Kommentar zur Regierungserklärung Atempause für Merkel

Meinung | Berlin · Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wirkt bei ihrer Regierungserklärung im Bundestag entspannt und redegewandt. Doch die scheinbare Ruhe ist trügerisch, meint unsere Autorin.

 Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sitzt bei der Plenarsitzung im Deutschen Bundestag nach ihrer Regierungserklärung zum EU-Gipfel in Brüssel in der Regierungsbank.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sitzt bei der Plenarsitzung im Deutschen Bundestag nach ihrer Regierungserklärung zum EU-Gipfel in Brüssel in der Regierungsbank.

Foto: picture alliance/dpa

Der Großteil von Merkels bisheriger 13-jähriger Amtszeit ist davon geprägt, dass die Kanzlerin auf internationalem Parkett Krisen besteht und in Deutschland behäbige Zufriedenheit herrscht. Seit drei Jahren ist das anders. Wie sehr sich diese Welt verkehrt hat, zeigte sich gestern einmal mehr im Bundestag. Merkel gab ihre Erklärung zum EU-Gipfel ab, bei dem es unter anderem um den Brexit und den Fortbestand der Demokratie in Europa geht.

Dennoch wirkte die Kanzlerin entspannt: heiter und schlagfertig. Die Probleme benannte sie klar: „Durchbruch“ beim Brexit noch nicht gelungen, die Verteilung der Flüchtlinge in Europa bleibt ein ungelöstes Problem. Doch erschien die schwierige Weltenlage im Vergleich zu dem, was sich weiterhin in der deutschen Innenpolitik abspielt, nicht mehr ganz so schwierig.

Merkels Regierungserklärung und die anschließende Aussprache wirkten irgendwie normal – wie früher: Die Kanzlerin ist gut drauf, die Opposition arbeitet sich an ihr ab. Das war's. Doch die Rückkehr zur Normalität im Bundestag war gestern eine trügerische Ruhe – wie im Auge eines Sturms.

Auszeit vom Dauerstreit

Zwischen den Wahlen in Bayern und in Hessen haben sich die Koalitionsparteien eine Auszeit von ihrem Dauerstreit verordnet. Die nächsten Gefechte um den CSU-Parteivorsitz, die Nachfolgeregelung Merkels und das Schicksal der SPD als Regierungspartei sind nur aufgeschoben. Sie werden Ende Oktober mit neuer Vehemenz ausbrechen. Der Regierungskoalition stehen ein so heißer November und Dezember bevor, dass der Sommer 2018 dagegen noch als kühl durchgehen dürfte.

Dabei hat niemand im Griff, was wirklich passieren wird. Sollte sich die CSU nach der Regierungsbildung in Bayern von Horst Seehofer als Parteichef trennen, dann wird das die Regierungskoalition in Berlin stabilisieren. Doch je nach Ausgang der Landtagswahl in Hessen, gibt es bis dahin schon neue Probleme: Sollte Volker Bouffier sein Amt als Ministerpräsident verlieren, dann ist Merkels Wiederwahl als Parteichefin gefährdet.

Schmiert die SPD in Hessen ab, werden bei den Sozialdemokraten wieder die No-GroKo-Stimmen lauter werden. Das heißt, auch mit einem möglichen Rückzug Seehofers aus der Regierung ist der Erhalt des Bündnisses nicht gesichert.

Das Unberechenbare für die Wochen von der Landtagswahl in Hessen bis Weihnachten ist, dass alle Parteien gleichzeitig mit sich selbst beschäftigt sein werden. Es kann passieren, dass es keinen stabilisierenden Faktor mehr in der Regierung gibt.

Neuwahlen aber wären auf dem Tiefpunkt des Vertrauens für die einstigen Volksparteien verheerend. Sie könnten zum gefährlichen Brandbeschleuniger einer Entwicklung aus Politikverdrossenheit, Versagen der den Staat tragenden Parteien und populistischen Attacken werden, die die politischen Ränder stärken.

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