Interview mit Familienministerin Franziska Giffey „Aus Ehrenamt erwächst Glück“

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) will mit einer neuen Stiftung Vereine unterstützen und fordert Unternehmen auf, ehrenamtliches Engagement bei Bewerbern als Pluspunkt zu berücksichtigen.

 Franziska Giffey: „Jeder, der mit der Lage unzufrieden ist, sollte nachdenken, ob der eigene Beitrag einen Unterschied machen könnte“¶

Franziska Giffey: „Jeder, der mit der Lage unzufrieden ist, sollte nachdenken, ob der eigene Beitrag einen Unterschied machen könnte“¶

Foto: picture alliance/dpa

Wann war bei Ihnen der Zeitpunkt gekommen, zu dem Sie gesagt haben: Ich mische mich jetzt ein?

Franziska Giffey: Bevor ich Bildungsstadträtin und dann Bürgermeisterin von Berlin-Neukölln wurde, habe ich dort in der Verwaltung als Europabeauftragte gearbeitet. Auf Neuköllnisch hieß das: EU-Kohle in den Bezirk holen. Dabei haben wir dafür gesorgt, dass teils große Summen aus Fördertöpfen an wirklich tolle Projekte im Bezirk gingen. Aber es gab dennoch strukturelle Probleme, an denen die einzelnen Projektträger nur bedingt etwas ändern konnten. Dafür sind politische Weichenstellungen nötig. Und aus dieser Erkenntnis heraus habe ich mich dann entschlossen, in die SPD einzutreten.

Was genau war Ihr Antrieb?

Giffey: Mich hat damals beschäftigt, dass es viel zu viele Kinder aus einkommensschwachen Haushalten oder solchen mit Migrationshintergrund in der Kita und der Schule gibt, die es nicht packen, einen guten Weg zu gehen. Wie kann es sein, dass im reichen Deutschland 20 Prozent der Kinder strukturelle Nachteile haben? Die sind ja nicht dümmer geboren oder weniger talentiert, nur weil sie aus einem sozialen Brennpunkt kommen. Jedem Kind eine echte Chance zu geben, egal ob aus einem armen oder reichen Elternhaus, das ist immer noch mein wesentlicher politischer Antrieb und ein sehr sozialdemokratischer dazu.

Jetzt sind Sie die Ministerin, die Anerkennung für Menschen verteilt, die sich in besonderer Weise engagieren. Was war Ihr Lieblingsprojekt im vorigen Jahr?

Giffey: Es gibt so viele schöne Geschichten: Menschen, die sich um behinderte Pflegekinder kümmern, Älteren gegen Einsamkeit und im Alltag helfen, Jung und Alt im Mehrgenerationenhaus zusammenbringen, Hilfe für Jugendliche, die auf der Straße leben, organisieren, Kranke begleiten, Haustiere betreuen, deren Besitzer damit mittlerweile überfordert wären.

So einfach ist das, um mit einem Preis des Ministeriums gewürdigt zu werden?

Giffey: Jeder kann einfach anfangen und andere noch mit an Bord holen. Diejenigen, die wir auszeichnen, haben gemeinsam, dass sie als Einzelpersonen einen Unterschied machen wollen, damit es anderen und der Gesellschaft insgesamt besser geht. Jeder auf seine eigene Weise, meistens ohne große Institution oder Berge von Geld im Rücken. Dieses Engagement fasziniert mich und es zeigt: Aus Ehrenamt erwächst auch Glück. Wer sich – wo auch immer – einsetzt, bekommt ja auch etwas zurück.

Gibt es denn genug bürgerschaftliches Engagement in unserer individualisierten Gesellschaft?

Giffey: Wir haben über 30 Millionen Menschen in Deutschland, die sich ehrenamtlich engagieren. Jeder, der mit der Lage im Land unzufrieden ist, sollte darüber nachdenken, ob der eigene Beitrag nicht einen Unterschied machen könnte. Die Strukturen des Engagements haben sich aber verändert. Viele wollen sich oft nicht mehr so lange binden, sich lieber zeitlich kürzer, auf Projekte konzentriert engagieren. Deshalb finden Vereine oft keine Nachfolge für Schriftführerin oder Kassenwart.

