Holocaust-Gedenktag Armin Laschet begleitete Jugendliche nach Auschwitz

Auschwitz/Oswiecim · Aus Anlass des Holocaust-Gedenktages ist NRW-Ministerpräsident Armin Laschet nach Auschwitz gereist. Mit dabei waren Jugendliche christlichen, muslimischen und jüdischen Glaubens.

 Erster Besuch: Armin Laschet am Sonntag in Auschwitz.

Erster Besuch: Armin Laschet am Sonntag in Auschwitz.

Foto: dpa

Frederik Bald fällt es schwer, Worte für das zu finden, was er gesehen hat. „Ich habe mich viel mit der Zeit beschäftigt und auseinandergesetzt, aber selbst in Auschwitz zu sein, ist etwas anderes“, sagt er. „Den Menschen ist das Menschliche abgesprochen worden. Das wird mir in Erinnerung bleiben und mich begleiten.“ Der 24-jährige Geschichtsstudent aus Münster hat mit 23 weiteren Jugendlichen und jungen Erwachsenen christlichen, jüdischen und muslimischen Glaubens auf Einladung der Union progressiver Juden vier Tage in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte Auschwitz verbracht. Sie fuhren zum Vernichtungslager Birkenau, sprachen mit einer Zeitzeugin und besichtigten in Krakau das jüdische Viertel und die frühere Fabrik von Oskar Schindler. In der Synagoge von Oswiecim, wie Auschwitz heute heißt, begrüßten sie gemeinsam den Schabbat.

Am Sonntag, dem Holocaust-Gedenktag, dem Tag der Befreiung des Konzentrationslagers vor 74 Jahren, besuchte die Gruppe gemeinsam mit NRW-Ministerpräsident Armin Laschet das Stammlager Auschwitz I. Guide Ewa Pasternak zeigte ihnen die Berge von Schuhen und Koffern, die den Deportierten abgenommen wurden, bevor sie ermordet wurden. Die Haare, die den Frauen vor dem Gang in die Gaskammer abgeschnitten wurden; zwei Tonnen davon sind noch erhalten. Die Brillen und die Kinderschuhe. Die Zäune, durch die Starkstrom floss. 3000 Menschen seien mit einem Transport angekommen, und 70 bis 80 Prozent davon nur drei bis vier Stunden später tot gewesen, darunter viele Frauen und Kinder. „Ein Arzt entschied an der Rampe von Birkenau aufgrund des Aussehens über Leben und Tod“, sagte Pasternak. Weil die Kapazität der Krematorien nicht ausreichte, seien Leichen auf Scheiterhaufen verbrannt worden.

Auschwitz steht für den industrialisierten Massenmord im Fließbandverfahren, ist der Inbegriff des Völkermords. Zwischen 1940 und 1945 starben dort 1,1 bis 1,5 Millionen Menschen, die meisten davon Juden.

Pasternak zeigte der Gruppe eine der ersten Gaskammern und die Zelle, in der Pater Maximilian Kolbe starb, sie erzählte vom Lagerkommandanten Rudolf Höß, der nur 30 Meter vom Lager entfernt mit seiner Familie lebte. In einem Wohnblock hängt ein Aushang vom Dezember 1941 an „alle Juden von Köln“. Detailliert ist dort aufgeführt, was sie bei der Deportation mitnehmen durften: Höchstens 25 Kilogramm, Teller, Topf und Löffel, aber keine Messer und Gabeln. Die Menschen hätten gedacht, es ginge zum Arbeiten Richtung Osten, sagte Pasternak.

„Die Erinnerung an die Shoah lebendig zu halten, ist eine Verpflichtung für uns alle. Für uns in Nordrhein-Westfalen, in dem heute die größte jüdische Gemeinschaft der Bundesrepublik lebt, ist die Mahnung und die Wahrung der Erinnerung an das Gräuel der Nazizeit ein persönliches Anliegen“, sagte Laschet. Sie müssten jeder neuen Generation Mahnung und Verpflichtung sein.

Gemeinsam mit der Jugendgruppe gedachte er vor dem Block 11, dem Todesblock, in einem interreligiösen Gebet der Opfer des Holocaust und legte einen Kranz nieder – gemeinsam mit Irith Michelsohn, der Generalsekretärin der Union progressiver Juden, deren Vorsitzendem Rabbiner Professor Walter Homolka, Staatssekretärin Serap Güler und der NRW-Antisemitismusbeauftragten Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Den Kranz trugen Frederik Bald, der evangelisch ist, und die junge Muslima Noura Manzouri.

Erstmals besuchten junge Leute aus drei Weltreligionen gemeinsam Auschwitz. Aus der gemeinsamen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit Deutschlands solle die Hoffnung auf eine bessere, friedliche Welt erwachsen, begründete Michelsohn die Idee hinter der Reise. „Muslime, Juden, Christen – wir haben alle die gleiche Aufgabe: Den Fluch von Auschwitz zum Segen werden lassen“, formulierte es Homolka beim Gedenken am Sonntag. „Durch unser Engagement, unser gemeinsames Eintreten für ein Miteinander ohne Vorurteile, ohne Hass, ohne Ausgrenzung.“

„Wir tragen als Nachkommen gemeinsam Verantwortung“

Er sei mit Jugendlichen anderer Religionen ins Gespräch gekommen, sagte Bald. Sie hätten versucht, das Erlebte gemeinsam zu reflektieren. „Wir tragen als Nachkommen gemeinsam Verantwortung“, betonte er auch mit Blick auf aufkommenden Antisemitismus.

„Antisemitische Erfahrungen hat jeder von uns schon gemacht“, sagte der 19-jährige Moritz. Das fange schon im Kleinen an, am abschätzigen Blick, wenn er aus der Synagoge trete. Es sei schön zu sehen, dass es diesen Dialog gebe, er habe im Gespräch mit den Musliminnen Noura und Aya viele Parallelen festgestellt. Zentraler Punkt des Gedenkens an die Shoah ist für ihn, Lehren zu ziehen fürs eigene Leben. Dabei sieht er den deutschen Staat und die Mehrheitsgesellschaft in der Verantwortung. „Wir müssen aktiv für Gerechtigkeit einstehen“, forderte auch Aya. Für sie hat der Besuch in Auschwitz Geschichte greifbar gemacht.

Niemand dürfe einfach wegsehen, sagte die 20-jährige Jüdin Sima mit Blick auf das Erstarken rechter Parteien wie der AfD. Für sie ist es unvorstellbar, dass viele weggeschaut hätten, als Nachbarn verschwanden. Laschet formulierte es bei seinem Eintrag ins Gedenkbuch vor einer der Gaskammern so: „74 Jahre nach der Befreiung gedenken wir der Ermordeten und geloben: Nie wieder.“

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