Viertklässler antworten „Wenn ich Bundeskanzler würde ...“

Bonn · An diesem Sonntag haben die Deutschen die Wahl. Korrekt genommen: Nicht alle Deutschen, sondern nur die Erwachsenen. Was denken Kinder über Politik?

 Zehnjährige aus vier Grundschulen haben sich an der diesjährigen Aktion beteiligt.

Zehnjährige aus vier Grundschulen haben sich an der diesjährigen Aktion beteiligt.

Foto: Wolfgang Kaes

Seit vier Jahrzehnten schon lässt Dorothee Hölscher zehnjährige Viertklässler aufschreiben, was ihnen wichtig ist. Angefangen hat alles 1986. Da hat die 1941 mitten im Krieg und acht Jahre vor Gründung der Bundesrepublik geborene Lehrerin Dorothee Hölscher zum ersten Mal ihre eigenen Viertklässler in Troisdorf aufgefordert, Gedanken, Wünsche, Träume aufzuschreiben.

Spontan, grundsätzlich unzensiert und ohne Zwang zum Mitmachen, unterzeichnet lediglich mit dem Vornamen: Dies ist der Modus bis heute. So wie stets oben auf dem DIN-A-4-Formular der vorgegebene Halbsatz als Texteinstieg, den die Kinder vorab nicht kennen, damit sie möglichst spontan reagieren. Der wechselt allerdings regelmäßig: „Wenn eine Fee zu mir käme ...“. Oder: „Mein Leben in 20 Jahren ...“. Oder unmittelbar vor Bundestagswahlen wie nun: „Wenn ich Bundeskanzlerin / Bundeskanzler würde ...“.

Prominente Unterstützung

Bald sprach sich das herum, immer mehr Grundschulen wollten mitmachen. Marianne von Weizsäcker, die Frau des damaligen Bundespräsidenten, unterstützte das Projekt von Anbeginn und steht heute noch im Kontakt mit der inzwischen pensionierten, in Bad Neuenahr wohnenden Pädogogin, ebenso wie die norwegische Schauspielerin und Unicef-Botschafterin Liv Ullmann.

In ihrem langen Berufsleben unterrichtete Lehrerin Dorothee Hölscher an elf verschiedenen Schulen in Deutschland – bedingt durch den Beruf ihres inzwischen ebenfalls pensionierten Mannes: Offiziere der Bundeswehr müssen häufig den Standort wechseln. So aber entstand ein fester Stamm von Grundschulen, die immer wieder gerne mitmachen. „Bei jeder Aktion kommen aber auch wieder neue Schulen hinzu“, versichert die Pädagogin.

Archiv als Forschungsobjekt

Das inzwischen vier Jahrzehnte umfassende Archiv ist regelmäßig Forschungsobjekt von Wissenschaftlern, die Studien zur Veränderung von Sprache im Lauf der Zeit oder zum Vergleich von Ost und West betreiben. Zwei ihrer zu Büchern gebundenen Textsammlungen befinden sich im Haus der Geschichte in Bonn. Grundsätzlich nimmt Dorothee Hölscher nur zehnjährige Viertklässler: Da haben die Kinder aller sozialen Schichten den höchsten Bildungsstand und das größte Sprachvermögen erreicht, bevor sie durch die weiterführenden Schulen getrennt werden.

Als 1989 die Mauer fiel, gewann das Projekt eine neue Dimension. Seither nehmen immer auch Schulen aus dem ehemaligen Staatsgebiet der DDR teil, in diesem Wahljahr 2017 eine Grundschule in der 7800-Einwohner-Stadt Markneukirchen im Bundesland Sachsen nahe der tschechischen Grenze sowie eine Grundschule in Berlin-Köpenick im ehemaligen Ostteil der größten Stadt Deutschlands. Ferner sind diesmal die Grundschule Bad Neuenahr und die Jahnschule an der Herseler Straße im Bonner Norden dabei.

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