Kommentar zum deutsch-türkischen Verhältnis Herrschaft der Willkür

Meinung · Das Verhältnis zur Türkei war nie einfach, aber es war lange irgendwie intakt. Jetzt ist es aus dem Takt geraten, kommentiert GA-Redakteur Holger Möhle.

 Zwei Männer halten ein Tuch mit dem Foto des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Zwei Männer halten ein Tuch mit dem Foto des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Foto: dpa

Ende der Worte. Es reicht. Recep Tayyip Erdogan und die türkische Regierung haben genug provoziert, gezündelt, das deutsch-türkische Verhältnis – jedenfalls auf Ebene der Regierungen – vergiftet, deutsche Staatsbürger unter fadenscheinigen Gründen ins Gefängnis gesteckt, Deutschland beschimpft und in unsäglichen Nazi-Vergleichen verunglimpft. Die Bundesregierung hat lange Geduld bewiesen, die Lage nicht weiter eskalieren lassen, obwohl es dafür viele Gründe gegeben hätte. Ankara tut derweil wirklich alles, die Atmosphäre zwischen Deutschland und der Türkei weiter zu belasten.

Das Verhältnis zur Türkei war nie einfach, aber es war lange irgendwie intakt. Jetzt ist es aus dem Takt geraten. Der Motor, der diese Partnerschaft antreibt, läuft nur mehr auf zwei statt auf vier Zylindern. Stottermodus. Alarmstufe Rot vor dem Motorschaden. Die Bundesregierung will und kann nach der jüngsten, erneut offensichtlich unbegründeten Verhaftung des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner die Willkür-Methoden der Türkei nicht länger hinnehmen. Erdogan versteht tatsächlich nur Taten. Also verschärft die Bundesregierung die Hinweise für Reisen in die Türkei und weitet sie ab sofort auf alle Bundesbürger aus. Die Botschaft: Jeder muss damit rechnen, wenn er in die Türkei reist, Besuch von der türkischen Polizei oder Justiz zu bekommen. Das entspricht dem Wesen eines Staates, in dem die Willkür regiert.

Wichtige Einnahmequelle

Ein solcher Reisehinweis wird die Türkei, die zunehmend Züge einer Diktatur annimmt, treffen. Der Tourismus ist eine ihrer wichtigsten Einnahmequellen. Milliardeneinnahmen fallen weg, während die türkische Wirtschaft ohnehin nur schleppend läuft. Die Bundesregierung behält damit die Option, den verschärften Reisehinweis auf eine echte Reisewarnung zu steigern. Vielleicht kommt es ja noch schlimmer. Erdogan hat die Wahl. Und natürlich kann Berlin derzeit keinem deutschen Unternehmen raten, in der aktuellen Lage in der Türkei zu investieren, ebenso wenig wie der Bund solche Geschäfte noch mit Hermes-Bürgschaften absichern kann. Geschäfte in einem Staat, der nach dem gescheiterten Militärputsch Hunderte Unternehmen enteignet hat, bleiben heikel.

Gleichzeitig aber wird die Türkei als Partner in der Nato wie auch als Brückenstaat zwischen dem Westen und der islamischen Welt gebraucht. Es wäre unklug, die Brücken komplett abzubrechen, weil Dialog und Partnerschaft immer besser sind als jener Nationalismus, den der türkische Präsident für den eigenen Machterhalt gezielt befeuert. Von einer Mitgliedschaft in der EU ist die Türkei des Recep Tayyip Erdogan mit dessen Androhung, die Todesstrafe wiedereinzuführen, weiter entfernt denn je. Im Moment ist sie unvorstellbar. Doch die Zeiten werden sich auch wieder ändern. Und irgendjemand muss den Scherbenhaufen ja zusammenkehren.

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