Vorsitzender der Telekom-Stiftung Das sagt De Maizière über seine Rückkehr nach Bonn

Der Ex-Innenminister und Vorsitzende der Telekom-Stiftung, Thomas de Maizière, über die Digitalisierung an Schulen und Defizite in der mathematisch-naturwissenschaftlichen Bildung. Außerdem spricht er über sein Verhältnis zu Bonn.

 Thomas de Maizière in seinem Büro bei der Telekom-Stiftung.

Thomas de Maizière in seinem Büro bei der Telekom-Stiftung.

Foto: Benjamin Westhoff

Herr De Maizière, Sie sind gebürtiger Bonner. Bedeutet es Ihnen etwas, hier wieder eine Aufgabe zu haben?

Thomas de Maizière: Ja. Auch wenn mich hier Journalisten vom General-Anzeiger immer mal wieder in der Bonn-Berlin-Frage kritisiert haben. (lacht).

Sie wollten das Verteidigungsministerium nach Berlin umsiedeln und haben als Innenminister Teile des Ressorts verlagert.

De Maizière: Und jetzt kann ich durch die Arbeit bei der Stiftung zeigen, dass ich nichts gegen Bonn habe. Eine meiner Lieblingsbehörden im Innenministerium war übrigens das BSI mit Sitz in Bonn, das hat mehr Beamtenstellen zusätzlich bekommen als im Ministerium weggegangen sind.

Als neuer Vorsitzender der Telekom-Stiftung ist es Ihre Aufgabe, die mathematisch-naturwissenschaftliche Bildung zu fördern. Da gibt es nach wie vor große Mängel in Deutschland. Warum tut sich die Bildungslandschaft so schwer?

De Maizière: Seit dem Pisa-Schock sind die Mathe-Leistungen an deutschen Schulen deutlich besser geworden, aber es gibt noch Luft nach oben. Deshalb wollen wir versuchen, nicht mehr nur die Lehreraus- und -fortbildung zu unterstützen, sondern auch direkt an den Schulen mit Lehrern zu arbeiten. Wir wollen sie als „Change Agents“ ansprechen, in Projekten zusammen mit den Schülern und außerschulischen Akteuren. Wir glauben, es ist besser, wenn die Schulen sich nach außen öffnen. Dann wird auch der Unterricht interessanter.

In der Bildungspolitik geht es in Deutschland oft sehr langsam voran. Woran liegt das?

De Maizière: Wir wollen nicht meckern über die Kultusminister oder die Lehrerinnen und Lehrer. Wenn Sie als Lehrer in einer Stadt mit schwierigem sozialen Hintergrund in einer Hauptschule unterrichten und allein schon dafür sorgen, dass sich die Jugendlichen mal für 20 Minuten konzentrieren, dann ist das eine gigantische Leistung. Diesen Lehrerinnen und Lehrern dann zu sagen, ihr müsst jetzt die Schule der Zukunft machen, ist ziemlich viel verlangt. Eine Stiftung hat den Luxus zeigen zu können, wie es gehen könnte. Und ein Kultusminister muss den Alltag hinbekommen, mit guten und schlechten Schülern und Lehrern, engagierten und nicht engagierten Eltern. Es gibt viele unter den bundesweit mehr als 40 000 Schulen, die wirklich gut sind. Es gibt aber auch viele, die in den Mühen des Alltags mutlos werden, und um die wollen wir uns kümmern.

Schaffen die Schulen die Digitalisierung aus eigener Kraft nicht ?

De Maizière: Es war eigentlich immer so, dass Schulen Impulse von außen brauchen und auch gerne annehmen. Allerdings muss ein solches Engagement auch Schulen helfen und sie nicht in ihrer Arbeit behindern. Wenn man von außen kommt mit der Haltung, ich weiß alles besser, dann wird es schwierig. Schulen brauchen aktive Eltern, einen aktiven Schulträger, ein aktives Umfeld. Und wenn Schulen sich öffnen, dann ist es für alle Beteiligten gut.

Droht Schulen die Überforderung?

