Interview mit AfD-Fraktionschefin Alice Weidel: Zweierlei Maß im Bundestag

Berlin · Die AfD-Fraktionschefin Alice Weidel spricht im Interview über Koalitionen mit der Union, die Spaltung der Gesellschaft und politische Korrektheit. Zudem beklagt sie eine Ungleichbehandlung im Bundestag durch das Sitzungspräsidium.

 Alice Weidel, Fraktionsvorsitzende der AfD, während einer Generaldebatte im Deutschen Bundestag.

Alice Weidel, Fraktionsvorsitzende der AfD, während einer Generaldebatte im Deutschen Bundestag.

Foto: dpa

Hoffen Sie, dass sich von Sachsen aus eine Dynamik Bahn bricht hin zu CDU/AfD-Koalitionen?

Alice Weidel: Ich sehe in der CDU eine interessante Dynamik. So wie sich im Bund Ralph Brinkhaus gegen den Willen der Kanzlerin durchsetzen konnte, hat es in Sachsen Christian Hartmann gegen den Wunschkandidaten des Ministerpräsidenten geschafft. Das macht den CDU-Bundesparteitag im Dezember nach den Landtagswahlen in Bayern und Hessen nur noch spannender.

Haben Sie ein bisschen Angst vor Personalwechseln bei der CDU? „Merkel muss weg“ ist doch das einigende Band zwischen den AfD-Flügeln. Wie stehen Sie da, wenn das wegfällt?

Weidel: Angela Merkel muss endlich erkennen, dass für sie die Zeit gekommen ist. Deutschland ist unter Merkel bei sämtlichen Wohlstandsdaten im internationalen Vergleich zurückgefallen. Sie hat die völlig überstürzte Energiewende zu verantworten. Unter ihr kam es zu Dieselfahrverboten und zur Beschädigung der deutschen Autoindustrie. Wenn sie ginge, wäre das gut für unser Land.

Bleibt eine AfD ohne Merkel so stark wie sie gegen Merkel ist?

Weidel: Die AfD zeigt im Bundestag, dass sie Antworten auf die offenen Fragen der Zeit hat. Wir punkten inhaltlich.

Nach Merkel einigen Sie sich auf „Kramp-Karrenbauer muss weg“?

Weidel: Ich glaube nicht, dass sich Personen, die auf Merkel-Linie sind, in der CDU derzeit durchsetzen können.

Also sehen Sie größere Chancen für Jens Spahn?

Weidel: Er hält sich bedeckt, das könnte ein Indiz sein. Aber ich sehe aus der Außenperspektive keine elementaren Unterschiede zwischen Spahn und Merkel.

Fürchten Sie, dass CSU-Chef Horst Seehofer mit seinem Megastreit um Zurückweisungen Ihnen ein Thema wegnimmt?

Weidel: Was Seehofer da macht, steht alles auf wackligen Füßen. Wenn er als Ergebnis seiner Arbeit nur sagen kann, dass nach drei Jahren des Rechtsbruchs die Gesetze angeblich wieder eingehalten würden, dann grenzt das doch an Volksverdummung. Er hat mit einer Klage gegen die Herrschaft des Unrechtes beim Verfassungsgericht nur gedroht. Wir haben sie eingereicht.

Was wären Ihre Kernforderungen an die Union für eine Koalition?

Weidel: Die Grenzkontrolle an den deutschen Grenzen, weil sie an den europäischen Außengrenzen nicht funktioniert, das Ende der Euro-Rettungsarchitektur und eine spürbare Absenkung der Abgaben- und Steuerlast für die arbeitende Bevölkerung, um nur drei zu nennen.

Zu schnell dürfen Koalitionsverhandlungen aber nicht kommen. Sie wissen noch nicht, was Sie in der Renten- und Sozialpolitik wollen.

Weidel: Das wird schneller gehen, als Sie denken. Wir haben Konzepte in der Schublade, die wir noch austarieren müssen. Spätestens im nächsten Jahr werden wir das abgeschlossen haben.

In Chemnitz traten AfD-Politiker gemeinsam mit Pegida- und NPD-Vertretern auf. Müssen wir uns daran gewöhnen?

Weidel: Nein. Wir empfehlen allen Mitgliedern, nur noch an Demonstrationen teilzunehmen, die auch von der AfD angemeldet sind. Es bleibt aber immer das Problem, dass niemand kontrollieren kann, wer mitläuft. Deshalb mache ich bei solchen Demonstrationen nicht mit. Jeder sollte für sich vereinbaren, wie derartige Vorfälle das Außenbild der Gesamtpartei beeinflussen.

Relativiert man nicht die Distanzierung vom Hitlergruß, wenn man den Nationalsozialismus als „Vogelschiss“ bezeichnet?

Weidel: Die Debatte über diese Äußerung von Alexander Gauland hat das Zitat völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Diese Verbindung gibt es nicht.

Sie selbst sorgen auch für Aufregung im Bundestag. Überlegen Sie sich, welche Provokationen Sie in ihre Rede einbauen, um mehr Aufmerksamkeit zu bekommen?

Weidel: Natürlich brauchen wir Polarisierungen, um eine Debatte anzustoßen. Mit der Formulierung „Kopftuchmädchen“, die von Thilo Sarrazin stammt, habe ich auf die Stellung der Frau in islamisch geprägten Gesellschaften und das daraus folgende Ausbildungsniveau aufmerksam gemacht…

… und sich noch mehr Aufmerksamkeit durch den Ordnungsruf des Bundestagspräsidenten gesichert. Freuen Sie sich, wenn die anderen sich empören?

Weidel: Nein, und der Ordnungsruf war auch absolut unangemessen. Es gibt viel schlimmere Vorgänge im Bundestag, bei denen keine Ordnungsrufe erfolgen. Zum Beispiel, wenn mein Co-Vorsitzender auf den Misthaufen gewünscht wird. Da wird mit zweierlei Maß gemessen.

Was ist falsch an politischer Korrektheit, dass Sie diese auf den Müllhaufen der Geschichte werfen wollen?

Weidel: Die Sprachglättung der political correctness führt dazu, dass wichtige Dinge nicht mehr ausdiskutiert werden. Wir sollten den Sprachkorridor für den öffentlichen Diskurs weiter öffnen, statt bestimmte Arten von Politik für alternativlos zu erklären.

Ist es ein Erfolg für die AfD, dass die anderen Parteien jetzt auch mehr polarisieren?

Weidel: Ich sehe mit großer Sorge, dass sich die Gesellschaft immer weiter spaltet. Wenn das so weitergeht, haben wir irgendwann nur noch „Hippies“ und „Nazis“. Mit dieser hysterischen Eskalationskultur kommen wir aber nicht weiter.

Also sollten alle weniger polarisieren? Oder verliert die AfD dann ihr Erkennungszeichen?

Weidel: Im Parlament geht es darum, Kompromisse zu schließen. Dem dient es nicht, wenn man andauernd nur mit der verbalen Keule aufeinander losgeht. Rückkehr zur Sachpolitik – da sind wir gerne dabei.

Macht Ihnen die linke Sammlungsbewegung von Sahra Wagenknecht Konkurrenz?

Weidel: Das ist sicherlich eine interessante Option und dient wohl der Vorbereitung der ostdeutschen Landtagswahlen. Wir sind die rechtsliberale, freiheitliche Sammlungsbewegung und unterscheiden uns kolossal von den Wagenknecht-Plänen. Wir wollen zum Beispiel weniger und nicht mehr Steuern, höhere Grundfreibeträge statt reglementierter Umverteilung, Recht und Ordnung statt Anarchie.

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