Pakistan Der schwache Mann vom Hindukusch

BANGKOK · Wenn Präsident Hamid Karsai heutzutage seine frühere Exilheimat Pakistan besucht, geht es nicht ohne begleitenden Theaterdonner. "Islamabad soll helfen, Gespräche mit den Talibanmilizen in Gang zu bringen", verkündete das afghanische Staatsoberhaupt am Montag vor seiner Ankunft in dem benachbarten Atomstaat, "und ich will außerdem für die Freilassung von hohen Talibanfunktionären aus pakistanischer Haft werben."

 Treffen in Islamabad: Afghanistans Präsident Hamid Karsai und der pakistanische Premier Nawaz Sharif.

Treffen in Islamabad: Afghanistans Präsident Hamid Karsai und der pakistanische Premier Nawaz Sharif.

Foto: AP

Bei seinem letzten Staatsbesuch vor 18 Monaten hatte Karsai sich nahezu gleichlautend geäußert. Eineinhalb Jahre später sind Verhandlungen über eine politische Lösung des Kriegs am Hindukusch immer noch nicht vorangekommen. Doch die Verantwortung liegt weder bei den Talibanmilizen noch bei Pakistan oder den USA. Sie unterhalten längst fest etablierte Gesprächskanäle und würden am liebsten Verständigungsmöglichkeiten sondieren. Es ist vielmehr Karsai, der sich immer wieder querstellt und Verhandlungen torpediert, wenn sie nicht unter der Ägide seiner Regierung stattfinden.

Zuletzt wurde ein Verbindungsbüro der radikalislamischen Milizen in Doha wieder geschlossen, nachdem Karsai Sturm gelaufen war und die Verhandlungen über ein Sicherheitsabkommen mit den USA ausgesetzt hatte. "Wenn Pakistan einen Gesprächskontakt zwischen den Taliban und den USA knüpfen kann, dann muss Pakistan auch in der Lage sein, eine solche Verbindung für uns herzustellen", erklärte Umer Daudzai, Kabuls Botschafter in Islamabad, laut der Tageszeitung "Express Tribune" vor Karsais Besuch.

Doch je näher der endgültige Abzugstermin der NATO-Kampftruppen vom Hindukusch am Ende des kommenden Jahres rückt, um so deutlicher wird die schwache Position des afghanischen Präsidenten. Im April kommenden Jahres muss er laut Verfassung sein Amt abgeben. Wer aus seinem Umfeld die Nachfolge antreten soll, ist immer noch unklar. Die Taliban zeigen gegenwärtig dementsprechend geringes Interesse an Verhandlungen mit Kabul. Sie wollen mehrere Kampfgefährten, die in Guantánamo festsitzen, gegen den gefangenen US-Soldaten Bowe Bergdahl austauschen. Außerdem verlangen sie die Streichung von Talibanmitgliedern von einer UN-geführten Terrorliste. Erst nach einem erfolgreichen Ende dieser Gespräche sind sie zu direkten Verhandlungen mit Karsai, den sie als Handlanger Washingtons betrachten, bereit.

Zudem ist trotz aller Beteuerungen in westlichen Hauptstädten unklar, ob die rund 350.000 Mann starken afghanischen Sicherheitskräfte sich ohne Nato-Unterstützung gegenüber den 30.000 bis 40.000 Mann starken radikalislamischen Milizen behaupten können. Die westlichen Truppen werden freilich mit oder ohne Friedensvereinbarung zwischen den Taliban und Kabul vom Hindukusch abziehen.

"Die USA wollen raus aus Afghanistan und lechzen nach einer Friedensvereinbarung", sagt der Afghanistanfachmann Anatol Lieven, Professor für Kriegsstudien am Kings College in London, "wenn die Taliban nicht beteiligt werden, kann die Lage zusammenbrechen. Deshalb haben die USA erkannt, dass Pakistan wesentlich ist, um die Milizen an den Verhandlungstisch zu bringen." Ausgerechnet das Land, in dem sich Al-Kaida-Gründer Osama bin Laden bis zu seinem Tod jahrelang versteckte, hält plötzlich wieder den Schlüssel für einen gesichtswahrenden Abzug des Westens aus Afghanistan in der Hand. Der gegenwärtige Premierminister Nawaz Sharif, dessen Regierung vor seinem seinem Sturz im Jahr 1999 wesentlichen Anteil am Siegeszug der Talibanmilizen in Afghanistan hatte, ist sich seines Vorteils durchaus bewusst.

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