Auf dem Petersberg bei Bonn Das erwartet Roland Pofalla vom Petersburger Dialog

Erstmals seit der Krim-Annexion 2014 kommen die Außenminister Russlands und Deutschlands beim Petersburger Dialog zusammen, der am Donnerstag auf dem Petersberg bei Bonn stattfindet. Ronald Pofalla, Ko-Vorsitzender des Dialogforums, beschreibt im Gespräch die Erwartungen.

Warum haben sich Präsident Wladimir Putin und Kanzlerin Angela Merkel gegen eine Teilnahme an dem deutsch-russischen Forum am Donnerstag entschieden?

Ronald Pofalla: Ich bin sehr dankbar, dass die beiden Außenminister Sergej Lawrow und Heiko Maas nach Bonn kommen. Das ist ein großer Schritt, nachdem der Petersburger Dialog seit der Krim-Annexion als Teil der Regierungskonsultationen ausgeschieden war. Jetzt gibt es ein klares Bekenntnis der beiden Außenminister zum zivilgesellschaftlichen Dialog. Das ist ein großer Fortschritt.

Ist die Zeit für eine Spitzenrunde noch nicht reif?

Pofalla: An den Konflikten hat sich ja von der Krim-Annexion bis zur Waffengewalt in der Ostukraine nichts verändert. In der Ostukraine sterben immer noch Menschen. Da braucht es nach wie vor einen ersten Schritt der russischen Seite, als Zeichen, dass sie an einer Verbesserung des Verhältnisses interessiert ist.

Werten Sie die Teilnahme von Lawrow und Maas als erste neue Gesprächsbereitschaft?

Pofalla: Ja, das ist eindeutig ein positives Zeichen. Vor zwei oder drei Jahren wäre das noch nicht möglich gewesen. Sie wollen damit sicherlich dokumentieren, dass Deutsche und Russen weiter im Gespräch bleiben müssen.

Gibt es ein Thema, das eine neue Verständigung eröffnen könnte?

Pofalla: Es gibt viele kleine Punkte. Zum Beispiel könnte die russische Seite damit aufhören, Teilnehmer von der Krim in Gesprächsformate einzubringen, um die Zugehörigkeit zu Russland zu unterstreichen. Das stört die Dialoge, weil wir das nicht akzeptieren und die Treffen dann nicht stattfinden können. Solche Nickligkeiten brauchen wir nicht.

Wo könnten beide Seiten konkret aufeinander zu gehen?

Pofalla: Präsident Putin könnte dafür sorgen, dass in der Ostukraine endlich einmal die Waffen schweigen. Eine stabile und über Monate haltende echte Waffenruhe wäre der erste Schritt, um über einen ersten Schritt zur Aufhebung der Sanktionen zu sprechen. Solange es keine Veränderungen gibt, sind die Sanktionen berechtigt und richtig.

Der neue ukrainische Präsident Selenskyii hat ein erweitertes Gesprächsformat mit dem US-Präsidenten und der britischen Premierministerin vorgeschlagen.

Pofalla: Dazu müsste die russische Seite auch bereit sein. Jedenfalls zeigt es, dass Selenskyii auch zu neuen Wegen bereit ist, um die festgefahrenen Gespräche wieder in Gang zu bringen.

Muss man die Krim außen vor lassen, wenn man in der Ostukraine Fortschritte schaffen will?

Pofalla: Lassen Sie uns bei der Betrachtung nicht gleich mit dem höchsten Berg, sondern gewissermaßen mit dem „Voraufstieg“ beginnen: Das ist die Ostukraine. Dort muss Präsident Putin jährlich Milliarden Euro investieren, um den Konflikt in Balance zu halten. Wenn er einen echten Waffenstillstand hinbekäme, könnte das Geld der russischen Gesellschaft zugutekommen und die EU die Sanktionen schrittweise zurückfahren.

Sehen Sie die Chance für eine neutrale Überwachung der Grenzregion?

Pofalla: Wir müssen geduldig sein. Die Russen können mit dem Konflikt besser umgehen als die Deutschen. Die deutsche Gesellschaft sucht ungeduldig nach Lösungen, die russische Mentalität kann mit den Differenzen länger leben. Manchmal hilft nur Zeit, neue Lösungen zu finden. Aber ein Waffenstillstand in der Ostukraine muss von neutralen Beobachtern überwacht werden.

Sie klingen wie Gerhard Schröder und Christian Lindner, die den Krim-Konflikt einfrieren wollen.

Pofalla: Nein. Für mich ist die Annexion nach wie vor völkerrechtswidrig. Ich rate nur dazu, nicht mit dem größten Problem zu beginnen. Ein Einstieg wäre jedenfalls eine Friedenssituation in der Ostukraine.

Sehen Sie andere Felder für Annäherungen?

Pofalla: Es gibt zum Beispiel eine Reihe westlicher NGOs und Organisationen, die in Russland unter Agentenverdacht gestellt wurden. Wir sprechen gerade darüber, dass das in den nächsten Monaten zurückgenommen werden kann.

Wie erklären Sie sich, dass es in Ostdeutschland ein ganz anderes Russlandbild gibt als in Westdeutschland?

Pofalla: Das ist eine spannende Frage. Im Osten war die erste Fremdsprache Russisch und gab es eine ganz andere Befassung mit der damaligen Sowjetunion als im Westen. Hier hatten wir Englisch oder Französisch und haben uns intensiv mit England und Frankreich auseinandergesetzt. Ich denke, auch deshalb gibt es in den neuen Ländern ein größeres Verständnis für Russland als in den alten.

Der „Ossi“ versteht die russische Seele besser als der „Wessi“?

Pofalla: So kann man das überspitzt vielleicht sagen. Die russische Seele ist zunächst sehr deutschfreundlich, obwohl sie im Krieg so viel Unsägliches durch Deutsche zu erleiden hatte. Dann ist sie extrem gastfreundlich. Und wenn wir dann noch berücksichtigen, wie gut die Russen mit Brüchen und Konflikten leben können, sind eigentlich alle Türen geöffnet, um unsere beiden Gesellschaften wieder näher zu bringen.

Ist der Wessi Pofalla zum Russlandversteher geworden?

Pofalla: Das war er – wenn ich Ihrer Formulierung folge – immer schon. Mein Vater war mehrere Jahre in weißrussischer und russischer Gefangenschaft, und mit ihm habe ich immer wieder über Russland gesprochen. Er hat sogar gegenüber Kriegsgefangenen einen hohen Respekt gespürt.

Welche Inhalte sind auf dem Petersberg zu erwarten?

Pofalla: Am Anfang werden die beiden Außenminister sprechen, danach geht es in zehn Arbeitsgruppen weiter. So werden drei der Vorsitzenden der ehemaligen Kohlekommission – Matthias Platzeck, Stanislaw Tillich und ich – über die ökologische Modernisierung berichten und dafür werben, dass sich Russland an unserem beabsichtigten Kohleausstieg bis spätestens 2038 ein Beispiel nimmt. Dann wollen wir uns dafür einsetzen, dass für Schüler und Studenten unter 25 Jahren die Visafreiheit eingeführt wird. In der russischen Fläche müssen junge Leute manchmal tausend Kilometer zum nächsten deutschen Konsulat reisen und für russische Verhältnisse viel Geld bezahlen, um die Anträge stellen zu können. Wir wollen den Jugendaustausch intensivieren

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