Türken in Köln und Bonn Die Lage in der Türkei spaltet die Gesellschaft

Bonn · Wahlkampf, Auftrittsverbote und Anschuldigungen: Der Streit zwischen den Regierungen trifft auch die türkische Bevölkerung in Deutschland. Wir haben uns in Köln und Bonn umgehört.

Von der politischen Anspannung zwischen Deutschland und der Türkei ist an diesem Vormittag in der Kölner Altstadt zunächst nichts zu spüren. In den türkischen Restaurants und Imbissbuden werden Salate für die ersten Gäste vorbereitet, in einem Friseursalon bekommt ein Kunde gerade den Bart gestutzt. Kunden schlendern durch die Gassen, erledigen Einkäufe. Auf einem Stromkasten stehen zwei Gläser mit Tee.

„Bis jetzt ist über das Thema nicht so viel gesprochen worden“, erzählt der Mitarbeiter eines türkischen Supermarktes. In den Regalen stehen akkurat aufgereiht landestypische Spezialitäten. An der Fleischtheke bestellt ein Kunde für Ostern eine größere Menge Hähnchenfleisch vor. Die meisten, die hier einkaufen, sind Deutsche oder Italiener. Nur ein Drittel sind türkische Kunden. Bei manchen Themen höre man auch im Laden viel, aber diesmal nicht, sagt der Verkäufer. Spannungen seien im Alltag mit den Kunden jedenfalls nicht zu bemerken.

Ein paar Türen weiter bereitet ein Bäcker in seiner Backstube Blätterteigrollen zu. Er stammt aus dem Süden der Türkei, an der Grenze zu Syrien. Seit 1993 lebt er in Deutschland. „Ich habe auch deutsche Kunden hier, wir reden aber nicht über Politik“, sagt er. Durch das Geschäft hallt türkische Musik. Viel zu oft ziehe man im Kopf eine Grenze zwischen Türken und Deutschen oder zwischen Religionszugehörigkeiten, sagt der Bäcker. Ihm sei ein friedliches Miteinander wichtig. Erdogan sieht er zwiegespalten: Auf der einen Seite habe der türkische Regierungschef für saubere Straßen in Istanbul gesorgt, die Infrastruktur verbessert. Ob er aber mit Erdogans Haltung zufrieden sei? „Am Ende muss Frieden sein – wie am Ende eines Films“, sagt er.

Gesprochen wird darüber, aber nicht mit jedem

Auch in einem türkischen Supermarkt in der Altstadt von Bonn läuft das Tagesgeschäft. Die politische Situation zwischen Deutschland und der Türkei sei bis jetzt kein Thema, sagt ein Mitarbeiter. Darüber gesprochen wird allerdings schon, aber eben nicht mit jedem. „Wir Mitarbeiter reden darüber.“ Der 23-Jährige ist in der Türkei geboren, kam mit sieben Jahren nach Deutschland. In der Familie wird das Thema hingegen nicht diskutiert. Statt politische Einstellungen zu debattieren, verweist auch er auf grundlegendere Werte. „Wir Menschen sind alle Menschen und sollten uns auch so verhalten“, sagt er.

Andere wollen nicht so offen reden. Angesprochen auf die derzeitige Situation, ziehen sie es vor, nichts zu sagen, werden zurückhaltender, verweisen auf den Ehemann oder die Chefin. „Drückend ist die Situation schon, was man aus den Gesprächen mitbekommt“, erzählt dann doch eine Ladenbesitzerin. Sie ist keine Türkin, hat kosovarische Wurzeln. Der Konflikt sei im Umfeld das „Gesprächsthema Nummer Eins, nicht nur unter den Türken“. Dabei ist die Meinung gespalten. Man höre in den Gesprächen manchmal drei, vier verschiedene Meinungen – beispielsweise wie die deutsche Gesellschaft auf die Spannungen reagiere. Auch sie rückt das Menschliche in den Vordergrund: „Das ist sehr schade. Wir haben ja genug Probleme auf der Welt.“

Zurückhaltung als Schutzreaktion

Die Zurückhaltung in der derzeitigen politischen Situation sei für viele Türken eine Schutzreaktion. „Viele haben Angst, nicht nur vor Erdogan oder der AKP, sondern auch vor Erdogan-Gegnern. Deshalb sagen sie lieber gar nichts“, erklärt der ehemalige GA-Redakteur Baha Güngör. Der 67-Jährige ist Türkeiexperte und arbeitet als freier Journalist für deutsche Medien. Mehr als 16 Jahre leitete er die Türkeiredaktion der Deutschen Welle. Gleichwohl werden unter Türkischstämmigen das Referendum und die Auftrittsverbote offenbar kontrovers diskutiert.

Die Spaltung in die politischen Lager setze sich innerhalb der hier lebenden Gemeinschaft fort. 50 bis 60 Prozent seien Erdogan-Anhänger, die anderen üben Kritik an dem andauernden Ausnahmezustand, der eingeschränkten Presse- und Meinungsfreiheit und den hohen Gefängnisstrafen in ihrer Heimat. „Es ist eine gespaltene Gesellschaft“, so der Türkeiexperte. Viele im Ausland lebende Türken würden ihr Heimatland „durch die rosarote Brille“ betrachten, so Güngör. Wie die Zukunft des Landes aussieht? „Alles hängt von dem Referendum ab. Das ist ein Nullpunkt, um zu überlegen, was aus dem Land wird.“

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