Landtagswahl Rheinland-Pfalz Auf einem fremden Schlachtfeld

Die Politiker in Rheinland-Pfalz leisten gute Arbeit, doch kaum jemand merkt es, weil das Asylthema die politische Agenda dominiert. Impressionen aus einem Wahlkampf, den so niemand führen wollte.

Gegen den Bundestrend kannst Du nichts machen“, resümierte einst eine altgediente Landespolitikerin nach ungezählten Wahlkämpfen. Wie oft hatte sich die gute landespolitische Arbeit von Jahren in ein paar Tagen vor der Wahl noch in eine Niederlage verwandelt! Frustrierend. Doch was ist, wenn es eigentlich gar keinen Trend gibt und alles fließt? Wenn Umfragen nicht mehr helfen? Wenn sich niemand mehr für Kita-Gebühren, Stellenpläne der Polizei, die Inklusion an Schulen oder Windenergie-Eignungsflächen im Pfälzer Wald interessiert? Es geht um Rheinland-Pfalz, doch alle reden über Flüchtlinge und Asylpolitik, obwohl das Land hier fast nichts aus eigener Kraft bewegen kann. Die Spitzenkandidaten von SPD, CDU, Grünen und FDP stellen sich darauf ein. Vier Impressionen aus einem Wahlkampf, den so niemand führen wollte.

Malu Dreyer ist die Amtsinhaberin. Sie macht den Job sehr gerne, gibt sie zu. Aber sie klingt fast ein wenig resigniert, wenn sie über einen Wahlkampf berichtet, der sie in eine Position gebracht hat, in die sie nach ihrer eigenen Einschätzung gar nicht gehört: Aufgegeben hat sie nicht, auch wenn die Umfragen ihre Partei, die SPD, im Moment hinten sehen und auch eine Koalition mit den Grünen sie nicht retten würde.

Das Problem liegt woanders. Die Bürger differenzierten ja nicht, ob Bund oder Land zuständig seien. „Es gibt eine große Orientierungslosigkeit“, sagt sie. Doch was kann Orientierung geben? Die Erfolgsbilanz nach drei Jahren Amtszeit? Routiniert spult sie ihr Programm herunter: Erfolgsland Rheinland-Pfalz heißt ein Schlagwort. Die Behörden haben das Flüchtlingsthema gut im Griff. Das Thema Nürburgring und die anderen Skandale sind abgearbeitet. Na klar, in Sachen digitale Infrastruktur, Energiewende und Straßenbau ist noch viel zu tun, aber es wurde auch eine Menge geschafft. Die Kompetenzwerte der Landesregierung in den Umfragen sind gut und die Zufriedenheit der Bürger ist es auch. Malu Dreyer hat den Laden im Griff. Man spürt, dass sie aus der Kommunalpolitik kommt, wo konkrete Probleme zu lösen sind, wo es sachlich zugeht und die große Politik, geschweige denn Ideologie nicht weiterhilft. Doch die entscheidenden Zahlen der Sonntagsfrage bleiben mäßig, denn im Winter 2016 geht es in Rheinland-Pfalz um etwas anderes.

Die Flüchtlinge und die AfD schreiben ihr das politische Schlachtfeld vor, auf dem sie sich nicht wirklich zu Hause fühlt. Sie hat eine Haltung. Den Feinden der Demokratie darf man kein Forum bieten. Ihre Entscheidung gegen einen Auftritt in der Elefantenrunde des SWR hat sie aus dieser Position heraus früh und offenbar ohne langes Nachdenken getroffen. Der Vorwurf, sie wolle dem SWR Vorschriften machen „hat mich hart getroffen“, sagt sie. „Es ist ja nicht alles Wahlkampf, ich habe da meine Überzeugung.“ Die AfD sei keine normale Partei, sie verberge ihre wahren Absichten. In Talkshows seien die rechtsextremen Positionen schwer zu widerlegen, weil die Vertreter der Partei sich letztlich nicht stellten. Den Rechtsextremen kein öffentliches Forum bieten: Das habe bei der NPD im Konsens der Demokraten doch auch ganz gut funktioniert. Will sie die Auseinandersetzung mit der AfD ganz vermeiden? Nein, in keinem Fall. Man müsse die Ursachen bekämpfen, den Bürgern die Angst nehmen. „Politik muss Orientierung geben“, sagt sie. Streitereien wie in der CDU sind da nicht hilfreich. Das ist dann schon der beinahe einzige Seitenhieb auf ihre Kontrahentin Julia Klöckner.

