GA-Korrespondenten berichten Was das Ausland über die Bundestagswahl denkt

Bonn · In den USA wünscht man sich einen Sieg Angela Merkels – wegen Brexit und Wladimir Putin. Franzosen blicken ehrfürchtig auf die Kanzlerin. Erdogan fordert einen Denkzettel für alle großen. Das denkt das Ausland über die Wahl.

USA: Wunsch nach Merkel

Mit Barack Obama wäre alles ganz einfach. „Wenn ich Deutscher wäre und wählen dürfte“, hatte Präsident Nummer 44 bei seinem Abschiedsbesuch in Berlin gesagt, „würde ich sie unterstützen.“ Sie – damit meinte er Angela Merkel. Wo Donald Trump sein Kreuz machen würde, weiß man dagegen nicht so recht. Seit die Kanzlerin, bedingt durch Trumps Irrlichtereien, in US-Einflusszirkeln noch entschiedener als „Führerin des freien Westens“ gelobt wird, ist Präsident 45 latent vergrätzt.

Dennoch: Die Mehrheit in der am Ausland traditionell desinteressierten Amerikaner geht von Merkels vierter Kanzlerschaft aus. Man braucht sie. Als Anker der Verlässlichkeit. Wegen des Brexit. Wegen des russischen Präsidenten Wladimir Putin. In welcher Koalition? Nicht wichtig. Martin Schulz kennen in den USA dagegen wenige. Häufiger in den Medien kommt dagegen die AfD vor. Man wundert sich über das Erstarken der rechten Tabubrecher.

Dirk Hautkapp, Washington

Frankreich: Gütesiegel Merkel

Sie liegt gleichauf mit Bier, Autos und Pünktlichkeit: Für Franzosen ist Merkel laut Umfragen zu einem Aushängeschild Deutschlands geworden, eine Art Gütesiegel. Mit Ehrfurcht blicken sie auf jene Frau, die in den Augen vieler Deutschland so pragmatisch-souverän regiert und Europas Weg maßgeblich bestimmt. Dass sich daran nach der Bundestagswahl etwas ändert, vermag sich in Frankreich kaum einer vorzustellen – inklusive Präsident Emmanuel Macron. Bei keiner der zahlreichen Gelegenheiten, zu der er und die Kanzlerin einander begegneten, ließ er Zweifel daran, dass er auch künftig mit Merkel zusammenzuarbeiten gedenkt.

Im Juli empfing er allerdings auch Schulz im Élysée-Palast. Macron selbst ist der Beweis dafür, dass Umfrageinstitute sich täuschen können: Noch einige Monate vor der Wahl galt er als Außenseiter, der letztlich vom Absturz der Volksparteien profitierte.

Von einer vergleichbaren Aufmerksamkeit, ja Aufgeregtheit, die die französischen Wahlen im Land erregten, ist kurz vor dem Votum in Deutschland jedoch nichts zu spüren. „Man hat den Eindruck, es ist schon entschieden“, sagt Hélène Bonnet, Journalistin beim Info-Fernsehsender LCI. Zugleich ist es wohl kein Zufall, dass Marion Van Renterghem von „Le Monde“ gerade jetzt die Biografie „Angela Merkel, das politische Ufo“ veröffentlicht. Für eine einfühlsame Serie über die Kanzlerin und ihren Weg in die Politik hat sie in diesem Jahr den deutsch-französischen Journalistenpreis erhalten.

Birgit Holzer, Paris

Türkei: Feindbild Deutschland

Früher hatte die Türkei Bundestagswahlen unter dem Kriterium der EU-Bewerbung des Landes beobachtet: Wird die neue Regierung die türkische Kandidatur unterstützen oder nicht? Diesmal ist es anders. Präsident Recep Tayyip Erdogan betrachtet alle großen Parteien in Deutschland als „Feinde der Türkei“ und ruft die türkischstämmigen Wähler auf, Merkel und Schulz gleichermaßen einen Denkzettel zu verpassen. Erdogan wirft Berlin vor, türkische Staatsfeinde zu schützen, weil kurdische Aktivisten und mutmaßliche Anhänger des Predigers Fethullah Gülen in Deutschland Aufnahme finden. Diese Konfrontation wird auch nach der Wahl weitergehen.

Susanne Güsten, Istanbul

Großbritannien: Mummy Merkel

Die Briten haben größte Freude an „Mutti“. Mit der Übersetzung „Mummy“ taucht der Spitzname in so ziemlich jedem Artikel über Merkel in der britischen Presse auf. Dabei ist die Berichterstattung über den als „langweilig“ gesehenen Wahlkampf äußerst spärlich. Im Königreich scheint die Bundestagswahl gelaufen. Alles andere als ein Sieg von Merkel wäre eine Überraschung. Die Kanzlerin wird mehrheitlich als durchsetzungsstarke, mächtige Frau wahrgenommen, die an der Spitze eines Landes steht, für das die Briten schon seit Längerem eine Bewunderung hegen.

Doch dann kam die Flüchtlingskrise, und die rechtskonservative Presse gab Merkel die Schuld, dass Millionen Menschen in Europa eine bessere Zukunft suchten. Dass es der Wahlkampf nur unregelmäßig über den Ärmelkanal schafft, liegt jedoch nicht nur an der fehlenden Spannung. Die Briten haben durch den Brexit genug mit sich selbst zu tun.

Katrin Pribyl, London

Russland: AfD diskreditiert

Noch im Frühjahr diskutierte Moskaus halbstaatliche Öffentlichkeit angesichts von Brexit und Trump einen möglichen populistischen Erdrutschsieg in Deutschland. Aber nach der Schlappe Marine Le Pens in Frankreich und den Landtagserfolgen der CDU scheint es, als finde sich Russland mit Merkel ab. Zumal die Alternative Schulz heißt und der Kandidat als Putin-Kritiker gilt. Und die AfD, die zwischendurch als große prorussische Hoffnung galt, diskreditiert sich selbst aus Moskauer Sicht: „Die Alternative für Deutschland ruft zum Stolz auf die Errungenschaften der Nazis auf“, schimpfte das kremlnahe Portal regnum.ru.

Stefan Scholl, Moskau

Aktuelle Informationen und Hintergründe zur Bundestagswahl gibt es in unserem Thema.

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