicht bekommen. Dafür aber hatten sie 300 000 Mark in bar und den Schlüssel zu den Tresoren erhalten. 120 000 Mark fielen ihnen mit Sicherheit in die Hände. Wieviel sie aus dem Nachttresor entnahmen, war gestern Abend noch unbekannt.

Der Räuber, der das Auto steuerte, hatte sich vor der Abfahrt in aller Seelenruhe eine Zigarette angesteckt. Dann fuhr er im Schritttempo gemächlich in die Nacht.

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