Finanzminister Schäuble im Porträt Der Unvollendete

BERLIN · Bundespräsident? Für dieses Amt war Wolfgang Schäuble 2010 nach dem überraschenden Rücktritt von Horst Köhler schon einmal gehandelt worden. Ohne Erfolg. Jetzt findet sich der Name des Bundesfinanzministers erneut unter den möglichen Kandidaten, die für die Wahl im nächsten Jahr als Nachfolger von Joachim Gauck gehandelt werden.

„Isch over“ als Bundesminister der Finanzen?, wollte man da in Anspielung auf Schäubles launiges Ultimatum im Schuldenstreit mit Griechenland beinahe fragen. Ewiger Finanzminister oder doch nächster Bundespräsident? Schäuble hat in einem sehr langen und auch von Niederlagen und persönlichen Schicksalsschlägen geprägten politischen Leben gelernt, dass eine politische Karriere vor allem eines ist: nicht planbar. Doch auch mit 73 Jahren scheint Schäuble noch lang nicht an einen Ausstieg aus dem politischen Tagesgeschäft zu denken.

Zwischen G7-, G20- oder EU-Treffen der Finanzminister, Nachtdebatten über Nothilfen für den chronischen Euro-Patienten Griechenland in Brüssel und Athen oder Gedanken über einen möglichen EU-Austritt von Großbritannien ist Schäuble auch immer Parteipolitiker geblieben. In der Dauerfehde mit der Schwesterpartei CSU über den richtigen Kurs in der Flüchtlingspolitik stellte Schäuble unlängst klar, dass es keine Angriffe aus der CDU in Richtung CSU gegeben habe. „Die Formulierung ,Streit zwischen Seehofer und Merkel' muss ich zurückweisen. Es sind Attacken gegen Merkel.“

Jetzt hat der Bundesfinanzminister in der Debatte über Zuwanderung wieder ein Ausrufezeichen gesetzt und sich damit deutlich an die Seite Merkels gestellt. In einem Gespräch mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ warnt Schäuble die Europäer davor, sich einzuigeln, und sagt dabei einen bemerkenswerten Satz: „Die Abschottung ist doch das, was uns kaputtmachen würde, was uns in Inzucht degenerieren ließe.“ Mehr noch: „Für uns sind Muslime in Deutschland eine Bereicherung unserer Offenheit und unserer Vielfalt.“ Dass der Islam zu Deutschland gehöre, hatten zuvor auch schon die Bundespräsidenten Christian Wulff und Joachim Gauck wie auch Bundeskanzlerin Merkel klargestellt.

Die Rechtspopulisten der Alternative für Deutschland sind bei derlei Äußerungen Schäubles sofort zur Stelle. Ausgerechnet AfD-Vize Alexander Gauland, der Nationalspieler Jérôme Boateng nicht als Nachbar haben möchte, verlangt, Schäuble möge sich „für diese beleidigende Äußerung umgehend entschuldigen“. Schäuble macht sich da lieber Gedanken über die Folgen eines Brexits. Die Briten stimmen in zwei Wochen in einem Referendum darüber ab, ob sie Mitglied der Europäischen Union bleiben wollen. Ein Brexit sei eine Entscheidung gegen den Binnenmarkt. Schäuble: „In is in. Out is out.“ Und dann „isch over“.

Das höchste Staatsamt am Ende einer langen Karriere? Der Unvollendete hätte dann vollendet. Neun Jahre war Schäuble von 1991 bis 2000 CDU/CSU-Fraktionschef. 1998 rückte er in die Rolle des „Kronprinzen“ von Bundeskanzler Helmut Kohl auf, wurde aber in der CDU-Spendenaffäre mit in den Strudel gerissen. 2000 trat er als Partei- und Fraktionschef zurück. 2005 feierte er mit seiner Berufung zum Bundesinnenminister eine Rückkehr in die erste Reihe der Politik. Ein Amt, das der Badener zwischen 1989 und 1991 schon einmal innehatte und dabei wesentlich die Staatsverträge zur deutschen Wiedervereinigung aushandelte. Seit einem Attentat im Oktober 1990 ist Schäuble querschnittsgelähmt und sitzt im Rollstuhl.

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