Besteht die Gefahr, dass kleine Vereine im ländlichen Raum eingehen, weil sie keinen Nachwuchs finden?

Giffey: Dem wollen wir entgegenwirken. Wir gründen im neuen Jahr die Deutsche Engagement-Stiftung mit einem Startkapital von 32,5 Millionen Euro. Damit soll Engagement gerade auch in kleinen Vereinen im ländlichen Raum unterstützt werden. Wir wollen mit der Stiftung über eine Engagement-Akademie Kurse anbieten, durch die wir das Ehrenamt stärken und befähigen. Dabei geht es darum, das Vereinsrecht besser kennenzulernen, zu erfahren, wie man Fördergelder organisiert, wie man eine Webseite baut oder die Kasse macht. Diese Kurse soll es auch als digitale Angebote geben.

Können Menschen darüber dann auch selbst Geld an Projekte geben?

Giffey: Die Stiftung soll eine Organisation sein, die auch „Zustiften“ ermöglicht. Das heißt, sie kann auch Spenden entgegennehmen. Das ist für das Ministerium so nicht möglich. Wir haben zum Beispiel gerade einen Fall, dass eine Familie fünf Millionen Euro für die Gedenkstättenpflege und die Erinnerungskultur von Jugendlichen spenden möchte. Das würde die Stiftung perfekt auffangen können.

Wird ehrenamtliches Engagement ausreichend anerkannt?

Giffey: Es könnte mehr sein. In angelsächsischen Ländern haben Leute bessere Karrierechancen, die sich sozial engagieren. Ich appelliere ganz klar an die Personalverantwortlichen in der Wirtschaft, auch auf das Engagement von Bewerberinnen und Bewerbern zu schauen. Das sollte nicht nur irgendein Eintrag unter Hobbys im Lebenslauf sein. Bürgerschaftliches Engagement sagt viel mehr über eine Person aus. Ich finde es gut, wenn solche Menschen auch bei der Vergabe von Jobs oder Studienplätzen etwas davon haben.

Mehr junge Menschen würden gern Bundesfreiwilligendienst leisten, scheitern aber an verschiedenen Hürden: Nicht der richtige Platz, zu weit weg, zeitlich zu unflexibel . . .

Giffey: Mehr als 80 000 junge Menschen machen jedes Jahr einen Freiwilligendienst. Kurz vor Weihnachten ist unser Gesetzentwurf im Kabinett beschlossen worden, mit dem wir den Dienst auch für unter 27-Jährige in Teilzeit ermöglichen werden. Und unser Konzept für ein Jugendfreiwilligenjahr soll helfen, dass noch mehr junge Leute sich dafür entscheiden und es sich auch leisten können, ein ganzes Jahr lang für die Gemeinschaft zu arbeiten.

Wie wäre es mit einem Rechtsanspruch auf einen Platz im Freiwilligendienst?

Giffey: Langfristig ist das mein Ziel. Allerdings: Auch dann wird nicht immer der Wunscheinsatzort ermöglicht werden können. Also, um es am Beispiel zu sagen: Es wird keinen Rechtsanspruch auf Freiwilligendienst in der Robben-Auffangstation geben. Gleichzeitig bin ich gegen eine Dienstpflicht. Die Leute sollen aus Überzeugung etwas für die Gesellschaft tun, nicht aus Zwang. Dafür müssen wir gute Rahmenbedingungen schaffen. Wir wollen ein besseres Taschengeld, Vergünstigungen für die Fahrkarte im öffentlichen Nahverkehr und ein Zertifikat für den Lebenslauf, das später an Unis auf Wartesemester angerechnet wird oder bei Bewerbungen einen Vorteil bringt.

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