De Maizière: Die Gesellschaft macht es sich zu einfach, alle Defizite den Schulen anzulasten. Die Klimadebatte wird nicht durch die Schule gelöst, sondern durch Menschen, die ihr Verhalten ändern müssen. Und ich sehe mit Sorge, dass ein großer Teil der Eltern ihre Erziehungspflicht auf die Schule und Kindergärten verlagert. Es funktioniert eben nicht, wenn ein Vater mit einem Bier vor der Sportschau sitzt und seinem Sohn sagt, er müsse mal wieder ein gutes Buch lesen. Schule kann nicht der Reparaturbetrieb der sozialen Probleme der Gesellschaft sein.

Nach zähem Ringen hat der Bund fünf Milliarden Euro für die Digitalisierung an Schulen aufgelegt. Bringt der Digitalpakt den nötigen Schwung?

De Maizière: Der Digitalpakt ist ja eigentlich nur Bundesgeld für eine digitale Infrastrukturausstattung. Aber das kann nur der Anfang sein. Daraus muss ja eine ganz neue Vermittlung von Bildungsinhalten werden. Das hinzukriegen ist eine große Aufgabe. Und einen Teil davon können wir unterstützen zum Beispiel beim methodischen Zugang zu Wissen. Die klassische Methode ist: Der Lehrer weiß mehr als die Schüler und bringt ihnen etwas bei, von dem er glaubt, dass sie es in 20 Jahren nochmal brauchen können. Es gibt aber auch Bereiche, da wissen die Schüler mehr als die Lehrer, und keiner von beiden weiß, was in 20 Jahren gebraucht wird. Und das ist neu. Da müssen wir Modelle für Unterrichtsmethoden entwickeln, wie beide damit umgehen.

Wie kann das aussehen?

De Maizière: Es geht zum Beispiel um das Aufbrechen der sektoralen Zuständigkeiten. Als Jugendlicher sollst du zur Musikschule gehen, du sollst Sport machen, ein Buch lesen, deine Hausaufgaben machen, du sollst dich noch sozial engagieren, fürs Klima demonstrieren – alles getrennte Botschaften, die auf Jugendliche einwirken, während diese längst vernetzt sind. Die Idee ist, Jugendliche ganzheitlich anzusprechen, und dass sie es selbst machen.

Herr de Maizière, Sie leben in Dresden, waren dort viele Jahre Minister. Warum ist der Anteil der AfD-Wähler in ostdeutschen Ländern doppelt so hoch wie im Westen?

De Maizière: Es wäre völlig falsch zu sagen, das sind alles Rechtsextremisten. Die AfD versteht es meisterhaft, sich in eine Opferrolle zu begeben und damit Solidarisierungseffekte auszulösen. Zudem gibt es in den ostdeutschen Ländern eine Art Veränderungsmüdigkeit. Nach 1990 gab es einen riesigen Veränderungsdruck. In Bonn, in Kiel oder Garmisch hat sich nur die Postleitzahl geändert, sonst sind die Lebensverhältnisse mehr oder weniger gleich geblieben. In Greifswald, Görlitz oder Suhl hat sich alles verändert. Und jetzt heißt es, die eigentliche Veränderung fängt erst an, Stichwort Digitalisierung, Migration, Klima und so weiter. Da sagen viele: Wir haben nicht mehr die Kraft uns zu verändern. Und da bietet sich die AfD als scheinbarer Ausweg an.

Welche Rolle spielt Frust über den Westen?

De Maizière: Es gibt eine Art Selbstbemächtigung der Westdeutschen, die Ostdeutschen zu beurteilen. Nie würde ein Sachse sich zutrauen, die Situation in NRW zu bewerten. Aber viele in NRW bewerten die Situation in Sachsen. Diese Haltung – Wir wissen es besser –, dieser sicher überwiegend gut gemeinte Paternalismus, führt zu Ablehnung. Auch das macht sich die AfD zunutze.

Aber die AfD etwa in Thüringen und Sachsen zeigt sich offen völkisch-nationalistisch.

