Ungewisser Weg David Cameron will am 22. Mai mit "weniger Europa" den Urnengang gewinnen

LONDON · Es herrscht zurzeit ein reger Austausch zwischen Berlin und London, und doch bleibt vieles ungehört. Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel von einem Wandel redet, den die EU nötig habe, dann ähnelt das nur vordergründig dem, was der britische Premierminister David Cameron meint, wenn er Reformen in der Europäischen Union fordert.

Während die deutsche Regierungschefin eher von Nachbesserungen spricht, will der konservative Brite umfangreiche Änderungen der Verträge.

Auf der Insel soll einen Monat vor den Europawahlen die Parole "Weniger Europa" den Konservativen Stimmen einbringen. Das ist ein heikler Kurs Camerons. Und doch passt er zur Insel, wo traditionell das Nörgeln über die EU zum guten Ton gehört. "Die Menschen betrachten sich nicht wirklich als Teil Europas", sagt Stephen Tindale von der Denkfabrik "Centre for European Reform", die in London sitzt. "Wir sind die Brücke zwischen Europa und Amerika."

Premierminister David Cameron ist Anhänger des Verbunds. Doch er verliert zunehmend Stimmen an die Unabhängigkeitspartei Ukip, die so schnell wie möglich aus der EU will. Deren populistischer Chef Nigel Farage hat das Thema Einwanderung ins Zentrum der Wahlkampagne gerückt. Sie bedient die Furcht der Menschen, an ärmere Immigranten ihre Jobs zu verlieren.

Offenbar spricht Nigel Farage, der lange von den gestandenen Politikern nur belächelt wurde, die Sprache vieler Briten. Das Wettern gegen die Zuwanderer ist längst salonfähig geworden, und zahlreiche Tory-Wähler wandern nun ab.

Umfragen sehen die Ukip mit 27 Prozent der Stimmen zwar noch auf Platz zwei, doch sie steht nur knapp hinter der oppositionellen Labour-Partei, die mit 30 Prozent in Führung liegt.

Lediglich auf Platz drei kommen die konservativen Tories unter David Cameron mit 22 Prozent. Die Liberal-Demokraten, deren Chef Nick Clegg sich zur EU bekennt, sind mit nur acht Prozent weit abgeschlagen.

Nicht zuletzt um die Stammwähler bei Laune zu halten, kündigte David Cameron einen Volksentscheid für das Jahr 2017 an, sollte er die Parlamentswahlen im Mai 2015 gewinnen und dazu noch eine absolute Mehrheit für die Konservativen erreichen. Er will den Verbleib Großbritanniens in der EU zur Wahl stellen und pokert hoch. "Wenn Cameron bei den Wahlen nächstes Jahr eine Mehrheit gewinnt, wird sein Ansehen in der konservativen Partei stark steigen", prognostiziert Stephen Tindale. Das helfe auch der EU, da Cameron grundsätzlich Mitglied bleiben wolle. Aber was, wenn er kein Traumergebnis für die Konservativen einfährt?

Der Premier kämpft vor allem mit den europhoben Elementen seiner eigenen Partei. Es sind jene Tories, die dem Regierungschef immer wieder mit einer Rebellion drohen, sollte Cameron in Brüssel keine Nachbesserungen erreichen. Die radikalen Europakritiker fürchten um ihre politische und parlamentarische Souveränität. Doch um Kompetenzen aus Brüssel zurückzuholen, braucht Cameron die Hilfe aller EU-Partner. Hier hakt es.

In Bezug auf eine mögliche Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit hat Angela Merkel ihm freundlich, aber bestimmt eine Absage erteilt. Immigration jedoch sei das Hauptthema in der "äußerst emotional geführten Debatte", so Tindale. "Sowohl die Tories als auch die Labour-Partei können sich nicht entscheiden, wofür sie stehen sollen", bemängelt er. Wohin also steuert das Vereinigte Königreich? In die Isolation? Würde tatsächlich ein Referendum abgehalten und Großbritannien aus der Union aussteigen, hätte das gravierende Folgen für die Insel. Zum Beispiel bliebe den Briten der Zugang zum europäischen Binnenmarkt versagt.

Sollte David Cameron jedoch in Brüssel seinen Forderungskatalog durchsetzen können, wäre dies ein enormer innenpolitischer Erfolg. Aber selbst wenn er mit einer Art Ausnahmeregelung zurück nach London reist, scheint es fraglich, ob er damit alle in seiner Fraktion ruhig stimmen kann.

"Wir brauchen ein starkes Großbritannien mit einer starken Stimme innerhalb der EU", betonte Angela Merkel zuletzt. Am Ende ist es ein Spiel auf Zeit. Erst nach der Parlamentswahl 2015 wird sich wirklich entscheiden, welchen Weg Großbritannien in Zukunft geht.

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