Bundesaußenminister Maas im Interview "Nur ein geeintes Europa hat eine Chance"

Berlin/Düsseldorf · Außenminister Heiko Maas (SPD) spricht im großen Interview über die neue deutsche Rolle in der Welt, eine Reform des UN-Sicherheitsrates und Instabilitäten in der Koalition.

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) hat eindringlich an die Partner in Europa appelliert, sich in Streitfragen mit den USA wie auch bei strittigen Themen mit Russland und China nicht auseinander treiben zu lassen. Nur als „Europe united“ habe Europa eine Chance.

Die Union, Ihr Koalitionspartner, streitet über den UN-Migrationspakt. Warum ist dieses Abkommen gut für Deutschland?

Heiko Maas: Der Migrationspakt ist die gemeinsame Antwort der Staatengemeinschaft auf eine Frage, die uns alle betrifft. Migration ist auf der ganzen Welt schlichte Realität. Der Pakt dient nun dem Zweck, dafür eine vernünftige Basis zu schaffen. Das ist nicht nur gut für Deutschland. Es ist auch gut für alle Menschen: Der Migrationspakt macht klar, dass die Menschenwürde unteilbar ist.

Braucht man dafür einen Vertrag?

Maas: Der Migrationspakt ist ein großer Fortschritt. Er ist eine politische Absichtserklärung, zu der sich die meisten der gut 190 Staaten der Vereinten Nationen bekennen werden. Es geht darum, möglichst gleiche Standards für Rückführung zu setzen. Wir müssen Schleuserkriminalität eindämmen, Grenzen sichern, Fluchtursachen bekämpfen. Migration ist eines der drängendsten Themen weltweit. Deswegen ist es gut, wenn sich möglichst viele Staaten hinter diesem UN-Pakt versammeln.

Die heftige Debatte über den Migrationspakt – ist das eine Kampagne der Rechten?

Maas: Rechtspopulisten nutzen das Thema Migration, um mit falschen Behauptungen Ängste zu schüren. Das ist nicht neu. Umso wichtiger ist es, dass darüber breit debattiert wird. So können wir mit Fakten dagegen halten: Der Migrationspakt ist keine Bedrohung, sondern ein Akt der Vernunft.

„Europe united“ funktioniert bei Migration aber nicht….

Maas: Im Gegenteil: Kein Land in Europa wird das Thema Migration allein regeln können. Migration zu regulieren und zu steuern, ist eine globale Herausforderung. Das können wir nur gemeinsam angehen. Wir müssen in Europa versuchen, in Migrationsfragen wenigstens ein Mindestmaß an Einvernehmen zu erzielen.

Sie wollen im Frühjahr, wenn Deutschland als nicht-ständiges Mitglied wieder für zwei Jahre im UN-Sicherheitsrat sitzt, gemeinsam mit Frankreich eine europäische Doppelspitze in dem Weltgremium bilden. Doch „Europe united“ gegen „America first“?

Maas: Nein, aber: Es steht unsere politische Gestaltungsfähigkeit auf dem Spiel. Wir Europäer haben keine Chance, unsere Werte und Interessen etwa in Handelsfragen oder im Streit über das Atomabkommen mit Iran durchzusetzen, wenn sich jedes Land einzeln mit den USA auseinandersetzt. Erst recht gilt das für strittige Themen mit Russland oder mit China. Nur gemeinsam als „Europe united“ haben wir eine echte Chance. Davon hängt die Durchsetzungsfähigkeit unserer Werte und Interessen ab.

Also eine europäische Armee?

Maas: Klar ist, dass Europa sich auch verteidigungspolitisch weiter entwickeln muss. Die EU kann hier militärische wie zivile Fähigkeiten einbringen und miteinander verbinden. Und: Wenn wir jetzt noch außenpolitisch handlungsfähiger werden, indem wir im Rat der Außenminister in bestimmten Fragen nicht mehr nur einstimmig entscheiden, sondern zu Mehrheitsentscheidungen kommen, wären wir noch einen Schritt weiter.

Brauchen wir noch einen deutschen Parlamentsvorbehalt für Auslandseinsätze?

Maas: Der Parlamentsvorbehalt ist eine Konsequenz aus der deutschen Geschichte. Wir sollten ihn nicht so einfach zur Disposition stellen.

Heißt mehr deutsche Verantwortung in der Welt auch mehr deutsche UN-Blauhelme?

Maas: Wir sehen unsere Rolle als Friedensstifter. Militärische Operationen sind aber immer nur ultima ratio. Wir wollen vielmehr bei den Konfliktursachen ansetzen. Dazu zählen ganz besonders Klimawandel und Migration. Und wir sind ein Mitgliedsland, das bereit ist, im Rahmen seiner Möglichkeiten auch Verantwortung zu übernehmen.

Auch in der Ostukraine?

