GA-Interview mit Medizin-Qualitätsprüfer "Der Artenschutz ist unangebracht"

Homöopathie als Kassenleistung mache das deutsche Gesundheitssystem unglaubwürdig, sagt der Mediziner Jürgen Windeler. Die Fragen stellte GA-Redakteurin Ulla Thiede.

 Iqwig 18.1.2016

Iqwig 18.1.2016

Foto: Iqwig

Ist es problematisch, wenn die gesetzlichen Krankenkassen Leistungen der Homöopathie erstatten?

Jürgen Windeler: Es ist legal, dass Krankenkassen ihren Kunden solche zusätzlichen Leistungen erstatten. Probleme ergeben sich dadurch, dass Krankenkassen einerseits auf die Evidenzbasierung von Arzneimitteln und Methoden großen Wert legen, an anderen Stellen in einem falsch verstandenen Wettbewerb aber offenbar beide Evidenzaugen zudrücken. Das passt nicht zusammen und macht das ganze System unglaubwürdig. Da verblüfft es dann auch eher, als dass es beruhigt, dass evidenzfreie Methoden „auf qualitativ hochwertigem Niveau“ eingesetzt werden sollen.

Sind die jüngsten Todesfälle von Kindern in den USA, die möglicherweise an zu hochdosierten Mitteln, die auch Spuren von Tollkirsche enthielten, ein Warnsignal?

Windeler: Diese Ereignisse, so tragisch sie sind, sind für die eigentliche Diskussion um die Homöopathie nicht relevant und lenken eher ab. Für die Theorie der Homöopathie und für die Wirksamkeit homöopathischer Mittel spricht nach den sonst in der Medizin geltenden Maßstäben nichts. Das wäre Grund genug, sie nicht anzubieten und nicht zu erstatten. Dass bei ihrer Anwendung wirksame Behandlungen versäumt oder verzögert werden können, kommt erschwerend hinzu.

Warum hat das IQWiG noch keine Wirksamkeitsstudie zur Homöopathie erstellt?

Windeler: Es gibt zahlreiche, hochwertige, unabhängige Reviews zu diesem Thema. Sie sprechen alle die gleiche Sprache. Die Sachlage ist also völlig klar, und es ist nicht zu erwarten, dass das IQWiG dort zu neuen Erkenntnissen kommt.

Wirken Sie auf den Gesetzgeber hin, dass er die Homöopathie als mögliche Erstattungsleistung streicht?

Windeler: Der „Artenschutz“, auf den sich Anbieter und einige Krankenkassen berufen, war schon bei seiner Einführung unangebracht. Er passt nicht zu einem modernen, evidenzbasierten Gesundheitssystem und sollte schnellstens abgeschafft werden. Im Übrigen hat das Bundessozialgericht wiederholt geurteilt, dass eine Begünstigung von Arzneimitteln der besonderen Therapierichtungen den gesetzlichen Vorgaben widerspricht. Sie haben die gleichen Anforderungen in Bezug auf Qualität und Wirksamkeit zu erfüllen wie alle anderen Methoden auch. Wenn also alle ernst nehmen würden, dass grundsätzlich bei allen Methoden, die in der Versorgung eingesetzt werden, gleiche Maßstäbe zu gelten haben, wäre das Problem schnell beseitigt.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort