Interview mit Frank Ulrich Montgomery Ärztepräsident beklagt zunehmende Gewalt gegen Ärzte

BONN · Immer wieder wird medizinisches Personal im Dienst angegriffen. Im Interview spricht Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery über zunehmende Gewalt und die Pläne für eine Bürgerversicherung.

 Immer häufiger werden Ärzte im Dienst angegriffen – auch in Notaufnahmestellen.

Immer häufiger werden Ärzte im Dienst angegriffen – auch in Notaufnahmestellen.

Foto: dpa

Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery beklagt eine immer stärker zunehmende Gewalt gegen Ärzte, fordert mehr Geld für die Notfallversorgung und wünscht sich eine Rückkehr zur Parität bei der Finanzierung der Krankenkassen. Mit ihm sprach Eva Quadbeck.

Sollte die SPD ihre Pläne für eine Bürgerversicherung realisieren können – was würde sich für die Ärzte ändern?

Frank Ulrich Montgomery: Die SPD wird ihre Pläne für eine Bürgerversicherung nicht realisieren können – und schon gar nicht in einer Legislaturperiode. Eine Bürgerversicherung würde bedeuten, das Sozialversicherungssystem von den Füßen auf den Kopf zu stellen. Mit allen Nachteilen. Dafür gibt es nun wirklich keine Notwendigkeit.

Die Befürworter sagen, dass in Deutschland eine Zwei-Klassen-Medizin herrscht . . .

Montgomery: Das ist eine gefährliche Falschaussage. In allen Ländern der Welt gibt es Unterschiede bei der Gesundheitsversorgung der Bürger. Das deutsche System ist mit Abstand das gerechteste System, was Umfang und Qualität der Leistungen betrifft und es garantiert den Zugang aller Bürger zur Versorgung.

Es gibt immer mehr ältere Privatversicherte, die ihre Prämien nicht mehr zahlen können – auch sie drängen auf eine Bürgerversicherung . . .

Montgomery: Aus genau dem Grund sind die gesetzlichen Kassen ja gegen die Einführung einer Bürgerversicherung, weil dann erst einmal nur die sogenannten schlechten Risiken und die teuren Versicherten in die Sozialversicherung gehen. Für die wenigen, die tatsächlich nicht mehr ihre Prämien zahlen können, muss es eine andere politische Lösung geben. Nur für diese Gruppe kann doch nicht ein ganzes System umgestellt werden. Zumal sich viele dieser Leute ja mal bewusst der Solidarität des gesetzlichen Systems entzogen und für das private System entschieden haben, weil es in jungen Jahren günstig für sie war.

Wie würde sich unser Gesundheitssystem durch eine Bürgerversicherung verändern?

Montgomery: Unser Gesundheitssystem würde sich massiv verändern. Alles was unser Gesundheitssystem qualitativ auszeichnet, läuft Gefahr zu verschwinden. Eine Umstellung würde zudem zu immensen Kosten führen. Bei der günstigsten Lösung würde der Beitragssatz in der gesetzlichen Krankenversicherung von heute durchschnittlich 15,7 auf dann 16,7 Prozent steigen – nur für einen Systemwandel, der nichts in der Gesundheitsversorgung verbessert. Statt einem weißen Elefanten nachzurennen, muss eine Regierung die Probleme des Gesundheitssystems lösen, die sich beispielsweise aus der demografischen Entwicklung ergeben und die im Personalmangel und der schlechten Bezahlung in der Pflege liegen.

Debattiert wird auch die Frage einer Rückkehr zur paritätischen Finanzierung der Kassen durch Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Montgomery: Die unterschiedlichen Beitragssatzkonstruktionen aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil sowie Zusatzbeitrag für die Arbeitnehmer machen keinen Sinn. Ich halte es für durchaus legitim, zur klassischen paritätischen Finanzierung der Krankenkassen zurückzukehren und damit die Wirtschaft stärker in die Verantwortung zu nehmen.

Was erwarten Sie von einer neuen Regierung?

Montgomery: Vorneweg steht das Problem Notfallversorgung. Das müssen wir im Sinne der Menschen lösen. Die gegenseitigen Schuldzuweisungen von Kliniken, niedergelassenen Ärzten und Krankenkassen müssen aufhören. Wir haben ein verändertes Anspruchsverhalten in der Bevölkerung. Die Leute gehen häufiger direkt in größere medizinische Einrichtungen. Darauf müssen wir reagieren. Wir benötigen mehr Medizinische Versorgungszentren oder Kliniken mit Portalpraxen. Da gibt es viele gute Modelle, die muss man endlich ermöglichen und dafür genug Geld zur Verfügung stellen.

Kriegen Sie überhaupt eine Einigung innerhalb der Ärzteschaft hin?

Montgomery: Ja, wenn eine ausreichende Finanzierung für die Notfallversorgung zur Verfügung steht, dann wird es auch gelingen, ein gemeinsames Konzept von niedergelassenen Ärzten und Kliniken flächendeckend aufzubauen. Für die Notfallversorgung muss es eine Finanzierung außerhalb der Budgetierung der gesetzlichen Krankenkassen geben.

Wie stellen Sie sich die Finanzierung vor – Beitragserhöhungen?

Montgomery: Nein. Die nächste Regierung muss nur dafür sorgen, dass das Geld der Leistung folgt, also dorthin fließt, wo es hineingehört. Für die Hartz-IV-Empfänger werden zu niedrige staatliche Zuschüsse an die Krankenkassen gezahlt. Im Durchschnitt nehmen sie pro Monat Leistungen für 270 Euro in Anspruch. Gezahlt werden monatlich aber nur 90 Euro. Insgesamt geht es da um fast neun Milliarden Euro pro Jahr.

Wenn Praxis- und Krankenhausärzte tatsächlich ein gemeinsames Notfallversorgungs-System anbieten, werden sich dann auch die Wartezeiten der Patienten verkürzen?

Montgomery: Das kann ich nicht versprechen. Bei der Notfallversorgung werden die Patienten auch künftig nach Dringlichkeit versorgt. In Portalpraxen kann man die Patienten aber schnell nach Dringlichkeit sortieren.

Welches Thema ist für die Ärzte dringlich?

Montgomery: Gewalt gegen Ärzte. Wir erleben derzeit eine totale Verrohung bei einigen Patienten und ihren Angehörigen gegenüber medizinischem Personal. Das ist auch im Umfeld der Silvesterfeiern wieder deutlich geworden. Da sind Rettungssanitäter und Notärzte angegriffen worden, weil man sie für Repräsentanten der Staatsmacht hält. Das kriegen wir als Ärzteschaft alleine nicht in den Griff. Auch in Notaufnahmestellen passiert es immer wieder, dass Leute wegen der Wartezeiten sehr aggressiv werden. In einigen Krankenhäusern gibt es bereits Sicherheitsdienste, um das Personal dort zu schützen. Die Politik muss dringend einen Kulturwandel befördern, damit man wieder begreift, dass diese Menschen Retter und Helfer sind.

Warum wenden Sie sich gegen eine medizinische Bestimmung des Alters bei Flüchtlingen mit ungeklärter Identität?

Montgomery: Schon heute ist es möglich, das Alter von Straftätern nach richterlicher Anordnung zu bestimmen. Wobei eine exakte Ermittlung nicht möglich ist. Wir Ärzte wehren uns aber dagegen, dass bei allen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen im Jugendlichen-Alter durch Röntgenuntersuchungen oder Untersuchungen der Genitalien eine pseudogenaue Altersbestimmung vorgenommen wird. Da stehen wir im Einklang mit der UN-Kinderrechtskonvention. Die Untersuchung der Genitalien ist mit Rücksicht auf die Psyche und die kulturelle Herkunft der Jugendlichen abzulehnen. Die Röntgenuntersuchungen sind angesichts des in Deutschland verankerten Prinzips der Vermeidung von Strahlen grundsätzlich abzulehnen.

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