Vor 70 Jahren wurde die ARD gegründet Demokratie, ummantelt von seichter Unterhaltung

Düsseldorf · Vor 70 Jahren wurde eine Arbeitsgemeinschaft aus sechs Sendern gegründet, aus denen später die ARD entstand. Die föderale Struktur sollte Staatsferne ermöglichen – politische Einflussnahme verhinderte sie nicht.

 Aus sechs Sendern wurde vor 70 Jahren die ARD gegründet: Walter Geerdes, damaliger Intendant von Radio Bremen, Rudolf von Scholtz, damaliger Intendant des Bayerischen Rundfunks, Egmont Zechlin, Historiker und damaliger Direktor des Hans-Bredow-Institutes, Adolf Grimme, erster Generaldirektor des NWDR, und Eberhard Beckmann, damaliger Intendant des Hessischen bei der Konstituierung der ARD in München.

Aus sechs Sendern wurde vor 70 Jahren die ARD gegründet: Walter Geerdes, damaliger Intendant von Radio Bremen, Rudolf von Scholtz, damaliger Intendant des Bayerischen Rundfunks, Egmont Zechlin, Historiker und damaliger Direktor des Hans-Bredow-Institutes, Adolf Grimme, erster Generaldirektor des NWDR, und Eberhard Beckmann, damaliger Intendant des Hessischen bei der Konstituierung der ARD in München.

Foto: dpa/-

Rundfunk als (Um-)Erziehungsprogramm, das war ein wenig zugespitzt der Hintergedanke, als am 9. Juni 1950 die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ab 1954 abgekürzt: ARD) ins Leben gerufen wurde.

Mit dem Neustart des von den Nazis zentralisierten Rundfunksystems hofften die westlichen Alliierten damals, demokratisches Bewusstsein in die Köpfe der Deutschen träufeln zu können, ummantelt von seichter Unterhaltung. Als unabdingbar dafür erachtet wurde eine föderale Struktur, die größtmögliche Staatsferne garantieren sollte.

Gleichwohl gab es von Anfang an Versuche politischer Einflussnahme und andererseits Kritik, ein latentes Unbehagen, das sich hartnäckig im Begriff des mit einer „Zwangssteuer“ finanzierten „Staatsfunks“ manifestierte. Bis heute. 70 Jahre ARD, das sind auch 70 Jahre Ringen um politische Unabhängigkeit. Mal mehr, mal weniger erfolgreich.

Aus anfänglich sechs Landesrundfunkanstalten sind längst zehn geworden. Die ARD ist heute ein kolossaler Apparat, ein gerade regional ausufernder Senderverbund mit rund 22 500 Mitarbeitern, aufgeteilt auf Fernsehen und Hörfunk, mehrere Dutzend Landesstudios und -büros sowie etwa 100 Auslands­korrespondenten. Die Kontrolle erfolgt über Aufsichtsgremien, etwa die Rundfunkräte, dazu gibt es Treffen der Intendanten, der Rundfunkrats- und Verwaltungsratsvorsitzenden. Intern wird ARD daher gerne als „Alle reden durcheinander“ abgekürzt. Aus politischer Sicht könnte es aber auch heißen „Jeder will mitreden“ – regiert doch bei der Besetzung der Kontrollgremien und wichtiger Führungspositionen nach wie vor parteipolitischer Proporz.

Schon Bundeskanzler Adenauer wähnte in der föderalen Struktur des Rundfunks eine Gefahr, weil die SPD damit die öffentliche Meinung beeinflussen könne, scheiterte aber damals mit einem Bundesgesetz. So blieb der Politik nichts anderes übrig, als sich quasi über die Hintertür programmatischen Einfluss zu verschaffen. Fortan musste die ARD sich im Spannungsfeld widerstreitender politischer Interessen behaupten; immer wieder hagelte es in der Geschichte des Verbunds Kritik an mangelnder Sachkenntnis in den Rundfunkräten, an Versuchen, intern Druck auszuüben, oder über einseitige Berichterstattung. Andererseits verhinderte das Gleichgewicht der politischen Kräfte einen allzu großen Einfluss von Lobbyisten, und es legitimierte den Fortbestand eines gebührenfinanzierten Systems, das anderswo längst auf der Kippe steht.

