Rechtsextremer Terror in Deutschland BKA und Verfassungsschutz verschärfen Kampf gegen Rechts

Berlin · Das Bundeskriminalamt und der Verfassungsschutz wollen den Kampf gegen den Rechtsextremismus massiv verschärfen. Forderung nach längeren Speicherfristen werden laut.

 Rechtsextremisten haben sich zu einer Kundgebung versammelt. (Symbolfoto)

Rechtsextremisten haben sich zu einer Kundgebung versammelt. (Symbolfoto)

Foto: dpa/Bernd Thissen

Das Bundeskriminalamt (BKA) will mit höchster Priorität unter den 12.700 gewaltbereiten Rechtsextremisten diejenigen identifizieren, die mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Anschlag planen könnten. Derzeit haben die Sicherheitsbehörden im Spektrum der Rechtsextremisten lediglich 43 als solche "Gefährder" eingestuft. Dagegen sind es im ähnlich großen Personenkreis gewaltbereiter Islamisten fast 700, die als potenzielle Attentäter angesehen werden. Wenn die Behörden sich nun die Rechtsextremisten genauer anschauen, dürften auch mehr als mögliche Terroristen auffallen. "Ich gehe davon aus, dass die Zahl der Gefährder steigen wird", sagte BKA-Präsident Holger Münch unserer Redaktion. Gemeinsam mit den Bundesländern werde seine Behörde das Personenpotenzial in Fallkonferenzen genau prüfen, um das individuelle Gefährder-Potenzial besser abschätzen zu können.

Das BKA will auf die Dauer auch das für die bessere Abschätzung von gefährlichen Islamisten entwickelte Risikobewertungsinstrument "Radar" auf Rechtsextremisten anwenden. Wissenschaftler und Polizisten sollen dazu die Kriterien ermitteln, mit denen sich Radikalisierungstrends in Richtung Rechtsterrorismus nach einheitlichen Rastern feststellen lassen. Mit vermehrten umfangreichen Ermittlungsverfahren soll zudem der Verfolgungsdruck auf die Szene und mögliche entschlossene Einzeltäter erhöht werden.

Hinzu kommt eine verstärkte Aufklärung von Netzwerken, um auch aus deren Analyse heraus Rückschlüsse auf veränderte Risiken ziehen zu können. Zudem will das BKA den Kampf gegen Hasskriminalität massiv ausbauen. Dazu soll es eine Zentralstelle geben, die alle strafrechtlich relevanten Inhalte sammelt und entsprechende Polizeiaktivitäten auslöst. Als Vorbild nennt Münch die Bekämpfung von Kinderpornografie. Hier erhalte das BKA jährlich 70.000 Hinweise von US-Providern, die auf strafrechtliche Relevanz geprüft und bei denen die Täter ermittelt und dann an die örtlich zuständige Polizei übergeben würden.

"Die Situation ist ernst", fasste Münch zusammen. Schon seit einiger Zeit sei eine Zunahme rechter Gewalt- und Propagandadelikte zu beobachten. Die Opfer seien Ausländer, Juden, ihre politischen Gegner, aber auch Mandatsträger oder Befürworter einer liberalen Flüchtlingspolitik. "Bedrohungen im Internet schaffen ein Klima der Angst", erklärte Münch. Das führe auch dazu, dass ehrenamtliches Engagement schwinde und sich vielleicht keine Bewerber für wichtige Ämter mehr fänden.