Maas: Wir wollen unsere Zeit im UN-Sicherheitsrat auch dazu nutzen, über einen UN-Friedenseinsatz in der Ostukraine zu reden. Die Präsidenten Russlands und der Ukraine, Wladimir Putin und Petro Poroschenko, schließen eine solche UN-Mission im Grundsatz nicht aus. Aber sie haben noch völlig unterschiedliche Vorstellungen der Ausgestaltung einer solchen UN-Mission. Fortschritte sind nur sehr schwer zu erzielen. Das Friedensabkommen von Minsk aus dem Frühjahr 2015 ist weitgehend unerfüllt. Trotz aller Schwierigkeiten dürfen wir nichts unversucht lassen, um dem Friedensprozess neue Impulse zu geben.

Eine UN-Mission mit dem Segen Russlands bei schrittweisem Verzicht auf die Sanktionen gegen Moskau – ist das denkbar?

Maas: Das sind ja Sanktionen der Europäischen Union gegenüber Russland. Unser unmittelbares Ziel bleibt, die Ukraine zu stabilisieren und einen echten Waffenstillstand durchzusetzen. Gelingt die Umsetzung des Minsker Abkommens, können wir über den Abbau der Sanktionen verhandeln. Aber erst dann.

Gerhard Schröder hat Sie wegen Ihrer klaren Worte über Russlands Politik der Abgrenzung zum Westen kritisiert. Eine alte Fehde unter Genossen?

Maas: Meine Haltung zu Russland hängt allein davon ab, wie die russische Regierung agiert. Wir brauchen den Dialog mit Russland für die Lösung internationaler Konflikte. Hierfür müssen wir aber auch unsere eigenen Erwartungen glasklar formulieren. Das gilt nicht nur für Russlands Rolle in der Ukraine, sondern auch für den Syrien-Krieg.

Nordstream 2 ist kein gutes Projekt?

Maas: Das ist ein wirtschaftliches Projekt. Wir wollen unsere Energiesicherheit auf eine breite Basis stellen. Natürlich werden wir politisch dabei aber auch darauf achten, dass die Gasdurchleitung durch die Ukraine in Zukunft nicht gekappt wird.

Ist eine Wiederannäherung mit dem schwierigen Nato-Partner Türkei möglich, solange deutsche Staatsbürger als politische Gefangene in der Türkei inhaftiert sind?

Maas: Wenn deutsche Staatsbürger ohne jeden Grund in der Türkei inhaftiert sind, werden und können wir das nicht tatenlos hinnehmen. Ich habe den Eindruck, unsere türkischen Gesprächspartner haben das auch verstanden. Es ist gut, dass wir darüber wieder intensiv miteinander reden.

Wann reisen Sie wieder nach Saudi-Arabien?

Maas: Ich muss nicht vor Ort sein, um unsere Haltung klar zu machen: Wir verlangen Transparenz und wollen eine vollständige Aufklärung des abscheulichen Mordes an Jamal Khashoggi. Die Täter und die Hintermänner müssen zur Verantwortung gezogen werden. Rüstungsexporte haben wir komplett gestoppt. Das gilt auch für bereits genehmigte Lieferungen.

Würden Sie ein zweites Brexit-Referendum befürworten?

Maas: Das müssen die Briten wirklich selbst entscheiden. Jeder Rat von außen wäre bei der Lage in London vermutlich kontraproduktiv. Der Austritt der Briten wird für die EU jedenfalls ein Verlust sein. Ich würde sie gerne in der EU halten, aber sie haben sich anders entschieden.

Zur Innenpolitik: Stühlerücken in der CDU, Unruhe in der CSU, keine stabile Lage in der SPD. Wie lange hält die Groko?

Maas: Die Menschen erwarten von uns, dass wir das Land vernünftig regieren – zu Recht! Darum sollten wir uns kümmern und nicht um uns selbst kreisen.

Welchen Einfluss hat es auf die Stabilität der Groko, wer künftig an der Spitze der CDU steht?

Maas: Die große Koalition hat eine Grundlage: Das ist der Koalitionsvertrag. Der gilt. Und dieser Vertrag hängt nicht davon ab, wer künftig Vorsitzende oder Vorsitzender der CDU ist.

Der Saarländer Maas ist nicht für die Saarländerin Kramp-Karrenbauer?

Maas: Weil ich Annegret Kramp-Karrenbauer in der CDU nicht schaden will, gebe ich dazu lieber keinen Kommentar ab. Meine Sympathien dürften sowieso bekannt sein.

Muss sich die SPD bald auf einen Kanzlerkandidaten einigen, um für Neuwahlen gewappnet zu sein?

Maas: Diese Regierung ist gerade mal ein paar Monate im Amt. Wir haben dennoch schon Einiges auf den Weg gebracht. Nehmen sie nur die Verbesserungen bei der Rente, im Mietrecht oder das Gute-Kita-Gesetz. Jetzt kommt noch das Einwanderungsgesetz dazu. Das alles würde es ohne die SPD nicht geben. Wir streiten für diese Inhalte und über nichts anderes.

Wenn die SPD Heiko Maas fragt, stünde er zur Verfügung?

Maas: Ob Sie es mir glauben oder nicht, ich will vor allem eines: ein guter Außenminister sein.

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