Der nächste Aufreger Bundesregierung distanziert sich von Seehofers Brexit-Position

Berlin · Kaum ist der Asylstreit mit Bundeskanzlerin Merkel beigelegt, sorgt Bundesinnenminister Seehofer mit eigenwilligen Brexit-Positionen für Wirbel. Die Bundesregierung distanziert sich von seinen Aussagen und auch bei den Parteien wird Kritik laut.

Er gibt einfach keine Ruhe. Horst Seehofer sorgt schon wieder für Wirbel. Kaum ist der Asylstreit mit Angela Merkel – knapp vor dem Bruch der Regierung – fürs erste beigelegt, muss die Bundeskanzlerin schon wieder für eine Krisenintervention bei Seehofer eingreifen – dieses Mal telefonisch. Denn: Der Bundesinnenminister mischt nun auch mit eigenwilligen Positionen in Brexit-Fragen mit.

Sehr zum Erstaunen der deutschen Vertretung bei der Europäischen Union (EU), die sich prompt von Seehofer distanzierte. Der Leiter der politischen Abteilung der deutschen EU-Vertretung, Thomas Eckert, wählte in einem Schreiben an die EU-Kommission Klartext: „Ich möchte klarstellen, dass es sich hierbei um ein in der Bundesregierung nicht abgestimmtes Schreiben handelt.“

Der Bundesinnenminister hatte Ende Juni in einem eigenen, in der Bundesregierung nicht abgestimmten Brief an die EU-Kommission, aus dem die britische „Financial Times“ zuerst berichtete, seine Bedenken für die Zeit nach einem Austritt Großbritanniens aus der EU formuliert. Seehofer sprach sich demnach – gegen die Positionen innerhalb der EU wie auch in der Bundesregierung – für eine „uneingeschränkte Sicherheitszusammenarbeit“ mit Großbritannien auch nach einem Brexit aus.

Heikle Angelegenheit

Der Brief des deutschen Innenministers ist vor allem deswegen heikel, weil damit eine einheitliche Linie der verbliebenen 27 EU-Staaten für die Zeit nach einem Brexit unterlaufen werden könnte. So hatten die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Staaten ohne Großbritannien im März betont, dass beispielsweise beim Datenaustausch das hohe bisherige Schutzniveau in der EU gewährleistet bleiben müsse.

Dies dürfte schwierig werden, weil Großbritannien nach einem EU-Austritt nicht mehr der europäischen Rechtsprechung unterliegt. Bundeskanzlerin Merkel, die wie in der Asyl- und Flüchtlingspolitik eine abgestimmte europäische Linie zum Ziel hat, musste nun ein nächstes Mal mit ihrem eigenwilligen Innenminister Einvernehmen herstellen.

Nach Seehofers Rücktritt vom Rücktritt versuchte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums am Montag die Wogen zu glätten: „Es war tatsächlich nicht die Absicht, irgendwelche Irritationen zu verursachen.“ Nein, Seehofer habe „in keiner Weise“ Leitlinien der EU-Kommission in Frage stellen wollen.

Kritik von den Grünen

Die Grünen sind dagegen schon auf den Barrikaden. Parteichefin Annalena Baerbock sieht Seehofer auf einem rechtspopulistischen Kurs der Spaltung in Deutschland und in Europa. Es untergrabe den Rechtsstaat, wenn man Großbritannien auch nach einem Brexit vollen Zugang beispielsweise zum Schengen-Informationssystem oder zu EU-Fluggastdaten gewähren würde, die Regierung in London aber zugleich nicht mehr an europäisches Recht gebunden wäre.

Auch der Grünen-Europapolitiker Sven Giegold geht scharf gegen den Bundesinnenminister vor: „Seehofer irrlichtert auf anti-europäischen Abwegen.“ Dessen Alleingang schwäche ein abgestimmtes Vorgehen einer EU der 27 Staaten ohne Großbritannien. Der Bundesinnenminister, der sich in dieser Woche am Rande des EU-Innenministertreffens in Innsbruck mit den rechtspopulistischen Amtskollegen aus Österreich und Italien in Innsbruck austauschen will, gilt als Meister der politischen Wende.

SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach jedenfalls sieht Seehofer „offenbar komplett außer Kontrolle“. An diesem Dienstag übrigens sorgt Seehofer wohl erneut für Schlagzeilen. Dann will er in seinem Ministerium seinen lange unter Verschluss gehaltenen Masterplan Migration der Öffentlichkeit vorstellen. Ob Merkel und Seehofer danach wieder telefonieren?

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