De Maizière: Die Extreme, auch der heftige Richtungsstreit in der AfD, die Verfehlungen einzelner Politiker bei Parteispenden, das alles spielt bei der Wahlentscheidung scheinbar keine Rolle. Zudem sind die Kompetenzwerte der Partei ganz gering. Kaum einer glaubt, dass die AfD eine bessere Renten-, Steuer- oder Außenpolitik macht. Das alles zeigt doch, dass es eher um einen Protest, eine Ablehnung der anderen Parteien geht als um eine Zustimmung zur AfD.

Die AfD könnte in Sachsen die CDU als stärkste Partei ablösen. Was ist die richtige Strategie dagegen?

De Maizière: Man sollte sich zunächst nicht allzu viel mit der AfD beschäftigen und ihr nicht ständig Aufmerksamkeit verschaffen. Den Fehler machen wir auch oft im Bundestag. Aber man sollte gleichzeitig drauf hinweisen, dass die extremistischen Strömungen in der Partei stärker werden.

Also einen gelasseneren Umgang?

De Maizière: Ja. Harter Angriff auf die Extremisten, aber gelassener im Umgang insgesamt. Weder ignorieren noch stigmatisieren, und auch nicht angstvoll auf die AfD starren. Und ihnen die Rechte geben, die ihnen zustehen.

In der CDU wird um die künftige Richtung gestritten. Fortsetzung von Merkels Modernisierungskurs oder wieder mehr konservative Kante. Wo stehen Sie?

De Maizière: Ich finde gar nicht so sehr die Frage konservativ oder liberal wichtig. Sondern, dass wir den Menschen mehr den Eindruck geben, dass wir die Partei für die schwierigen Themen sind. Im Moment wird Wichtiges und Unwichtiges viel zu wenig unterschieden. Alles ist eine Katastrophe, ein Skandal, jede Idee ist ein Paradigmenwechsel. Das ist Unsinn. Ein ernsthaftes Ringen um die Klimapolitik, die Rente, die Steuerbelastung oder Deutschlands Rolle in der Welt – das ist das, was Volksparteien immer besser konnten. Das muss aber auch geschehen.

Das geschieht zu wenig?

De Maizière: Ja. Weil wir uns selber auch ablenken lassen. Natürlich ist etwa die Frage der Maut relativ wichtig. Aber Mobilität der Zukunft ist wichtiger. Natürlich ist es wichtig, dass 50, 60 Menschen aus Seenot gerettet werden. Debattieren sollten wir aber mehr und intensiver darüber, wie man das dahinter liegende Grundproblem löst: eine Rettung, ohne Anreize dafür zu setzen, dass Schlepper gegen Geld Flüchtlinge in Lebensgefahr aufs Meer aussetzen, und eine Mitarbeit der Europäischen Union schon bei der Verbesserung der Situation der Lager in Libyen mit einer gemeinsamen europäischen Asyl- und Sicherheitspolitik.

Warum gelingt das den Volksparteien nicht?

De Maizière: Wir haben eine Krise der Volksparteien. Weil auch durch zunehmende Individualisierung die Attraktivität von Parteien scheinbar abnimmt. Da werden Kompromisse noch schwieriger und Egoismen größer. Ich hoffe aber, dass sich die Menschen nach einer gewissen Zeit wieder nach Parteien sehnen, die den Zusammenhalt betonen und nicht laufend ihr eigenes Profil. Aber im Moment ist es anders. Und ich hielte es für falsch, wenn wir nun Modernismen hinterherhecheln und sagen, wir verzichten jetzt auf einen Wahlkampf, in dem wir um Menschen werben und stattdessen nur noch coole Internet-Auftritte machen.

Ein Thema, das viele Menschen bewegt, ist der zunehmende Rechtsextremismus. Haben die Behörden die Gefahr unterschätzt?

De Maizière: Als ehemaliger Innenminister möchte ich mich nicht zu Sicherheitsfragen äußern. Einen Satz nur: Seit der Aufklärung der NSU-Morde, und das war ja spät genug, gibt es in den Sicherheitsbehörden keine Unterschätzung des Rechtsextremismus mehr.

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