GA-Serie "Macht und Mehrheit" So funktionieren die verborgenen Machtzirkel

Berlin · Wichtige politische Entscheidungen werden nicht auf der großen Bühne verhandelt, sondern bereits im Hinterzimmer abgeklärt. Gremien wie der nicht öffentliche Koalitionsausschuss geben die Marschrichtung vor.

Manchmal muss ein Foto – aufgenommen aus etwa 150 Meter Entfernung – dann eben eine Geschichte erzählen, wenn die Teilnehmer schon nicht reden wollen. Wenn der Koalitionsausschuss von CDU, CSU und SPD in den vergangenen knapp vier Jahren tagte, war Öffentlichkeit meist nicht erwünscht. Limousinen fahren im Kanzleramt vor, Parteichefs und Fraktionschefs steigen aus, manchmal auch Minister, wenn die Themen in ihre Zuständigkeit fallen. Das war es dann aber auch für die Öffentlichkeit. Vermutlich auch deshalb sorgte dpa-Fotograf Kay Nietfeld für Schlagzeilen, weil er es schaffte, einen doch verborgenen Moment öffentlich zu machen.

Von der Straße aus gelang es Nietfeld, eine Szene zwischen Angela Merkel und Horst Seehofer, die sich gerade zu einer Vorbesprechung trafen, festzuhalten, in der es so aussieht, als mache der CSU-Chef vor der CDU-Chefin einen Diener. Kotau vor der Kanzlerin in der Flüchtlingsfrage? Für Seehofer undenkbar, obwohl er mittlerweile auf einer Obergrenze – mindestens jedoch auf dem Begriff – in einem künftigen Koalitionsvertrag nicht mehr besteht. Tatsächlich hielt Nietfeld nur den Moment fest, in dem sich Seehofer setzen will.

Oft genug trafen sich Merkel, Seehofer und der einstige SPD-Chef Sigmar Gabriel – nur bei einem Koalitionsausschuss im März dieses Jahres war Nachfolger Martin Schulz dabei – an einem Sonntag. Dann also, wenn die hektische Regierungsmaschine etwas ruhiger fährt, besprechen sie bevorzugt strittige Themen, bevor sie zu Regierungshandeln werden. Zuletzt zofften sich Merkel, Seehofer und Schulz im Koalitionsausschuss unter anderem über die Ehe für alle. Bei dem Treffen im März musste sich der SPD-Vorsitzende von Merkel da noch anhören: „Versuchen Sie es gar nicht erst.“ Es kam alles ganz anders. Die CDU-Chefin räumte nur vier Monate später das Thema ab und gab die Abstimmung im Bundestag auch in der eigenen Fraktion frei, bevor SPD mit Grünen und Linken im Geleitzug damit im Bundestagswahlkampf punkten konnten.

Stilles Gremium: Koalitionsausschuss

Koalitionsausschüsse sind die stillen Entscheidungsgremien für späteres Regierungshandeln. Was hier verabredet wird, landet in der Regel später im Bundesgesetzblatt – vorbehaltlich möglicher Bedenken der Bundesländer, wenn deren Interessen berührt sind und der Bundesrat eben zustimmen muss. Denn auch die Länderkammer hat ihre eigenen Zirkel, in denen – getrennt nach Parteibuch des jeweiligen Ministerpräsidenten – Entscheidungen vorbesprochen werden. Vor einer Sitzung des Bundesrates am Freitag tagen meist am Abend zuvor die SPD-geführten Länder (A-Länder) und die Unions-geführten Länder (B-Länder) in getrennten Sitzungen und stimmen ihre Positionen ab. Inzwischen stellen auch die Grünen mit Winfried Kretschmann (Baden-Württemberg) sowie Die Linke mit Bodo Ramelow (Thüringen) einen Ministerpräsidenten. Hart gerungen wird meist um Geld, weil auch im Bundesrat die alte Regel gilt: Erst das Land, dann die Partei. Dafür wird Kretschmann von seinen Grünen gegeißelt, wenn er gegen die allgemein gängige Parteiräson dafür stimmt, Länder des westlichen Balkans bei der Abstimmung im Bundesrat gemeinsam mit Unions-geführten Ländern zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Kretschmann bekommt dafür zu hören, dass er, der bislang einzige Ministerpräsident in der Grünen-Parteigeschichte, sich dafür hergibt, das deutsche Asylrecht weiter auszuhöhlen. Der Protest eines nächsten Bundesparteitages ist ihm da schon gewiss.

Was kommt wann auf die Tagesordnung?

Wenn eine Parlamentarische Woche des Bundestages noch nicht das Plenum erreicht hat, tagen in aller Regel am Dienstagmorgen die Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen. Bei mehr als 10 000 Drucksachen und zwischen 750 und 1000 Gesetzen, die pro Wahlperiode veröffentlicht, verabschiedet oder beraten werden, legen die Parlamentarischen Geschäftsführer zumindest den Ablauf einer solchen Plenumswoche fest. Was kommt wann auf die Tagesordnung, welches Thema wird eventuell noch geschoben, wann wird welche Aktuelle Stunde angesetzt – alles Themen, die besprochen sein müssen, bevor der Bundestag mit den Debatten dann richtig öffentlich wird.

Denn wie bei Parteitagen gilt auch hier: Die Tagesordnung kann Zustimmung und Ablehnung mit beeinflussen – oder dafür sorgen, dass unpopuläre Themen dann behandelt werden, wenn die Republik voll mit Fußball beschäftigt ist. Im Juni 2012 winkte der Bundestag während des EM-Halbfinales Deutschland-Italien in weniger als einer Minute das sogenannte Meldegesetz durch. Reden wurden nur zu Protokoll gegeben. Fußball war wichtiger. Das neue Meldegesetz, das der Bundesrat später kassiert und korrigiert hat, sah zunächst vor, dass Ämter die Daten von Bürgern an Firmen und Adresshändler weitergeben dürfen, wenn die Bürger vorher nicht ausdrücklich widersprochen haben.

Im Sommer 2006 wurde während des WM-Sommermärchens die Mehrwertsteuer erhöht, während der WM 2010 die Krankenkassenbeiträge. Zu den wenigen, die wussten, dass gewissermaßen bei maximaler Ablenkung der Öffentlichkeit abgestimmt wird, zählten die Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen.

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