Für die ARD bedeutet diese Kons­truktion bis heute einen Drahtseilakt. Einerseits mit dem Geld den vom Gesetzgeber definierten Programmauftrag zu erfüllen, unabhängig zu informieren, zu bilden und zu unterhalten, andererseits politische Begehrlichkeiten auf ein Minimum zu reduzieren – und zugleich bei den Gebührenzahlern das Bewusstsein dafür zu schaffen, dass ihre Abgabe nötig ist, um Meinungsvielfalt zu ermöglichen. Nicht ganz leicht, wenn derjenige, der zahlen soll, keine Wahl hat.

Wie problematisch dieser Spagat ist, aber auch wie brüchig das Selbstverständnis und wie groß die Hybris, zeigt die Debatte um das sogenannte Framing Manual im Februar 2019. Dabei ging es um einen von der ARD initiierten (aber nie angewendeten) Kommunikationsleitfaden, in dem über neue Begrifflichkeiten die öffentliche Wahrnehmung des Senders neu definiert werden sollte. Hin zu einer moralisch handelnden Institution von gesellschaftlicher Relevanz, die durch den Beitrag aller demokratisch legitimiert ist – im Gegensatz zu den von wirtschaftlichen Interessen getriebenen Privatsendern. Damit wollte man endgültig weg vom Image eines staatlich gesteuerten Rundfunks, der über Beiträge finanziert wird, die jeder entrichten muss – ob er will oder nicht.

Dabei wäre es längst an der Zeit, das Gebühren-Privileg als Verpflichtung zu begreifen, den Blick statt auf Image und Quote auf den gesetzgeberischen Auftrag zu richten und, wie es ARD-Programmdirektor Volker Herres einmal formulierte, das Gute populär und das Populäre gut zu machen. Nur so ließe sich auch hierzulande geführten Diskussionen entgegentreten, den Rundfunkbeitrag abzuschaffen. Stattdessen wird, was das Programm angeht, zunehmend im Seichten gefischt und werden Strukturen, also etwa die Zahl der Radiokanäle und Regionalsender, unnötig aufgebläht – allein der WDR beschäftigt rund 4300 Mitarbeiter. Gerade im Hinblick auf die Entwicklung des Rundfunkbeitrags könnten sich jedoch synergetische Effekte für alle auszahlen.

Denn obwohl sich vor allem junge Menschen vom linearen Fernsehen abwenden, obwohl sich ein kleiner Teil der Bürger generell von den Medien belogen fühlt und Verschwörungen wittert, so existiert doch ein hohes Grundvertrauen in öffentlich-rechtliche Berichterstattung. Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest Dimap fühlen sich 68 Prozent der Befragten über die Pandemie seriös und glaubwürdig informiert. Für die ARD kann das, 70 Jahre nach ihrer Gründung, nur bedeuten, dass sie als Leitmedium ihren publizistischen Auftrag ernster nehmen sollte denn je.

Statt aufs Image zu achten, gilt es, Innovationen voranzutreiben, statt inhaltlich in die Breite zu gehen, auch Nischen zu bedienen, statt sich regional zu verzetteln, sich im Verbund mehr zu vernetzen. Überraschend zu sein, sorgfältig und relevant. Nach 70 Jahren hat sich die ARD oft eingerichtet im Mittelmaß; als gebührenfinanzierter Rundfunk fehlt der Antrieb, Qualität konsequent vor Quote zu stellen. Abschaffen sollte man den Beitrag nicht, aber überprüfen sehr wohl; genauso wie den Zugriff der Politik. Immer aufs Neue. Dann gehört die leicht ergraute ARD noch lange nicht zum alten Eisen.

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