In enger Abstimmung zu den Polizeibehörden will auch das Bundesamt für Verfassungsschutz das Vorgehen gegen den Rechtsextremismus massiv verschärfen. Die Szene habe sich nachhaltig verändert. Nun müssten neue Anlaufpunkte, Akteure, veränderte Strukturen und Aktionsformen frühzeitig detektiert werden. "Mit dem schrecklichen Anschlag in Halle ist nun leider traurige Realität geworden, wovor ich schon lange gewarnt habe", erklärte Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang. Bereits bei den Anschlägen in Oslo, Christchurch und El Paso habe sich gezeigt, wie die Attentäter soziale Medien, Internet- und Gaming-Plattformen sowie Messengerdienste als virtuelle Kommunikationsräume zur Verbreitung ihrer Feindbilder und ihrer Taten missbrauchten. Haldenwang: "Diese bieten rechtsextremistischen Personen Ankerstellen, in denen sie sich radikalisieren, gewaltgeneigte Äußerungen oder Tatabsichten kundtun und sich hinsichtlich Tatmitteln, möglicher Tatopfer und Tatorte anonym austauschen können."

Nach den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes dient das Internet nicht nur Einzelpersonen als Motor für Radikalisierungsprozesse. Virtuell agierende Gruppen könnten situative Netzwerke bilden, die deutlich aktionistischer und in ihrer Zusammensetzung heterogener seien, als dies bisher bei starren Organisationen im Rechtsextremismus der Fall war. Wie BKA und LKA im polizeilichen Bereich betrachten Bundesamt und Landesämter für Verfassungsschutz im nachrichtendienstlichen Umfeld die Identifizierung potenzieller Einzeltäter als oberste Priorität. Auch der Verfassungsschutz will die Hasskriminalität im Vorfeld strafrechtlich relevanter Erscheinungen stärker unter die Lupe nehmen. Daneben soll es künftig eine Zentralstelle geben, der alle Behörden rechtsextremistische Umtriebe in den staatlichen Behörden melden. Damit soll verhindert werden, dass überall vermeintliche Einzelfälle intern behandelt und die Dimension des Problems unklar bleibt. Stattdessen soll es künftig ein "Lagebild" geben, um die Verbreitung rechtsextremistischer Erscheinungen auch innerhalb der staatlichen Institutionen besser wahrnehmen zu können.

In Zusammenarbeit von Verfassungsschutz, Polizei, Bund, Land, Kommunen und vielen weiteren Behörden soll die Bewegungsmöglichkeit von Rechtsextremisten eingeschränkt werden. Da könnten Steuerbehörden den Verkauf von einschlägigen Produkten der rechtsextremistischen Szene verfolgen, Ordnungsbehörden mehr Hinweise erhalten, die es ihnen ermöglichen, rechtsextremistische Konzerte rechtzeitig zu verbieten. Enger verzahnen will der Verfassungsschutz auch die wissenschaftlichen und die operativen Erkenntnisse, um zu einer besseren Analyse des Einflusses der so genannten "Neuen Rechten" zu kommen. Und wie bei den islamistischen Terroristen soll es künftig auch ein Hinweistelefon zum Rechtsextremismus geben.

Aus dem Umfeld des Innenministeriums verlautete, dass vermehrt auch das Mittel des Vereinsverbots zum Einsatz kommen soll. Derzeit laufen angeblich die Vorbereitungen für ein Verbot von sechs rechtsextremistischen Organisationen.

Dringend mahnen die Sicherheitsbehörden bessere rechtliche Möglichkeiten für den Kampf gegen den Rechtsextremismus an. Das BKA will deutlich ausgeweitete Speicherfristen. Derzeit müssen die Polizisten alle Erkenntnisse zu einzelnen Personen bereits nach zwölf Monaten wieder löschen, wenn daraus keine konkreten Ermittlungsverfahren geworden sind. Damit fallen alle Rechtsextremisten aus dem Raster heraus, die unter behördlichem Verfolgungsdruck vorübergehend still halten oder aber noch nicht mit konkreten Anschlagsplanungen in Verbindung gebracht werden können.

Auch die Verfassungsschützer verlangen den Zugang zu den Internetforen, in denen sich Rechtsextremisten tummeln, sich radikalisieren und Verabredungen treffen. Dazu müssten etwa die Möglichkeiten der Telekommunikationsüberwachung an der Quelle und Online-Durchsuchungen ermöglicht werden.

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