Kommentar zum Wahlausgang Realistisch ist nur eine Jamaika-Koalition

Meinung | Bonn · Die CDU ist stärkste Kraft, die SPD nochmal abgesackt. Bei der Bundestagswahl haben die kleinen Parteien profitiert, die AfD wird gar drittstärkste Kraft. Es hat sich grundsätzlich was verändert, kommentiert GA-Chefredakteur Helge Matthiesen.

Das Wahlergebnis ist keine Überraschung. Eine Abrechnung mit der großen Koalition nach dem Krisenjahr 2015 war sehr wahrscheinlich. Wenn übergroße Mehrheiten regieren, profitieren die kleinen Parteien und es profitieren die extremen Ränder des politischen Spektrums. Diese beiden Effekte verstärkten sich gestern.

Ein geschickter Wahlkampf der AfD, ein ungeschickter der SPD und ein mittelmäßiger der CDU taten ein Übriges. Der Rest liegt im Rahmen des Erwartbaren: Die FDP ist wieder da, Lindner und seines beispiellosen Kraftaktes sei Dank. Die Grünen sind noch einmal davongekommen und die Linke kann weitermachen, weil sie im Osten eine festea Basis hat – die Grünen und SPD dort fehlt. Doch es hat sich grundsätzlich etwas verändert: eine neue Partei sitzt im Bundestag, die AfD. Und ihre Existenz wird den Fortgang der Politik bestimmen.

Die große Koalition ist Geschichte. Die Regierungsbildung ist mit sechs Fraktionen schwierig wie nie zuvor. Durch den Einzug einer Partei auf dem extremen rechten Flügel verändert sich die Konstellation grundlegend. Die SPD rückt ein Stück nach links. Die Mitte bilden in Zukunft CDU, FDP und als Scharnier zur SPD die Grünen. Letztere müssen noch akzeptieren, dass sie damit eine neue Chance bekommen.

Realistisch ist derzeit allein ein Bündnis der CDU mit FDP und Grünen. Diese Koalition zu schmieden, bedeutet harte Arbeit, denn in den beiden kleinen Parteien gibt es nach wie vor ideologische Verhärtungen, die nicht zusammenzupassen scheinen. Liberale und Ökopartei werden sich in Richtung Pragmatismus bewegen müssen, wenn sie regieren wollen. Angesichts der AfD im Bundestag wird sich vermutlich keine Partei der Herausforderung verweigern.

Erfolgreich bei den Grünen sind derzeit jene Vertreter, die Verantwortung übernehmen. Darauf lässt sich bauen. Was aber, wenn der Versuch scheitert? Eine zweite Möglichkeit wird in Deutschland nur selten diskutiert. Sie ist gleichwohl möglich: Regieren mit der Minderheit und mit der Duldung eines Partners oder mehrerer Partner. Das ist in Dänemark und anderen Nationen üblich und hat in einigen Bundesländern mindestens eine Zeit lang auch schon funktioniert. Duldung heißt regieren mit wechselnden Mehrheiten auf der Basis von Sachentscheidungen. Kommunalparlamente funktionieren so. Das wäre für den Bundestag neu – ausgeschlossen erscheint die Möglichkeit nicht.

Themenfelder für eine Einigung in Sachfragen gibt es viele: In der Europapolitik zum Beispiel, in der Außenpolitik, bei der Gestaltung der Digitalisierung und des demografischen Wandels, bei der Energiepolitik, bei Rententhemen und am Ende vor allem bei der Flüchtlingspolitik, der Einwanderungsfrage und der Integration. Gerade hier sind sich Grüne, Liberale und Christdemokraten näher als es scheint. Angela Merkel ist bekannt für ihren flexiblen Pragmatismus. Sozialpolitische Themen werden es in den kommenden vier Jahren hingegen schwerer haben. Aber vielleicht holt sich die CDU dafür ja punktuell die SPD ins Boot.

Mit der AfD werden sich die politischen Debatten im Parlament verändern. Die Themen der AfD werden die anderen Parteien beeinflussen, vor allem die CDU/ CSU. Sorge um die Demokratie ist unbegründet. Die hält auch Radikale im Bundestag aus.

Die müssen zeigen, welche Alternativen sie haben. Die SPD wird die Opposition anführen und übernimmt damit eine wichtige Aufgabe für die Demokratie – wichtiger als das Weiterregieren. CDU und CSU stehen vor der Herausforderung, aus einer neuen Verantwortung, den rechten Rand der Wählerschaft zurückzugewinnen. Weil sie regieren wollen, müssen sie auch in Zukunft Rücksicht auf Partner nehmen. Nach einem konfliktarmen Wahlkampf geht es jetzt endlich zur Sache.

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