Krisengipfel im Bundesverkehrsministerium Was bei der Deutschen Bahn alles schiefläuft

Berlin · Verspätete Züge, defekte Technik, zu wenig Mitarbeiter: Auf der Schiene hat sich über die Jahre ein Berg an Problemen angehäuft. Ihn abzubauen, wird schwierig und dauert. Nun gab es bereits den zweiten Krisengipfel im Bundesverkehrsministerium.

 Zwei Bahnen in Berlin auf den Gleisen zwischen Warschauer Brücke (hinten) und Modersonbrücke.

Zwei Bahnen in Berlin auf den Gleisen zwischen Warschauer Brücke (hinten) und Modersonbrücke.

Foto: picture alliance / dpa

Noch am Vortag war Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) von Berlin nach Bamberg mit dem Zug hin- und zurückgefahren. Der Minister hatte Glück. Beide Verbindungen waren pünktlich. Doch schon der Nachfolgezug fiel aus. Ein Ersatzzug musste her. Scheuers Anekdote zeigt: Wer in diesen Tag auf das Fortbewegungsmittel Bahn setzt, benötigt Glück oder Leidensfähigkeit. Der Staatskonzern kämpft insbesondere mit der Pünktlichkeit im Fernverkehr. Beim zweiten Krisengipfel im Bundesverkehrsministerium innerhalb weniger Tage sollte über konkrete Punkte gesprochen werden, wie das Problem in den Griff zu bekommen ist. Wir beantworten die wichtigsten Fragen zu dem Treffen.

Woran hapert es?

Dass jeder vierte Fernzug 2018 verspätet war, hat mehrere Gründe. Den mit 50 Prozent größten Anteil machten aber zuletzt Wartungsprobleme aus. Die Werkstätten haben nicht genügend Personal, um die veraltete Zugflotte auf die Strecke zu bringen. Zugleich gab es nicht genügend Reservezüge. Zudem knubbelt es sich auf der Strecke. „Seit Jahrzehnten hat der Bund kaum in die Erweiterung der Kapazitäten investiert, jetzt erreichen sie ihre Grenzen – diese Netzüberlastung ist der Hauptgrund für die Verspätungsmisere“, meint Christian Böttger, Professor für Wirtschaftsingenieurwesen an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin.

Welche Lösungen wurden der Politik am Donnerstag vorgestellt?

Bahnchef Richard Lutz hatte als Mitbringsel zu der Frühstücksrunde im Ministerium einen Fünf-Punkte-Plan im Gepäck. Der enthält kurz zusammengefasst: mehr Schienen, mehr Züge und mehr Personal. 22 000 neue Mitarbeiter will die Bahn einstellen. Durch eine Aufstockung des Werkstattpersonals sollen so beispielsweise mehr Züge rollen. In das Eisenbahnnetz wollen Konzern und Bund im laufenden Jahr insgesamt 10,7 Milliarden Euro stecken, für Digitalisierung und die Kapazitätserweiterungen kommen noch einmal 1,1 Milliarden Euro hinzu. Um mehr Menschen zu transportieren, werden außerdem 15 neue ICE und zehn neue IC angeschafft. Und Lutz kündigte unter anderem an, dass Baustellenmanagement zu verbessern.

Was sagen Experten zu den Maßnahmen?

Bahnexperte Böttger sieht nicht viel Neues an den nun präsentierten Maßnahmen und weist auf ein weiteres Problem hin: „Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, den Schienenverkehr bis 2030 zu verdoppeln. Hierfür werden Neubauinvestitionen von circa 80 Milliarden Euro benötigt, die derzeitige Haushaltslinie sieht aber nur 20 Milliarden Euro vor.“ Und selbst wenn zusätzliche Mittel bereitgestellt würden, reichten die Planungskapazitäten nicht aus. Kritik kommt auch vom Bundesrechnungshof, der am Donnerstag einen kritischen Bericht über den Umgang mit dem Staatskonzern vorgelegt hat.

Was genau bemängeln die Rechnungsprüfer?

Sie werfen dem Bund schlicht vor, seiner Verantwortung als Alleineigentümer der Bahn nicht nachzukommen. 2017 und 2018 seien tatenlos verstrichen. Der Bund lasse die Bahn gewähren und nehme viel zu wenig Einfluss auf deren Entscheidungen. So habe sich vor allem der Ausbau des Auslandsengagements der Bahn in den letzten 25 Jahren als falsch erwiesen. Heute erwirtschafte die Bahn 43 Prozent ihres Umsatzes im Ausland. Aber die dort erzielten Gewinne würden dem Bahn-Kerngeschäft im Inland nicht zugutekommen. Zudem binde das Auslandsgeschäft Managementkapazitäten, die dringend im Inland gebraucht würden. Der Rechnungshof rät, die Auslandstöchter Arriva und Schenker zu verkaufen und die Erlöse in Personal, Züge und Netz im Inland zu investieren. Auch gebe es Fehlinvestitionen wie Stuttgart 21, das die Bahn mehr als fünf Milliarden Euro koste, die aber besser in neue Züge oder Personal geflossen wären. Der Vorstand habe zudem zu wenig Kontrolle und Überblick über die Aktivitäten der über 700 Bahn-Töchter. Auch solle der Bund über eine neue Rechtsform für die Bahn nachdenken.

Woran stießen sich die Rechnungsprüfer schon vor sechs Wochen?

Damals hatte der Rechnungshof einen ersten Sonderbericht vorgelegt. Darin hatte er kritisiert, dass die Bahn einen Anreiz habe, das Netz so lange auf Verschleiß zu fahren, bis der Bund Geld nachschießen müsse. Die Bahn muss die Instandhaltung der Infrastruktur aus eigenen Mitteln zahlen, der Bund finanziert die Ersatzinvestitionen. So sei es für das Unternehmen günstig, auf Verschleiß zu fahren. Wenn dann der Ersatz von Schienen oder Brücken überfällig ist, muss dies der Bund finanzieren. Vertraglich vereinbarte Qualitätskennzahlen zur Infrastruktur bilden den Zustand laut Rechnungshof zudem nur unzureichend ab: Sie zeigen eine kontinuierliche Verbesserung, obwohl der Investitionsstau wächst. Sanktionen gegen die Bahn sind laut Rechnungshof wirkungslos, weil die Beträge, die der Bund fordern kann, zu gering sind.

Wie sollen die neuen Bahn-Investitionen finanziert werden?

Um ihre Maßnahmen für mehr Pünktlichkeit zu finanzieren, fehlen der Bahn 2019 gut zwei Milliarden Euro, die sie durch Einsparungen, Unternehmensverkäufe oder Verschuldung finanzieren muss. Mehr Geld aus dem Bundeshaushalt 2019 kann sie vorerst nicht erwarten. Bis 2023 braucht sie nach eigenen Angaben elf Milliarden Euro zusätzlich. Wie diese finanziert werden sollen, ist offen. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) wird zunächst mit Finanzminister Olaf Scholz (SPD) über die Jahre ab 2020 verhandeln müssen. Zudem laufen die Verhandlungen für die dritte Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) zwischen dem Bund und der Bahn, aus der die Netz-Investitionen bezahlt werden. Im Durchschnitt bezuschusst der Bund die Bahn dafür jährlich mit vier Milliarden Euro. Im Sommer sollen die Verhandlungen für die Jahre ab 2020 abgeschlossen sein.

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