Michael Müller Der personifizierte Gegenentwurf

BERLIN · Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller steht vor der Aufgabe, Gefolgschaft in eigener Partei herzustellen.

 Kulturwechsel: Michael Müller ist anders als Vorgänger Wowereit kein Muntermacher. Gut so, denken viele in Berlin.

Kulturwechsel: Michael Müller ist anders als Vorgänger Wowereit kein Muntermacher. Gut so, denken viele in Berlin.

Foto: dpa

Von unserem Korrespondenten

Norbert Wallet

Vielleicht war es am Ende keine Überraschung mehr, dass die Berliner SPD-Basis Michael Müller zum designierten Nachfolger von Klaus Wowereit gemacht hat. Aber die Vehemenz des Abstimmungserfolges überrascht doch. Fast zwei Drittel der Stimmen entfielen - bei zwei profilierten Gegenkandidaten - auf Müller. Das klare Votum sieht man auch an der Spitze der Bundespartei gern. "Wenn die Berliner SPD diesen Schwung aufnimmt und sich jetzt geschlossen hinter Michael Müller stellt, kann das ein hervorragender Start für Michael Müller werden", sagt Ralf Stegner, der stellvertretende Parteichef im Gespräch mit unserer Zeitung.

Aber irgendwie hört man da auch leise, leise eine gewisse Befürchtung mitschwingen. Im Rücken des alles überstrahlenden Klaus Wowereit hatte sich die Landespartei in zahllose Eifersüchteleien und Ränkespielen verstrickt. Die Drei, die nun für die Nachfolge antraten, waren immer mit dabei. Als Brandverstärker hatte sich dabei immer die Tatsache erwiesen, dass der gleichermaßen erfolgreiche und populäre Finanzsenator der Stadt, Ulrich Nussbaum, kein Parteibuch besaß und überhaupt ein ausgesprochen unabhängiger Kopf war. Einflussnahme auf die für die weitere Stadtentwicklung zentrale Finanzpolitik musste also immer indirekt ausgeübt werden: Das bedurfte das Knüpfen von Seilschaften, des Herstellens von Allianzen und das taktische Manövrieren in unübersichtlichem Gelände. Nussbaum hatte Wowereits Rückendeckung. Nun ist er weg. Wowereit. Nussbaum auch. Er hatte seinen Rückzug einen Tag vor der Verkündung des Mitgliederentscheids bekannt gegeben. Die nicht ausgesprochene Botschaft ist klar: Wer immer gewinnt - ich habe kein Vertrauen zu ihm.

Das zeigt schon die Aufgabe, die vor Müller liegt. Er muss nicht nur den Senat führen. Das ist dem Stadtentwicklungssenator zuzutrauen. Er kennt die Berliner Politik in allen Facetten, wie man große Häuser führt und kommt mit dem Koalitionspartner ganz gut zurecht. Nein, die eigentliche Herausforderung ist das Herstellen von Gefolgschaft in der eigenen Partei. Dabei muss er sich vor allem mit Jan Stöß arrangieren, der beim Mitgliederentscheid nur auf für ihn überaus enttäuschende 20 Prozent der Stimmen gekommen war. Stöß ist persönlich dafür verantwortlich, dass sich das Lebensgefühl von Michael Müller in den vergangenen zwei Jahren drastisch verschlechtert hatte. Der Parteilinke Stöß nahm 2012 Müller den Vorsitz der Berliner SPD weg. Den hatte Müller acht Jahre lang inne. Zehn Jahre war er Fraktionschef im Abgeordnetenhaus. Funktionen, die Müller auf seine eigene Art ausfüllte: loyal bis auf die Knochen gegenüber dem "Regiernden", Klaus Wowereit. Stöß hatte das geschickt ausgenutzt und auf dem entscheidenden Landesparteitag 2012 die Frage gestellt, ob das reicht, ob die Partei nicht verkümmere, wenn alle nur dem Sonnenkönig im Bürgermeisteramt huldigten. Gegen diese Stimmung hatte Müller keine Chance.

Es folgte eine freudlose Zeit. Müller galt plötzlich als Mann von gestern, der seine Karriere schon hinter sich hatte. Erst recht nachdem er als Senator für Stadtentwicklung in einer Volksbefragung mit seiner Absicht scheiterte, einen Teil des Tempelhofer Feldes für die Gewinnung neuen Wohnraums zu nutzen. Das Comeback des Michael Müller, der in eine sozialdemokratische Druckerfamilie hineingeboren die Stadt nie aus beruflichen Gründen verlassen hat, ist vor diesem Hintergrund eine Überraschung.

Vielleicht liegt die Erklärung auch gar nicht bei ihm, sondern bei Klaus Wowereit. Die Berliner haben ihn gemocht. Sehr. Er war in grauen Zeiten für die Stadt der beste Muntermacher. Die Hauptstädter jagen ihn nicht vom Hof - schließlich hat er seinen Rücktritt freiwillig eingeleitet - aber sie empfinden schon, dass seine Zeit vorbei ist. Man sehnt sich nach einem neuen Ernst. Die Flughafenpleite ist schwer verdauliche Kost für die notorisch selbstbewussten Hautstädter. Und Müller kommt da sehr gelegen. Er ist ein Gegenentwurf zu Wowereit. Auf Promipartys kann man sich Müller schlecht vorstellen. Eher bei Bier und Boulette im Fußballstadion. "Ich sehe aus, wie ich aussehe, und das wird in den nächsten Jahren auch nicht besser werden", hat er manchmal bei seinen Auftritten im Basis-Wahlkampf gesagt. Gut so, denken viele in Berlin. Soll der ruhig im Büro bleiben und hart arbeiten.

Die Stimmung in der Hauptstadt-CDU war am Wochenende verhalten. Einerseits weiß man, dass Müller wie kein anderer der Kandidaten die Kontinuität in der Berliner Großen Koalition gewährleistet. Eigentlich schätzt man ihn auch. Die Wahlstrategen hätten sich wohl eher einen wie Stöß oder den in Palästina geborenen Raed Saleh als Sieger der Abstimmung gewünscht. Gegen beide hätte man in einem Wahlkampf stark polarisieren können. Gegen den stocksoliden Müller fällt das schwer. Also wird man die SPD stärker über Sachthemen attackieren müssen. In welche Richtung das gehen kann, zeigte der Berliner CDU-Bundestagsabgeordnete Jan-Marco Luczak. Die drei Bewerber hätten sich in ihrem Wahlkampf "mit Versprechungen und Ankündigungen überboten", sagte Luczak. Für CDU sei dabei die Sache klar: "Was keine Grundlage im Koalitionsvertrag hat, kommt auch nicht." Es werde mit der Union "kein neues Schuldenmachen" geben.

Das ist der Punkt. Müllers schwierigste Aufgabe wird es sein, die Ansprüche der Parteilinken abzuwehren, mehr Geld auszugeben. Die marode Berliner Infrastruktur hätte es nötig. Jetzt, da Nussbaum weg ist, fordert mancher Parteilinke den Dammbruch. Müller wird sich dagegenstemmen. Aber Zugeständnisse wird er machen müssen.

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