Arbeitszeit in Deutschland Die Arbeit der Zukunft

Berlin · Mit einem neuen Gesetz will Arbeitsministerin Andrea Nahles Beschäftigten mehr Freiheit für die Gestaltung ihrer Arbeitszeit geben. Vorschläge für die Berufswelt von morgen gibt es einige.

 Berufswelt von morgen: Andrea Nahles besucht eine Ausstellung zur Arbeitswelt 4.0.

Berufswelt von morgen: Andrea Nahles besucht eine Ausstellung zur Arbeitswelt 4.0.

Foto: dpa

„Mobilarbeit“ heißt eine der neuen Tätigkeitsformen. Eine Ingenieurin bei BMW, alleinerziehende Mutter, kann beispielsweise nachmittags um 14 Uhr ihren Sohn aus der Kita abholen. Abends ab 20 Uhr, wenn er schläft, klappt sie noch mal ihren Laptop auf und arbeitet zwei Stunden auf dem Sofa. Dafür, dass das offiziell möglich ist, sorgt bei dem Autobauer eine Betriebsvereinbarung. Die häusliche Abendschicht wird dabei als regulär bezahlte Arbeitszeit registriert.Solche Ideen, Projekte und Modelle stehen im Weißbuch Arbeiten 4.0, das Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) am Dienstag vorlegte.

Das Werk bildet den vorläufigen Abschluss eines zweijährigen Forschungs- und Diskussionsprozesses mit Bürgern, Wissenschaftlern, Firmen und Gewerkschaften. Nahles liefert damit das Gegenstück zur Strategie Industrie 4.0 von Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel. Geht es darin vornehmlich um den technischen Fortschritt, so interessiert Nahles eher, wie sich die Arbeitswelt in den kommenden Jahrzehnten verändern wird und muss. Einige grundsätzliche Entwicklungen spielen dabei eine Rolle. Internet und Roboter verändern viele Arbeitsplätze massiv, machen sie teilweise auch überflüssig. Die Unternehmen verlangen neue Qualifikationen von ihren Beschäftigten. Diese wiederum formulieren moderne Ansprüche: Viele wollen selbstverantwortlich arbeiten und flexibler Zeit für die Familie haben. Und es wird die Frage gestellt, ob das Sozialsystem später noch in der Lage ist, ausreichende Stabilität zu gewährleisten. Arbeitsministerin Nahles sagte sinngemäß: „Wir müssen Flexibilität und Sicherheit in eine neue Balance bringen.“

Um die Veränderungen zu begleiten, machte sie einige Vorschläge. So will sie ein Wahlarbeitszeitgesetz erarbeiten. Dieses soll Tarifverträge ermöglichen, die die Ansprüche der Arbeitnehmer für flexible Arbeitszeiten besser berücksichtigen. Modelle wie das bei BMW könnten dann Schule machen. Es müssten neue Regeln für die tägliche Maximalarbeitszeit, Ruhepausen, Phasen der Nichterreichbarkeit und der Bezahlung gefunden werden. Nahles stellt sich vor, zunächst einen regulierten „Experimentier- und Lernraum“ unter wissenschaftlicher Begleitung zu eröffnen und nach zwei Jahren eine Bilanz des Testlaufs zu ziehen. Schon fertig hat die Ministerin einen Gesetzentwurf für die Rückkehr aus Teilzeit. Dieser legt fest, wie Arbeitnehmer nach Teilzeitphasen wieder auf Vollzeitstellen zurückkehren können.

Außerdem treibt Nahles die Umgestaltung der Arbeitslosenversicherung zu einer Arbeitsversicherung voran. Jeder sozialversicherungspflichtig Beschäftigte würde dann parallel zur Berufstätigkeit professionell beraten, wie er seine Qualifikationen auf der Höhe der Zeit hält. Man könnte ein Recht auf Weiterbildung etablieren.

Am Ball bleiben

Dies ist eine Antwort auf die schnelle Einführung digitaler und automatisierter Verfahren in Industrie und Dienstleistungen. Wenn die heutigen Beschäftigten ihre Jobs nicht verlieren wollen, müssen sie ständig am Ball bleiben. Der Druck in dieser Richtung dürfte noch steigen. Beim Vorschlag der Arbeitsversicherung handelt es sich um ein eher langfristiges Vorhaben, das die Regierung vielleicht in der kommenden Legislaturperiode angeht.

Eine ähnliche Anregung aus dem Ministerium lautet: Erwerbstätigenkonto. Jeder Bundesbürger hätte dann das Recht, im Laufe seines Ausbildungs- und Berufslebens vom Staat beispielsweise 30 000 Euro zu erhalten – etwa für die Finanzierung einer zweiten Ausbildung, wenn man mit der ursprünglich erlernten Tätigkeit seinen Lebensunterhalt nicht mehr finanzieren kann. Auch Weiterbildungen ließen sich davon bezahlen.

Nahles nannte diesen Vorschlag ausdrücklich im Gegensatz zur Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens, das sie ablehnt. Dieses spielt in der aktuellen Debatte über die Folgen der Digitalisierung wieder eine gewisse Rolle. Auch einige Manager sprechen sich inzwischen dafür aus. Nach dem Motto: Wovon sollen die Leute leben, wenn die Computer sie massenhaft arbeitslos machen?

Viele Sozialdemokraten und Gewerkschafter halten allerdings gar nichts davon, jedem Bundesbürger beispielsweise 1000 Euro pro Monat zu überweisen, ohne dass er dafür eine Leistung erbringen muss.

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