Teilhabeatlas Bonn gilt als "erfolgreiche Stadt"

Berlin · Die Bundesregierung strebt gleichwertige Lebensverhältnisse im ganzen Land an. Doch davon ist Deutschland weit entfernt. Statistiker haben Deutschland in prosperierende und schwächelnde Regionen eingeteilt.

 Pressefahrt mit dem Ballon von der Rheinaue bis in die Siegaue bei verhaltenem Südostwind. Rheinquerung auf Höhe des Posttowers und dann rechtsrheinisch weiter über Beuel bis zur Landung auf dem Siegauendeich. Im Korb war Platz für 12 Mitfahrer plus Pilot Hans-Joachim Häuser.

Pressefahrt mit dem Ballon von der Rheinaue bis in die Siegaue bei verhaltenem Südostwind. Rheinquerung auf Höhe des Posttowers und dann rechtsrheinisch weiter über Beuel bis zur Landung auf dem Siegauendeich. Im Korb war Platz für 12 Mitfahrer plus Pilot Hans-Joachim Häuser.

Foto: Matthias Kehrein

Zum Beispiel der Spree-Neiße-Kreis nahe der Grenze zu Polen. Bis 2035 droht dieser Region rund um Cottbus ein dramatischer Bevölkerungsverlust. Die Hebammen, soweit noch vorhanden, haben dann Flaute, die Bestatter kommen den Aufträgen kaum hinterher. „Auf eine Geburt kommen dann vier Beerdigungen“, sagt Reiner Klingholz, Direktor des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. Das Berlin-Institut hat die Lebensverhältnisse in Deutschland untersucht, Menschen in sechs Clustern (drei städtische, drei ländliche) zur Wahrnehmung ihrer Lebensverhältnisse befragt und dazu am Donnerstag in Berlin gemeinsam mit der Wüstenrot-Stiftung den „Teilhabeatlas Deutschland“ vorgestellt. Grundtendenz: Deutschland gehe es insgesamt gut, doch von gleichwertigen Lebensverhältnissen im ganzen Land, wie sie die Bundesregierung anstrebe, sei man noch weit entfernt. Vor allem im Osten gebe es Regionen, die von der guten Entwicklung abgehängt seien und Gefahr liefen auszubluten. Mit allen negativen Folgen: schlechte Jobchancen, geringe Kaufkraft, Überalterung, langsames Internet, Abwanderung der jungen Generation.

Besonders entscheidend für die Entwicklung von Menschen und ihrer Region ist laut Klingholz der Faktor Bildung: „Keine Bildung zu haben, ist die schlimmste Benachteiligung, die man Menschen mitgeben kann ins Leben.“ Auch hier zeigt der „Teilhabeatlas“, dass vor allem Regionen in Ostdeutschland benachteiligt sind. „Stadt ist nicht Land. Und München ist nicht Sachsen-Anhalt“, wie Klingholz insgesamt über die Vergleichbarkeit der Lebensverhältnisse in Deutschland sagt. Das stimmt auch bei der Bildung. In weiten Regionen von Sachsen-Anhalt wie auch in Brandenburg und im Osten von Sachsen ist die Quote der Hauptschulabbrecher, die dann ohne Schulabschluss ins Leben gehen, mit mehr als zehn Prozent so hoch wie in kaum einer Region im Westen der Republik.

Dabei stellt die Studie insgesamt fest: Vor allem in ländlich geprägten Räumen abseits prosperierender Ballungsgebiete wie München, Stuttgart, Hamburg, Frankfurt oder Düsseldorf haben Menschen geringere Teilhabechancen und sind von der gesellschaftlichen Entwicklung abgeschnitten. Dabei gelten Düsseldorf und Bonn als „erfolgreiche Städte“, Aachen und Köln als „attraktive Städte“, wenn auch bereits mit Schwächen etwa beim verfügbaren Haushaltseinkommen oder der Lebenserwartung. Doch den Großstädten im Rheinland gehe es gut, sie prosperierten, sie zögen viele Menschen an, sie garantierten gute Teilhabe an sozialen Errungenschaften, was auch auf das Umland wie etwa den Rhein-Sieg-Kreis ausstrahle, betonte Manuel Slupina vom Berlin-Institut, Co-Autor der Studie. Institutsdirektor Klingholz sieht insgesamt den Trend, „dass die Menschen den guten Clustern hinterherziehen“.

In den 15 untersuchten und besuchten Regionen aus allen sechs Clustern schätzen die Menschen nach Einschätzung der Autoren der Studie ihre Teilhabechancen „weitgehend realistisch“ ein. Interessant: Wer heute schon viel hat, will noch mehr haben. „Es gibt die Unzufriedenheit der Satten, die wollen, dass sich ihr gutes Leben immer weiter verbessert“, so Klingholz. Auf der anderen Seite gebe es in Regionen mit schwächerer Entwicklung bei vielen Menschen auch eine „Zufriedenheit des Genügsamen“, etwa, weil man zwar wirtschaftlich nicht top dastehe, dafür aber „viel Platz“ habe und „die Miete günstig“ sei.

Hätten Bewohner das Gefühl, dass sich ihre Region positiv entwickle, schätzten sie ihre Lage eher optimistisch ein. Weniger der Status quo als vielmehr die Dynamik der Entwicklung beeinflusse die eigene Wahrnehmung – in die eine wie in die andere Richtung. Stadt, Land und mancherorts auch Frust.

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