Die redet inzwischen gar nicht mehr über Landespolitik: Bevor das Flüchtlingsthema die Wahlkämpfer überrollte, war sie mit konventionellen Themen unterwegs: die Industriepolitik der Grünen in ihrer ideologischen Variante, die Auswüchse des Windenergieausbaus, die desolate Bildungspolitik mit dem emotionalen Thema, Schreibenlernen nach Gehör, mehr Polizei, ein Landes-Familiengeld. Julia Klöckner ist gelernte Journalistin und versteht etwas vom Zuspitzen. Sie bringt das alles auf kurze Formeln, und außerdem hat sie bei Roland Koch gelernt, wie man eine rot-grüne Regierung angreift und dass ein Schuss Populismus nie schadet. Was die Grünen in der Landespolitik so treiben, bezeichnet sie als Glücksfall für sich selbst.

Doch dann kamen die Flüchtlinge, und die landespolitischen Themen wurden ein Fall für die Schublade. Julia Klöckners Stärke ist ihre politische Geistesgegenwart, ihr ausgeprägter Instinkt. Sie erkennt sofort, wenn der Gegner ein Thema liegenlässt oder einen Fehler macht. Ist es richtig, den Landtagswahlkampf fast ausschließlich mit dem Thema Flüchtlinge zu bestreiten? „Man verliert oder man gewinnt mit diesem Thema“, analysiert sie ganz nüchtern. Sie will gewinnen. Also geht sie in die Offensive und stellt sich den schnell schwankenden Stimmungslagen der eigenen Basis. Mit Erfolg, denn die Umfragewerte ihrer Partei sind derzeit deutlich besser als die der SPD.

Das landespolitische kleine Karo ist ihre Sache nicht mehr. Sie telefoniert mit dem österreichischen Außenminister und debattiert mit ihm über die neue Flüchtlingspolitik. Sie entwirft ein Programm für ganz Deutschland, das nicht Plan B heißen soll, sondern eben A2, und treibt die Kanzlerin damit vor sich her. Die ist über jeden Schritt informiert, beteuert die quirlige Politikerin. Ob Frau Merkel derzeit viel Spaß daran hat, neben Russland, Syrien und die Türkei auch noch die Pfalz immer im Blick haben zu müssen? Wenn es nicht so sein sollte, lässt sich die Kanzlerin nichts anmerken.

Julia Klöckner beherrscht die Debatten, selbst auf der bundespolitischen Ebene, und ihre Konkurrentinnen zollen ihr dafür Respekt. Was soll in einem Wahlkampf daran schlecht sein? Zumal wenn die Gegnerin solche Fehler macht, wie mit ihrer Absage der Fernsehdebatte. Julia Klöckner ließ sich die Gelegenheit nicht entgehen, ihre Kontrahentin ins Abseits zu manövrieren. Sie zeigt Haltung, indem sie muslimischen Würdenträgern das Gespräch verweigert, wenn die ihr aus religiösen Gründen nicht die Hand geben wollen. Sie zeigt Haltung nicht still und heimlich, sondern ziemlich plakativ. Instinktsicher hat sie erkannt, dass es für die CDU stark auf die Frauen ankommt: die konservativen Männer driften leicht mal nach ganz rechts ab. Bei den Frauen hat sie eine Chance, denn die mögen es nicht gerne radikal. Nach der Kölner Silvesternacht ist das noch einmal wichtiger geworden. Jedes Thema müsse letztlich ein Frauenthema sein.

