Analyse Ceta-Wettlauf der SPD-Granden

Berlin/Brüssel · Schwingt sich EU-Parlamentspräsident Schulz zum Ceta-Retter auf? Eilig beansprucht Wirtschaftsminister Gabriel seinen Part für sich - und wehrt sich gegen Kritik aus der EU-Kommission an seinem Ceta-Kurs.

In Europa läuten am Freitagabend die Alarmglocken. Ein Aus für das Ceta-Abkommen wäre das folgenschwerste Debakel der europäischen Handelspolitik, die Handlungsfähigkeit der EU steht auf dem Spiel. Am späten Abend dann leichtes Aufatmen.

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz kündigt an: Die kanadische Handelsministerin Chrystia Freeland schiebt ihre bereits angekündigte Abreise auf. Er werde sich noch einmal mit ihr sowie dem wallonischen Ministerpräsidenten treffen, um den Gesprächen über das Freihandelsabkommen neues Leben einzuhauchen, sagt der SPD-Politiker.

Die kleine belgische Region Wallonie blockiert Ceta. Schulz hält die Verhandlungen nun am Laufen, die Welt blickt auf ihn. Schulz, der Ceta-Retter? Der Bewahrer der Handlungsfähigkeit Europas?

Im Bundeswirtschaftsministerium will man ihn offenbar nicht allein im Rampenlicht stehen lassen. Schließlich ist es der Minister und SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel gewesen, der sein politisches Gewicht für das Abkommen in die Waagschale geworfen hat; der monatelang rastlos für Ceta gekämpft hat, eiligst nach Kanada zu Gesprächen geflogen ist, auch um Widerstand in seiner Partei zu besänftigen.

Aus dem Ministerium hat es zunächst keine öffentliche Reaktion auf die dramatischen Entwicklungen rund um Ceta gegeben. Als Schulz dann am Samstagmorgen schon mit Freeland am Tisch sitzt, wird eine Mitteilung verschickt. Darin heißt es, es sei Gabriel gewesen, der die kanadische Ministerin in der Nacht dazu bewegen konnte, nicht gleich abzureisen. Er war es demnach auch, der das Gespräch mit Schulz vermittelte. Gabriel, der Ceta-Retter?

Der SPD-Chef ist am Samstagmorgen bei einer Konferenz in Bratislava. Eilig bittet das Ministerium zu einem Statement noch in der slowakischen Hauptstadt. Wenig später folgt die Einladung zu einem zweiten am Nachmittag am Flughafen Braunschweig. Kurzfristig wird dieses dann nach Goslar, den Wohnort Gabriels, verlegt. Am Sonntag gibt er mehrere Interviews.

Grund der Geschäftigkeit ist auch Kritik am Vorgehen Deutschlands. So sagt EU-Kommissar Günther Oettinger den Zeitungen der Funke Mediengruppe, er könne nicht verstehen, "dass die deutschen Sozialdemokraten einen Parteikonvent abhalten und eine Mitentscheidung bei Ceta beanspruchen". Mitgliedstaaten, die das Thema an sich ziehen wollten, seien Schuld daran, dass Kanada an der Handlungsfähigkeit der Europäischen Union zweifle. "Wollen wir jetzt noch den Kirchengemeinderat von Biberach befragen?", fügt er an.

Zur Vorgeschichte: Gabriel gehört zu denen, die sich sehr dafür einsetzten, dass Ceta als Vertrag eingestuft wurde, dem nicht nur das Europaparlament, sondern auch der Bundestag und andere nationale Parlamente zustimmen müssen. Und nun blockiert die kleine Wallonie das Abkommen. "Es ist schon verquer, dass dieselben, die ganz Europa in diese wahnwitzige Situation gebracht haben, sich jetzt als Retter von Ceta bemühen", giftet der CSU-Europapolitiker Manfred Weber in der "Bild am Sonntag". Gabriel, ein Verursacher des Ceta-Fiaskos?

Vom Ceta-Kämpfer zum -Buhmann, so will sich der Wirtschaftsminister nicht hinstellen lassen. "Neunmalkluge EU-Technokraten" wie Oettinger hätten am wenigsten dafür getan, dass Ceta einigungsfähig wird, sagt er der dpa. Und wenn die Kirchengemeinde von Biberach eine Frage habe, dann müsse man ihr zuhören. "Das Nichtzuhören, das Nicht-Antworten und die elitäre Ignoranz sind es, die Europa zerstören."

In all dies mischt sich wohl auch die Debatte über den künftigen SPD-Kanzlerkandidaten. Neben Olaf Scholz wird auch Schulz als Gabriel-Alternative gehandelt. Einer Umfrage vom Freitag zufolge liegt Schulz in der Gunst der Deutschen leicht vor dem SPD-Chef. Auch ein möglicher Grund für Gabriel, sich am Wochenende bei den Ceta-Rettungsversuchen mit ins Rampenlicht zu drängen?

Und Schulz? Der betont seine Freundschaft zu Gabriel, zuletzt auf einer Konferenz von SPD-Linken in Berlin. Dort - unter Ceta- und Gabriel-Skeptikern - erhält er viel Applaus. Ob er den nach seinem Ceta-Rettungseinsatz noch immer bekommt? Andererseits könnte ihn dieser aber auch zu einer dritten Amtszeit im EU-Parlament verhelfen. Dagegen gab es bislang Widerstand der Konservativen.

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