Eskalation zwischen Özil und DFB Aiman Mazyek: "Vor einem Scherbenhaufen"

Köln · Mit einem Rundumschlag gegen den DFB beendet Mesut Özil seine Nationalmannschaftskarriere. Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, spricht im Interview über die Folgen des Özil-Rücktritts.

 Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime.

Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime.

Foto: picture alliance/dpa

Mesut Özil tritt aus der Fußball-Nationalmannschaft zurück, weil er das Gefühl von Rassismus und Respektlosigkeit verspürt. Ist das konsequent oder falsch?

Aiman Mazyek: Es ist nicht nur ein Gefühl, es ist real. Die Rassismus-Debatte in Deutschland wird aber leider oft verdrängt und verharmlost. Und wenn sich dann einige dazu äußern, wird ihnen nicht selten von Nicht-Betroffenen entgegengehalten, das seien Totschlagargumente und reines Opfergehabe. Auch jetzt macht man sich nicht die Mühe, der verletzten Seele – immerhin ein deutscher Weltmeister und x-facher Spieler des Jahres – einmal zuzuhören. Es wird so getan, als gehe es ausschließlich um das Foto. Man kann nicht einerseits das Foto mit Erdogan einer politischen Kritik unterziehen, aber anderseits bei der Rassismus- und Sündenbock-Kampagne gegen Özil schweigen.

Warum hat Özil das Foto überhaupt gemacht?

Mazyek: Mesut Özil hatte sich bewusst entschieden, als Deutscher, in Gelsenkirchen geboren, für die deutsche Nationalmannschaft zu spielen. In der Türkei war er dafür von den Nationalisten oft als Verräter beschimpft worden. Die Erwartungshaltung von allen Seiten an ihn ist also nicht gerade klein. Ich hätte ihm dennoch davon abgeraten, auch wenn er es nicht als politische Botschaft verstanden wissen will, so kurz vor der Wahl in der Türkei und der Weltmeisterschaft das zu tun.

Warum spricht keiner über Ilkay Gündogan, der auch auf dem Foto war?

Mazyek: Ja, und vor allem warum spricht keiner mehr von der desolaten Vorstellung der gesamten Mannschaft? Gündogan hat übrigens trotz Erklärung üble Beschimpfungen in Stadien erfahren, es ergoss sich Hass über ihn im Internet und sein Auto wurde in seiner Abwesenheit abgefackelt.

Was bedeutet dieser Eklat für den Zusammenhalt der Gesellschaft?

Mazyek: Der Umgang mit Minderheiten, religiös oder weltanschaulich, ist immer ein Lackmustest, wie ernst wir es in unserer freien demokratischen Gesellschaft meinen. Rassismus ist eine Geißel der Menschheit und gibt es leider überall. Wir dürfen das aber nicht mehr verharmlosen. Jetzt stehen wir vor einem Scherbenhaufen, aber es birgt auch die Chance, dass das, was man gemeinhin dem Migranten oft vorwirft, zu wenig Selbstkritik zu besitzen, nun als deutsche Gesellschaft einmal wieder einübt: Selbstkritik. Nur so machen wir den holen Beigeschmack der unsäglichen Debatte der letzten Wochen wett, nur so verhelfen wir den Rassisten nicht weiter zum Sieg, die sich jetzt in der Position bestätigt fühlen: Den Sieg holen die Deutschen, für die Niederlage sind die Migranten verantwortlich.

Wie kritisch ist die Situation für DFB-Chef Reinhard Grindel?

Mazyek: Herr Grindel hat durch seine unwürdige Sündenbockdebatte um Özil die Rassismus-Debatte weiter befeuert. Es war ein reines Ablenkungsmanöver von der schlechten Leistung der Mannschaft, des Präsidenten und seines Teams. Ich hätte vom Präsidenten des größten Fußballverbandes der Welt, in dem sehr viele Nachwuchskicker mit Migrationsgeschichte am Start sind und die bisher in der Mannschaft das große Vorbild sahen, etwas anders erwartet.

Welche Konsequenzen müsste es Ihrer Ansicht nach geben?

Mazyek: Bisher unterschätzt man die Rassismus-Vorwürfe, die nun mit Özils Abgang haften bleiben. Vor allen im Ausland ist das Bild verheerend. Denn erstens ist Özil einer der bekanntesten Deutschen im internationalen Sportgeschäft und zweitens ist er für viele Deutsch-Türken ein Vorbild. Dieser Eklat wird eine Zäsur im gesamten gesellschaftlichen Integrationsprozess sein. Er wirft uns um Jahre zurück. Dass Grindel die Debatte um Özil erst laufen ließ und dann nachtrat, würde auf dem Platz mit Rot bestraft werden. Ein solches Verhalten ist eines Präsidenten nicht würdig und er sollte deshalb seinen Hut nehmen.

Können sich der DFB und Mesut Özil versöhnen?

Mazyek: Özil hat eine Hintertür offengelassen und gesagt, er werde so lange nicht für Deutschland spielen, wie er diesen Rassismus und diese Respektlosigkeit verspüre. Insofern gibt es die Chance auf Versöhnung. Wenn der DFB Mühen nicht scheut, diesen Totalschaden zu reparieren und sich anschickt, die vielen aufgerissenen Wunden heilen zu wollen, würde ich an Özils Stelle niemals nie sagen. Ich bin gespannt, ob und wie man das Abschiedsspiel dieses Weltmeisters und x-fachen Spielers des Jahres in Deutschland organisieren wird.

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