Sozialleistungen Deutschland muss Einzelfälle prüfen

BRÜSSEL · Deutschland darf sich gegen den Missbrauch von Sozialhilfe durch EU-Ausländer wehren. Kann die Bundesrepublik also weitermachen wie bisher? Fragen und Antworten zum Urteil aus Luxemburg:

Welchen Anspruch auf Sozialleistungen haben Zuwanderer denn nun?
Das höchste Gericht der EU bekräftigt die ohnehin bestehenden Leitlinien über das Recht, sich frei zwischen den Mitgliedstaaten zu bewegen. Sie sehen vor, dass innerhalb der ersten drei Monate nach einer Einreise kein Anspruch auf Sozialleistungen besteht. In der Zeit nach dem dritten Monat bis zu fünf Jahren gibt es einen Anspruch, vorausgesetzt die betreffende Person verfügt - wie es offiziell heißt - "über ausreichende eigene Existenzmittel". Also einen Job. Dies entspricht der Regelung, die für alle EU-Mitgliedstaaten gilt.

Die deutsche Regelung kann also unverändert fortgeführt werden?
Nein. Sie muss in einem wichtigen Punkt nachgebessert werden. Deutschland geht mit seiner derzeitigen Praxis nämlich über die EU-Freizügigkeitsrichtlinie hinaus, indem pauschal alle EU-Ausländer vom Bezug der Sozialleistungen ausgeschlossen werden. Dies widerspricht den europäischen Gesetzen, denn die schreiben eine Einzelfallprüfung vor. Auch der EuGH bekräftigt diese Sicht und gibt damit denjenigen Recht, die wie die Europäische Kommission von der Bundesrepublik bereits Änderungen verlangt hatten. Genau genommen muss künftig jeder Fall einzeln entschieden werden.

Haben deshalb schon in der Vergangenheit deutsche Gerichte EU-Ausländern Hartz IV zugesprochen?
Ja. Mehrfach haben die Sozialgerichte diverser Bundesländer Sozialleistungen in einzelnen Fällen zugesprochen, weil sie auf die individuellen Umstände des Klägers eingegangen sind. Es geht also nicht darum, durch die Hintertüre ein Recht auf Sozialleistungen wieder einzuführen, sondern lediglich die Besonderheiten jedes einzelnen Falles zu berücksichtigen.

Wie ist denn die Lage in Deutschland eigentlich? Anfang des Jahres hatte es ja viele Klagen über massenhaft einreisende Bulgaren und Rumänen gegeben.
Nach der Öffnung der EU-Binnengrenze zu Rumänien und Bulgarien sind in diesem Jahr rund 100 000 Menschen aus den beiden Ländern nach Deutschland eingereist. Die Arbeitslosigkeit bei dieser Gruppe liegt bei derzeit 9,2 Prozent - im Januar betrug sie noch 11,4 Prozent. Allerdings stieg auch die Zahl der Hartz-IV-Anträge deutlich.

Wie will Deutschland gegen Sozialmissbrauch vorgehen?
Im August hat die Koalition Änderungen an der Freizügigkeitsrichtlinie vorgestellt und Anfang November im Bundestag beschlossen. Demnach kann, wer Sozialleistungen missbraucht, ausgewiesen werden und mit einer fünfjährigen Sperre der Wiedereinreise belegt werden. Gegen den mehrfachen Bezug von Kindergeld wurden ebenfalls Regelungen erlassen. So sind Zahlungen künftig an die Steuer-Identifikationsnummer gebunden.

Wie kann sich der Staat wehren, wenn jemand trotzdem einreist und keine Arbeit hat?
In diesem Fall kann ein Mitgliedstaat auch einen EU-Bürger ausweisen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Lauterbachs Gesetz führt zu Chaos
Kommentar zu den Folgen der Cannabis-Legalisierung Lauterbachs Gesetz führt zu Chaos
Aus dem Ressort