Die Grünen regieren in Rheinland-Pfalz seit Jahren mit und Eveline Lemke ist stellvertretende Ministerpräsidentin und Wirtschaftsministerin. Sie sei „bekennende Industrieministerin“, sagt sie von sich und findet doch nur schütteren Beifall in der Wirtschaft. Aber auch für sie sind die Flüchtlinge wichtig, aber ganz anders als bei SPD und CDU: „Wir wollen Fluchtursachenbekämpfung machen“, streicht sie staatstragend heraus – als könnte man das von Rheinland-Pfalz aus. Der neue Extremismus auf der Rechten ist nicht das Problem der Grünen.

Anders als ihre Kolleginnen ist sie nicht mit Islam-Hass und Flüchtlingsfurcht konfrontiert. Die Bürger fragen an den Wahlständen nach den Rechten der Kurden, den Brandanschlägen auf Asylbewerberheimen und der Zukunft des Asylrechts, das so offenkundig unter Druck gerate. Lemke ist Pragmatikerin genug, um an einigen Stellen alte Positionen der Grünen auch mal in Frage zu stellen, mit Rücksicht auf die SPD, die sonst unter die Räder käme. Ihre Partei sieht sie grundsätzlich gut aufgestellt.

Das Thema Sicherheit von Frauen vor sexuellen Übergriffen? Schon immer ein grünes Thema, die Partei sei gut vernetzt in Frauengruppen. Die Debatte darum sei neu, nicht das Thema. Ja, innere Sicherheit sei von Bedeutung, denn die Polizei ist überlastet. Sorgen macht sie sich nicht: Die Grünen sind in Städten und Kommunen kommunal stark verankert, das Milieu nicht annähernd vergleichbar mit CDU oder SPD vom Flüchtlingsthema erfasst und von Ängsten geplagt. Ihr Wahlkampf richtet sich daher auf ein einfaches Ziel. „Die Kleinen draußen halten“, aus dem Landtag. Damit meint sie FDP und AfD. Zusammen mit einer hohen Wahlbeteiligung könnte es dann noch einmal für Rot-Grün reichen. Dass der Unternehmerverband zur Wahl der FDP aufruft? Das ist in diesem Wahlkampf aber nur noch am Rande wichtig.

Wäre da nicht die FDP. Landesvorsitzender Volker Wissing ist der letzte aufrechte Streiter für landespolitische Themen. Er verfolgt ein altes liberales Erfolgsmodell und macht antizyklischen Wahlkampf: Wenn alle über Flüchtlinge reden, dann ist für eine kleine Partei wenig zu gewinnen, die im Bund nichts zu sagen hat und auch im Land derzeit nicht im Parlament sitzt. Dafür ist das Feld der Landespolitik verwaist. Hier wittern die Freien Demokraten ihre Chance, denn auch ein politisches Nischenthema kann für den Wiedereinzug in den Landtag und womöglich in die Regierung genügen. Aber wie weiter mit den Flüchtlingen?

Wissing hat ein paar Formeln drauf, die sein Bundesvorsitzender ähnlich anbringt. Allzu viel Nachfrage lassen diese Positionen schnell wackelig werden. Wer zu konkret wird, macht im Wahlkampf leicht mal einen Fehler. Dafür konzentriert er sich auf Landespolitik. „Es gibt eine große Unzufriedenheit mit Rot-Grün im Land“, stellt er fest. Die grüne Wirtschaftspolitik sei industriefeindlich, die Hochschulen habe man verärgert, der Windkraftausbau laufe nach absurden Vorstellungen, das Breitbandnetz komme nicht voran, die Straßen und Brücken verfielen schneller als die Regierung sie reparieren lassen wolle.

Das funktioniert gut, sagt Wissing. Seine Versammlungen sind voll, die Unternehmerverbände unterstützen die FDP, es gebe neue Mitglieder. Ist das noch die alte und einst erfolgreiche Brüderle-FDP? Die Partei sei heute eben anders, sagt Wissing, wenn die AfD die Protestpartei in Sachen Flüchtlinge ist, will die FDP die Protestpartei in Sachen Landespolitik sein. Gegen den Trend kann auch er keine Wahlen gewinnen, aber vielleicht hat er den Trend besser erkannt als seine Mitbewerber.

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