Urteilsverkündung im Fall Helmut Kohl Altkanzler siegt über Ghostwriter

KÖLN · Schlichte braune Holzmöbel, brauner Auslegteppich, schmucklose Wände: Saal 139 im Landgericht Köln ist an gewöhnlichen Tagen ein Hort nüchterner Sachlichkeit. Nicht jedoch an diesem Morgen.

 Das Gericht untersagt die Verbreitung eines Teils der Zitate aus dem Buch "Vermächtnis - Die Kohl-Protokolle".

Das Gericht untersagt die Verbreitung eines Teils der Zitate aus dem Buch "Vermächtnis - Die Kohl-Protokolle".

Foto: dpa

Es geht um die Urteilsverkündung im Streit zwischen Helmut Kohl und seinem Memoirenschreiber Heribert Schwan, und die Formalien sehen vor, dass der Richter die 115 strittigen Zitate des Altkanzlers vorträgt. Eine Stunde lang dauert das verbale Schmutzgewitter; eine Flut Kohl'scher Tiraden, nur im Rahmen gehalten von der Holzvertäfelung und dem beim Vortrag betont emotionslosen Gesicht von Richter Martin Koepsel.

Kohl hat sich in Hunderten Gesprächsstunden gegenüber seinem Ghostwriter über so ziemlich jeden Weggefährten ausgelassen. Da bekommen Rita Süßmuth ("Schreckschraube") und Norbert Blüm ("hinterfotzig", "Wackelpeter") ihr Fett weg, wird Lothar Späth als "Schaumschläger" abgewatscht und insgesamt geschimpft, dass sich die Balken biegen. Von Scheißdreck, Hass und den "Arschlöchern im Auswärtigen Amt" ist die Rede, von Verrätern, Nullen und bürokratischen Ochsen, Rüpeln, Schwätzern, fiesen Weibern, von Arschbackengesichtern und Volksschulhirnen.

Am Ende der Wiedergabe jener 115 Fiesheiten sinkt Richter Koepsel ermattet in den Stuhl und pariert das echohafte Seufzen aus dem Publikum : "Das war auch für mich die wahrscheinlich längste Urteilsverkündung." Nachzulesen ist Kohls Wortgewalt in dem aktuellen Bestseller "Vermächtnis. Die Kohl-Protokolle", den Heribert Schwan eilig auf den Markt gebracht hatte, nachdem er sich mit Kohl über dessen eigentliche Memoiren zerstritten hat. Wer ein historisches oder psychologisches Interesse an Kohls Einlassungen hat, muss sich nun sputen, um noch ein Buch zu ergattern. Das Landgericht Köln hat die Verwendung und Veröffentlichung strittiger Passagen gestern nämlich untersagt und dem Altkanzler damit Recht gegeben.

Dabei steht nicht in Abrede, dass Kohl sich tatsächlich derart abwertend geäußert hat - die Tonbänder, die dies dokumentieren, hat der CDU-Politiker sich jüngst in einem anderen Gerichtsverfahren von Schwan zurückerobert. Vielmehr geht es jetzt um Kohls Privatsphäre, die die 14. Zivilkammer verletzt sieht. "Aus der vertraglichen Situation konnte der Kläger (Kohl) sich sicher sein, dass die Materialsammlung nicht nach außen dringen würde", erklärt Koepsel. Heißt: Kohl hat in trauter Zweisamkeit frei und offen vom Leder gezogen, war aber davon ausgegangen, das Gesagte vor Druck glätten, die größten Lästereien streichen zu können.

Eine weitere oder andere Nutzung der Tonbänder sei Schwan ausdrücklich nicht erlaubt gewesen. Auch als "Interview" dürfe der Memoirenschreiber seinen bibliografischen Alleingang nicht verkaufen: "Er hatte als Ghostwriter eine dienende Aufgabe und sollte nach außen hin gar nicht in Erscheinung treten", betont das Gericht. Der Verstoß gegen das Vertraulichkeitsgebot ist damit nicht durch die Meinungs- und Pressefreiheit zu rechtfertigen.

Nur bei einer Handvoll von Zitaten - etwa da, wo es um die CDU-Spendenaffäre oder den Umgang von Deutschen und Juden geht - sieht Richter Koepsel ein öffentliches Interesse, das Kohls Recht auf Privatsphäre sticht. Diese Äußerungen, wie auch schon allseits bekannte Zitate - dürfen weiter publiziert werden.

Eine ausdrückliche Schweigepflichterklärung soll es indes nie gegeben haben. Und so sieht der Heyne-Verlag, der Schwans Indiskretionen veröffentlicht, "begründete Hoffnungen für die Berufungsinstanz". Man wird sich also schon bald vor dem Oberlandesgericht wiedersehen.

Jene 200 000 Exemplare des pikanten Bestsellers, die sich schon im Buchhandel befinden, dürfen weiterhin verkauft werden. Nachgeliefert wird dann - zumindest bis zum Urteil im Berufungsverfahren - nicht mehr. Der Verlag will lieber seinen nächsten Triumph ausspielen: eine geänderte Fassung des Buches, unter Verwendung anderer, bislang unveröffentlichter Kohl-Zitate. Das Reservoir daran scheint unerschöpflich zu sein.

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