Kommentar zum Bonner Prozess um Cum-Ex-Geschäfte Der Sparer zahlt

Die Bonner haben mit dem WCCB-Skandal und seiner juristischen Aufarbeitung in jüngerer Zeit bereits einen Wirtschaftskrimi erleben dürfen. Was an diesem Mittwoch mit der Hauptverhandlung gegen zwei britische Aktienhändler, die der schweren Steuerhinterziehung angeklagt sind, beginnt, ist gelinde gesagt noch ein paar Nummern größer.

 Im Zuge der Cum-Ex-Ermittlungen wurde vergangene Woche die Deutsche-Börse-Tochter Clearstream durchsucht.

Im Zuge der Cum-Ex-Ermittlungen wurde vergangene Woche die Deutsche-Börse-Tochter Clearstream durchsucht.

Foto: dpa

Selbst ausländische Medien werden anwesend sein, wenn der Vorsitzende Richter Roland Zickler im Großen Schwurgerichtssaal die Anklage im bundesweit ersten Prozess um die berüchtigten Cum-Ex-Geschäfte verlesen wird.

Allein der Name „Cum-Ex“, wann immer er in den vergangenen Jahren fiel, schreckt ab. Doch die Sache dahinter ist so sperrig und unverständlich wie die Bezeichnung. Es geht um höchst komplexe Aktienkarussellgeschäfte und die Frage, ob da findige Investmentbanker nur eine Gesetzeslücke entdeckt hatten oder ob sie bewusst betrogen haben.

Zwei Mal hatte der Gesetzgeber nach der Jahrtausendwende versucht, den Cum-Ex-Deals und ihren Varianten einen Riegel vorzuschieben. Beim ersten Mal im Jahr 2007 schlug das gründlich fehl – Insider sagen, dass danach die Steuerhinterziehungsmasche nur umso dreister betrieben worden sei. Bis 2012, als das Bundesfinanzministerium den Hahn angeblich endgültig zudrehte, ist der deutsche Fiskus auf diese Weise um Milliarden Euro Einnahmen gebracht worden.

Mehr 800 Seiten eines Untersuchungsausschusses im Bundestag haben 2017 nur wenig Licht ins Dunkel der Cum-Ex-Geschäfte bringen können. Kölns Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker ist froh, dass sie nicht geladen wurde, denn dann hätte sie bereits einige ihrer damaligen Erkenntnisse preisgeben müssen, war sie da doch den großen Fischen bereits auf der Spur.

Jetzt kommt es darauf an, dass die beiden Angeklagten tatsächlich so auskunftsfreudig sind, wie sie es in den zahllosen Vernehmungen der vergangenen Jahre waren. Denn nur, wenn sie ihre Aussagen öffentlich wiederholen, sind sie für das Gericht verwertbar. Ihre Einlassungen haben bereits zu vielen anderen Beteiligten geführt, die demnächst ebenfalls angeklagt werden könnten. Ihre Zahl geht in die Hunderte.

Erschreckend an dem, was die Ermittlungen bisher zutage führten, ist die weite Verbreitung der Cum-Ex-Deals. Praktisch alle Geldhäuser haben mit ihren Investmentabteilungen in der ein oder anderen Weise von den Geschäften profitiert. Finanzbeamte wurden von den Unternehmen, die eine niemals gezahlte Dividendensteuer zurückforderten, erheblich unter Druck gesetzt. Steuerfahnder und Betriebsprüfer sahen sich rein zahlenmäßig nicht in der Lage, den über ausländische Kapitalgesellschaften abgewickelten Tricksereien auf die Spur zu kommen.

Lange Zeit glaubte man in Deutschland, man müsste das Investmentbanking nach angloamerikanischem Vorbild betreiben. Die waghalsigen Anlageprodukte, die dort entstanden sind, haben aber die Banken-, Finanz- und Staatsschuldenkrisen im vergangenen Jahrzehnt verursacht. Bis heute sind die größten Leidtragenden die Steuerzahler und die vielen kleinen Sparer, weil sie für ihr Geld keine Zinsen mehr bekommen. Die Lehren, die daraus zu ziehen sind: Wir brauchen mehr Personal in den Steuerbehörden, die über Europas Grenzen enger miteinander kooperieren müssen. Außerdem sollten neue Finanzprodukte nur nach vorheriger Genehmigung auf den Markt gehen dürfen. Richtschnur ist, ob solche Produkte der Allgemeinheit dienen können. Gewinne durch Rückerstattung nie gezahlter Steuern sind es jedenfalls nicht.

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