Röttgen-Rauswurf Der tiefe Fall des Norbert R.

BONN · Norbert Röttgen hat, es ist drei Jahre her, ein Buch geschrieben: "Deutschlands beste Jahre kommen noch" hat er es benannt. Und bei vielen, die es lasen - und es lasen viele, weil es ein gutes Buch war - schwang die Unterstellung mit: Damit meint er auch sich selbst.

 Norbert und Ebba Röttgen am Wahlabend in Düsseldorf.

Norbert und Ebba Röttgen am Wahlabend in Düsseldorf.

Foto: dpa

"Röttgens beste Jahre kommen noch", Untertitel: "Warum wir keine Angst vor der Zukunft haben müssen." Das Buch, das sich der Globalisierung (nicht dem Umweltschutz) widmete, hat Bestand. Die Aussage nicht mehr: Norbert Röttgen hat seine besten Jahre hinter sich, jedenfalls was die Politik angeht.

Angesichts eines Rauswurfs ohne Vorbild, angesichts einer Kälte, mit der die Kanzlerin handelte und die völlig überraschend "Muttis Klügsten" traf. Auch das ist so ein Klischee. "Muttis Klügster". Das stimmte schon lange nicht mehr und deshalb hat Norbert Röttgen ja bereits 2006 versucht, aus der Politik abzuspringen.

Damals ist er Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, gerade 40 Jahre alt, und alle Welt hat ihn nach der Bundestagswahl 2005 als Kanzleramtsminister gehandelt. Doch Merkel entscheidet anders, setzt Thomas de Maizière an diese Schaltstelle der Macht, und Norbert Röttgen reagiert, wie er immer reagiert, wenn er sich verletzt oder zurückgesetzt fühlt: Er zieht sich in sein Schneckenhaus am Hang in Stieldorf zurück, wo er seit Jahren mit Frau Ebba und den Kindern Johannes, Clemens und Judith lebt, und sinnt - nicht auf Rache, wohl aber auf Veränderung.

Er lässt sich zum Geschäftsführer des Bundesverbandes der deutschen Industrie BDI wählen, will aber sein Bundestagsmandat behalten. Karriere mit Rückversicherung. So wie jetzt wieder bei der halbherzigen Kandidatur in NRW. Damals vom Strippenzieher der Macht ohne Umweg zum Lobbyisten. Röttgen ignoriert Ratschläge, dass das nicht gehe, ein Sturm der Entrüstung bricht los. Röttgen muss umkehren, sitzt wieder in der Fraktion, aber kleiner als zuvor.

"Muttis Klügster" hat binnen kürzester Zeit zwei Niederlagen zu verkraften: erst nicht Minister, dann nicht Hauptgeschäftsführer. Wenigstens bleibt er beim Thema, bei der Wirtschaftspolitik. Friedrich Merz, sein Kumpel aus früheren Bonner Tagen, hat da eine Lücke hinterlassen, die er jetzt füllen will und mit seiner Arbeitsbesessenheit auch zu füllen beginnt. Bis Karl-Theodor zu Guttenberg kommt, dem er aber nach Aufkommen der Plagiatsaffäre ein schnelles Ende prophezeit. Womit er, wie man weiß, schließlich Recht hat.

Angela Merkel gibt dem geschrumpften Jungstar eine neue, eine Bewährungschance, sie soll sich als Himmelfahrtskommando erweisen. Röttgen wird 2009 Umweltminister und damit zum erklärten Atomkraftgegner. Das Ziel ist wieder ein strategisches: Neue Mehrheiten braucht das Land, die Grünen werden das Objekt seiner Begierde. Den Schwarzen ist das zu viel. Das Misstrauen bei den Konservativen in der Union wächst.

Bei der viel diskutierten Verlängerung der Laufzeiten für Atommeiler darf er nach Merkels Willen nur eine Randrolle spielen. Röttgen duckt und fügt sich. Dann kommt 2011 Fukushima und mit der Katastrophe die Wiedergeburt des Norbert Röttgen. Raus aus der Atomkraft heißt jetzt die Devise der Union. Röttgen empfiehlt seiner Partei, die Kernenergie nicht zu einem "Alleinstellungsmerkmal" zu machen und gerät weiter ins Abseits, übrigens auch in der Wirtschaft.

Merkel hat den gestrigen Rausschmiss fast unverblümt mit den Mängeln in der Umsetzung der Energiewende begründet. Dass sie damit drei Tage nach der Wahlklatsche in Nordrhein-Westfalen nur ein Stückchen Wahrheit ausspricht, weiß sie selbst. Dass sie damit den Blockierern der Wende in der Wirtschaft in die Hände spielt, weiß sie auch.

Die Amtsbilanz des Norbert R. ist also irreparabel beschädigt. Nicht das geworden, was er wollte; nicht das durchgesetzt, was von ihm erwartet wurde: einen ehrgeizigen arbeitsamen Mann wie Röttgen muss das entsetzen, seine nicht minder ehrgeizige Frau, die - auch das gehört zur traurigen Entwicklung der vergangenen Tage kurz vor der Wahl unerwartet ihren Vater verlor - ebenso.

Das Mitleid mit den Aufsteigern aus Stieldorf hält sich dennoch in Grenzen. Denn auf dem Weg zur Macht hat sich Röttgen immer mehr Feinde gemacht. Das Verhältnis zum Unionsfraktionschef Volker Kauder ist zerrüttet, spätestens seit er ihn 2009 wegputschen wollte.

Andreas Krautscheid, sein alter Freund aus Bonner Wohngemeinschaftstagen, ist mehr als einmal von ihm geschnitten, überholt und entmachtet worden. Zuletzt, als es ihm gelang, gegen Armin Laschet den CDU-Vorsitz in Nordrhein-Westfalen zu übernehmen. Da waren Krautscheids Tage als Generalsekretär gezählt. Krautscheid ist seitdem verbittert, Laschet nicht mehr unter seinen Freunden.

Hinzu kommt die bittere Erfahrung des Wahlkampfes, eine Erfahrung, gegen die sich Röttgen immer gewehrt hat: Er kommt beim Volk nicht an, seine Bürgernähe wirkt nicht als Nähe, da kann er sich bemühen, wie er will. Röttgen weiß, dass es dagegen kein Ankämpfen gibt. Gerade in der Politik ist entscheidend, wie einer wirkt, wie er "rüberkommt". Und es wäre auch deshalb nicht verwunderlich, wenn er diesmal der Politik völlig entsagen würde. Gestern war dazu Schweigen angesagt.

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