„Der Groll ist verflogen“ Interview mit Oscar Lafontaine

Bonn · Oskar Lafontaine spricht im Interview in seinem Büro in Saarbrücken über sein Verhältnis zu Gerhard Schröder und seine Liebe zur SPD. Von 1985 bis 1998 war er Ministerpräsident des Saarlandes mit SPD-Parteibuch, jetzt führt er die Linksfraktion im dortigen Landtag.

 Oskar Lafontaine, früherer Bundesvorsitzender der Partei Die Linke, in seinem Büro im Landtag des Saarlands.

Oskar Lafontaine, früherer Bundesvorsitzender der Partei Die Linke, in seinem Büro im Landtag des Saarlands.

Foto: dpa

Herr Lafontaine, warum haben Sie 1998 dafür gesorgt, dass Gerhard Schröder SPD-Kanzlerkandidat wurde?

Oskar Lafontaine: Wir wollten die Regierung Kohl nach 16 Jahren endlich ablösen und wieder den Kanzler stellen. Gerhard Schröder war bei den SPD-Mitgliedern eher unbeliebt, hatte aber eine starke Unterstützung in den Medien. Nach dem Wahlsieg in Niedersachsen sprach alles dafür, dass wir die Bundestagswahl gewinnen würden.

Bereuen Sie ihre Entscheidung für Schröder?

Lafontaine: Selbstverständlich. Aber nicht, weil ich ihm bei der Kandidatur den Vortritt gelassen habe, sondern weil seine Entscheidungen für einen völkerrechtswidrigen Jugoslawien-Krieg und den Sozialabbau viel Leid zur Folge hatten und der SPD, die im Laufe der Jahre die Hälfte ihrer Wähler und Mitglieder verlor, schweren Schaden zugefügt haben.

Wann kam dieses Gefühl das erste Mal auf?

Lafontaine: Die Personalentscheidung, Bodo Hombach zum Chef des Bundeskanzleramtes zu machen, war nicht abgestimmt, obwohl wir uns in die Hand versprochen hatten, politische und personelle Entscheidungen von Relevanz gemeinsam zu treffen. Hombach war, wie Schröder wohl später selbst festgestellt hat, für diese Aufgabe nicht geeignet, er neigte zu Intrigen und Durchstechereien an die Presse. Und als Schröder und Fischer dem damaligen US-Präsidenten Bill Clinton die deutsche Beteiligung am völkerrechtswidrigen Jugoslawien-Krieg zugesagt hatten, ohne mich zu informieren, war ich bedient.

In der Kabinettssitzung am 10. März 1999 hatte Schröder indirekt mit Rücktritt gedroht, wenn die lockere Ausgabenpolitik im Kabinett anhalte. Es wurde vor allem als Warnung an Sie kolportiert.

Lafontaine: Schröder hatte in dieser Kabinettssitzung Umweltminister Jürgen Trittin und die Familienministerin Christine Bergmann kritisiert. Am nächsten Tag las man aber in der Bild-Zeitung, „Schröder droht mit Rücktritt… Ich lasse mit mir keine Politik gegen die Wirtschaft machen.“ Wahrheitswidrig hatte der Informant der Bild-Zeitung behauptet, Schröder habe mich im Kabinett kritisiert. Ich hatte darauf gewartet, dass er das dementiert. Als das Dementi ausblieb hatte ich nur noch die Wahl, die Partei gegen ihren gerade erst gewählten Kanzler zu mobilisieren oder zurückzutreten. Ich wollte die SPD nicht in eine Zerreißprobe stürzen und ahnte damals nicht, dass ein paar Jahre später mit der Agenda 2010 der größte Sozialabbau nach dem Kriege begann, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schrieb.

War Ihr Verzicht auf alle drei Funktionen – SPD-Vorsitz, Finanzminister, Bundestagsabgeordneter – ein Blackout?

Lafontaine: Es war eher eine emotionale Überreaktion. Aber Wortbruch und Intrigen sind keine Grundlage für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit.

Aber Sie haben der Partei mit dieser abrupten Entscheidung die Probleme vor die Füße geklatscht.

Lafontaine: Ich hatte Jahre darauf hingearbeitet, dass es einen politischen Wechsel in Deutschland gibt. In der Wahlnacht hatte ich das Gefühl, dass wir es endlich geschafft haben. Wir hatten die Union geradezu deklassiert. Das war eine große Genugtuung nach den Niederlagen der Jahre zuvor. Und dann schien es so, als sei diese große Anstrengung umsonst gewesen, weil die rot-grüne Politik in eine andere Richtung ging und sich dem neoliberalen Zeitgeist unterwarf.

Wann kamen bei Ihnen erstmals Rachegefühle gegen die SPD auf?

Lafontaine: Es gab keine Rachegefühle gegen die SPD. Der SPD, in der ich fast 40 Jahre Mitglied war, fühle ich mich auch heute noch verbunden. Ich hatte eine offene Rechnung mit Schröder und seiner Entourage, und diese war spätestens 2005 beglichen. Leider hat die SPD den historischen Fehler gemacht, 2005 nicht eine rot-rot-grüne Regierung zu bilden und so wieder den Kanzler zu stellen obwohl die entsprechende Mehrheit durch den Wahlerfolg der Linken vorhanden war.

Werden Sie sich mit Gerhard Schröder in diesem Leben noch versöhnen?

Lafontaine: Der persönliche Groll ist verflogen. Aber mit Sozialabbau und Krieg werde ich mich auch in Zukunft nicht versöhnen.

Haben Sie Interesse an einem Gespräch?

Lafontaine: Schröder wird nach all dem, was war, bei seinen Positionen bleiben. Und ich werde auch nach 20 Jahren kein Loblied auf die Agenda singen.

Haben Sie Interesse an einer Versöhnung von SPD und Linken?

Lafontaine: Ich habe Interesse an einer Renaissance der politischen Linken, um das weitere Erstarken der AfD zu verhindern. Deshalb haben wir die überparteiliche Bewegung „Aufstehen“ ins Leben gerufen. Man soll die Erinnerungen an das Ende der Weimarer Republik nicht überstrapazieren. Aber man muss sich immer daran erinnern, wie sich KPD und SPD damals bekriegt haben. Als viele von ihnen später vor den Nazis ins Exil flohen, bereuten sie, dass sie sich nicht zusammengerauft hatten.

Was ist ihre politische Heimat, die SPD oder die Linke?

Lafontaine: Ich fühle mich nach wie vor der Brandtschen Sozialdemokratie und ihrer Programmatik verbunden. Er sagte schon vor Jahrzehnten: Politische Demokratie allein gibt es nicht. Soziale und kulturelle Demokratie gehören dazu. Und eine marktwirtschaftliche Orientierung ist nicht an eine spezielle Form von Unternehmensverfassung oder Eigentum gebunden.

Das heißt, Ihre politische Heimat ist immer noch die Politik von Willy Brandt.

Lafontaine: Frieden, Abrüstung und soziale Reformen sind Forderungen, die auch heute hochaktuell sind. Zur Bekämpfung der Fluchtursachen setzte sich Brandt für eine deutliche Erhöhung der Entwicklungshilfe ein. Und zur Zuwanderung meinte er schon damals: Wenn darüber der Zusammenhalt der Gesellschaft, das sozialstaatliche Modell und die Stabilität der Demokratie in Gefahr gerieten, sei auch niemandem geholfen.

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