Religionsfreiheit in Deutschland Debatte um das Kopftuch entbrennt erneut

Berlin · Österreich hat die Kopfbedeckung in Grundschulen verboten. Deutsche Juristen haben hingegen Bedenken. Auch die große Koalition ist uneins.

 Eine Schülerin sitzt mit Kopftuch im Unterricht.

Eine Schülerin sitzt mit Kopftuch im Unterricht.

Foto: dpa

Sollen Schülerinnen ein Kopftuch im Klassenraum tragen dürfen, wenn sie das wollen? Oder gehört das Kopftuch, das auch als Symbol für die Unterdrückung der Frau genutzt wird, an Grundschulen verboten? Nach einem Verbot in Österreich nimmt die Debatte in Deutschland wieder an Fahrt auf. Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Annette Widmann-Mauz (CDU), hat nun die Prüfung eines Kopftuchverbots für Kinder an Schulen gefordert. „Dass kleine Mädchen Kopftuch tragen, ist absurd – das sehen auch die meisten Muslime so. Alle Maßnahmen, die Mädchen davor schützen – vom Elterngespräch bis zum Verbot – sollten geprüft und angegangen werden“, sagte die CDU-Politikerin der „Bild“-Zeitung.

Das Parlament in Österreich hatte am Mittwoch ein Verbot von Kopftüchern an Grundschulen beschlossen. Zuletzt hatte hierzulande Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann (CDU) ein Kopftuchverbot für Mädchen unter 14 Jahren gefordert.

Doch Rechtsexperten haben ernste Bedenken. „Ich halte ein pauschales Verbot religiöser Bekleidung bei Minderjährigen für offensichtlich verfassungswidrig“, sagte Hans Michael Heinig, Professor für Kirchenrecht und Staatskirchenrecht an der Universität Göttingen, unserer Redaktion. Der Eingriff in die Religionsfreiheit sei nur durch höherrangige Verfassungsgüter zu rechtfertigen. „Der Bildungs- und Erziehungsauftrag wird durch ein Kopftuch, anders als durch eine Burka, nicht gefährdet“, sagte Heinig. „Ein ,richtiges’ Islamverständnis durchzusetzen ist nicht Aufgabe des Staates.“ Gesellschaftliche Integration dürfe Pluralität nicht beseitigen wollen. „Wir rutschen in Deutschland in Sorge vor dem ,politischen Islam’ zunehmend in einen Kulturkampf hinein, der im Widerspruch zu dem steht, was er zu verteidigen vorgibt: eine freiheitliche Verfassungsordnung.“

In der Koalition von Union und SPD bleibt das Thema ein Spaltpilz, Kritiker und Befürworter gibt es sowohl bei den Konservativen als auch bei den Sozialdemokraten. „Ich bin für ein Kopftuchverbot für Kinder. Das ist für mich keine religiöse, sondern eine gesellschaftliche Frage, eine Frage der Gleichstellung“, sagte etwa SPD-Familienpolitikerin Leni Breymaier. Marcus Weinberg, familienpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sieht ein Kopftuchverbot hingegen kritisch und warnt vor einer Benachteiligung von Mädchen, die sich „freiwillig für das Tragen eines Kopftuches als Zeichen ihrer Religion“ entschieden hätten.

Auch unter Pädagogen ist das Meinungsbild unterschiedlich. Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, vermutet, dass von den Eltern schon auf kleine Kinder Druck ausgeübt werde, das Kopftuch zu tragen. Er ist für ein Verbot. Der Chef des Verbandes Bildung und Erziehung, Udo Beckmann, lehnt es hingegen ab. Ihm seien keine Beispiele bekannt, dass das Tragen von Kopftüchern bei Schülerinnen an sich schon zur Störung des Schulfriedens geführt habe.

Die NRW-Landesregierung hat ein Gutachten über das Kopftuchtragen von jungen Mädchen in Auftrag gegeben. Es gehe dabei um die entwicklungspsychologische und theologische Sicht, erklärte das Integrationsministerium in Düsseldorf. Das Gutachten liege vor und werde ausgewertet.

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