Kommentar zu Diskussionen um eine große Koalition Zeit zum Umdenken

Meinung | Bonn · Für eine große Koalition spricht, dass Deutschland mit einem solchen stabilen Bündnis seiner Verantwortung in der Welt gerecht werden kann, kommentiert Eva Quadbeck.

 Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit Martin Schulz, dem Parteivorsitzenden der SPD.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mit Martin Schulz, dem Parteivorsitzenden der SPD.

Foto: dpa

Für die SPD ist es Zeit zum Umdenken. Eine erneute große Koalition wäre besser als Neuwahlen – für Deutschland, für Europa und auch für die Sozialdemokraten selbst. Was will die SPD denn bei einem erneuten Urnengang gewinnen? Mit welchem Programm? Mit welchem Kandidaten? Vor allem: Mit welcher Machtoption?

Die SPD kann sich doch nicht einer großen Koalition verweigern und dann in einen Wahlkampf ziehen, in dem eben dieses Bündnis ihre eigentliche Möglichkeit ist, ihre Wahlversprechen umzusetzen. Da die Jamaika-Sondierungen gescheitert sind, können die Sozialdemokraten ihr Vorhaben eines vierjährigen Erneuerungsprozesses nicht umsetzen – unabhängig davon, ob es zu einer großen Koalition oder zu Neuwahlen kommt.

Die SPD sollte zu ihrem alten Grundsatz „Erst das Land, dann die Partei“ zurückkehren. Aus dieser Haltung heraus ist sie groß geworden. Daraus speisen sich ihre früheren Erfolge. Auf dem Umkehrschluss liegt kein Segen. Neuwahlen würden die SPD nicht von der Stelle bringen.

Allerdings sollte die Neuauflage einer großen Koalition mehr bieten als ein „Weiter so“. Im Wahlkampf haben die Parteien feststellen müssen, dass sie viele Anliegen der Bürger schlicht übersehen haben. So gelangte ein Pfleger zur Berühmtheit, der in einer Wahlkampfsendung mit Kanzlerin Merkel die Arbeitsbedingungen des Pflegepersonals anprangerte. Es wäre sinnvoll, wenn sich die Parteichefs einer großen Koalition auch während der Regierungszeit solchen Diskussionsrunden stellen würden. Echte Missstände könnten erkannt werden und ins Regierungshandeln einfließen. Ganz nebenbei kann man mit einer solchen Art von Politik den Rechtspopulisten den Wind aus den Segeln nehmen.

Zum politischen Einmaleins gehört, dass große Koalitionen die radikalen Ränder stärken. Die vergangene Wahlperiode hat erneut gezeigt, dass diese Binsenweisheit zutrifft. Allerdings entsteht dieser Effekt vor allem dann, wenn eine große Koalition ihre Chancen nicht nutzt. Ein Bündnis der beiden größten Parteien im Bundestag kann auch große Reformen anschieben. Die sind in der vergangenen Wahlperiode aber liegen geblieben – wie es sich derzeit bei der Digitalisierung, in der Bildung und auch bei den Zielen des Pariser Klima-Abkommens zeigt. Eine neu aufgelegte große Koalition müsste also wirklich der Versuchung widerstehen, mit der Gießkanne jeweils Geld an die eigene Klientel zu verteilen.

Eine solche große Koalition zu schmieden, dürfte ein ähnlich schwieriges Unterfangen sein, wie ein Jamaika-Bündnis. Es wäre aber der Anstrengung wert, sich ein inspirierteres Regierungsprogramm zu geben, als die Agenda der vergangenen vier Jahre. Für eine große Koalition spricht zudem, dass Deutschland mit einem solchen stabilen Bündnis seiner Verantwortung in der Welt gerecht werden kann.

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