"Die Armut sieht er nicht" Bundespräsident Steinmeier besucht Duisburg-Marxloh

Duisburg · Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier war zu Besuch in Duisburg-Marxloh. Dort gab er sich Mühe, auch hinter die Fassaden zu sehen. Doch nicht überall wurde er mit offenen Armen empfangen.

Öffentliche Termine mit Kindern sind für Politiker ein Risiko. Sie misslingen leicht einmal, weil die Kleinen sich nicht zuverlässig ans Protokoll halten. So ist die Spannung vor der Ankunft des Bundespräsidenten an diesem Morgen im Treppenhaus der Grundschule in der Henriettenstraße bei allen Beteiligten deutlich zu spüren.

Nochmal und nochmal singt die Schulleiterin mit den Kindern das "Guten-Morgen-Lied" durch, erklärt ihnen, dass sie leise sein müssen, wenn der "Chef von Deutschland" kommt. Und dann hätten sie das doch fast vergessen. So beeindruckt sind sie von den vielen Polizisten auf den schweren Motorrädern und der schwarzglänzenden Staatslimousine mit der Bundesadler-Fahne. Steinmeier und seine Frau Elke Büdenbender betreten den Schulhof, begleitet von Rhythmen, die der elfjährige Vladimir aus Bulgarien und seine rumänischen Freunde trommeln.

Ein paar Schritte weiter schallt dem Paar auch schon der Treppenhaus-Chor entgegen, eine erste Herausforderung wartet: Die Schulleiterin bittet Steinmeier, das "Guten-Morgen-Lied" mitzusingen. Nicht einfach, denn die Kinder singen den Morgengruß in elf verschiedenen Sprachen. Es ist der zweite Tag der NRW-Reise des Bundespräsidenten. Duisburg-Marxloh steht auf dem Programm und hier als erstes die Städtisch-Katholische Grundschule in der Henriettenstraße. Es ist keine gewöhnliche Schule: Hier haben 95 Prozent der Kinder ausländische Wurzeln. Die meisten kommen aus Osteuropa, gut zwei Dutzend der 200 Schüler haben eine Fluchtgeschichte.

Was das im Alltag bedeutet, wird gleich rechts neben dem Eingang deutlich. An der Pinnwand hängt ein buntes Plakat mit dem "Motto des Monats". Es lautet: "Ich komme an jedem Schultag zur Schule!" Dabei ist "an jedem Schultag" extra unterstrichen. Kinder, die hier zur Schule gehen, üben nicht nur Lesen, Schreiben und Rechnen. Sie müssen lernen, sich in einer für sie völlig fremden Welt zurechtzufinden. "An dieser Schule sieht man, wie unendlich viel schon bewältigt worden ist", wird Steinmeier später sagen.

Tags zuvor war der Bundespräsident in Aachen, hatte sich die besseren Seiten Nordrhein-Westfalens zeigen lassen. Dass Duisburg auf dieser Reise die Rolle des Problembären zukommt, behagt dem Duisburger Oberbürgermeister Sören Link (SPD) nicht. Er hätte es lieber gesehen, wenn sich Steinmeier den Duisburger Binnenhafen angesehen hätte, wie er vor dem Zusammentreffen sagte. Als Zeichen dafür, dass sich auch hier in Duisburg etwas bewegt.

Link ist nicht der einzige, der auf den Besuch nicht gut zu sprechen ist. Vor der Schule haben sich trotz Nieselregens ein paar Marxloher aufgereiht. Eine von ihnen ist Manuela Könnecke. "Er sieht nicht die Wahrheit, die Armut, den Dreck in den Ecken", schimpft sie. Dieter Giering pflichtet ihr bei: "Selbst am Samstagmorgen sind sie wegen des Besuchs mit den kleinen Kehrwagen herumgefahren. Das gibt es sonst nie." Wenn die Politiker weg seien, bleibe der Müll wieder liegen. Weiter wurde ein Mann festgenommen, der den Besuch von Steinmeier gestört hatte.

Dabei gibt sich Steinmeier durchaus Mühe, hinter die Fassaden zu schauen. Auf seinem Rundgang durch Marxloh macht der Präsidenten-Tross auch vor einer Schrottimmobilie halt. Das sind jene Häuser, in denen viele Menschen auf engstem Raum leben. Trotz der oft unhaltbaren Zustände muss jeder einzelne Miete zahlen, für viele Eigentümer ein einträgliches Geschäft.

Das graue Haus steht leer. Die Task-Force der Stadt hat es räumen lassen, aus Brandschutzgründen. Noch mehr als 50 Häuser stehen auf ihrer Liste. Steinmeier hört aufmerksam zu, bis ihn das Protokoll weiterdrängt. Vorbei an fünf Demonstranten, die den Stopp von Waffenverkäufen in die Türkei fordern, geht es zum nächsten Programmpunkt. Und da ist sie dann doch noch, die Duisburger Erfolgsstory. Bei "Melisam Gelinlik Brautmoden" lässt sich Steinmeier erklären, warum es hier 100 dieser Läden gibt. Und warum wenigstens Brautmode-Geschäfte für viele ein Grund sind, nach Duisburg-Marxloh zu fahren.

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