Klimakonferenz Cop23 in Bonn Das Spiel auf Zeit wird zum Spiel mit dem Feuer

Bonn · Und die Wissenschaft sagt, dass mit Emissionsminderung allein der Klimawandel sowieso nicht mehr zu stoppen ist. „Negativemission“ lautet das neue Schlagwort.

Der Bürger reibt sich die Augen: Stand nicht in allen (Ausnahme: AfD) vor der Wahl ausgelegten Parteiprogrammen ein klares Bekenntnis zum Pariser Klimaabkommen? Und nun ist in den Jamaika-Gesprächen Klimaschutz ein zentraler Streitpunkt? Die ungeplante Parallelität von Koalitionsverhandlungen und internationalem Klimagipfel auf deutschem Boden führte der Welt vor, wie ernst das Land der „Klimakanzlerin“ es wirklich meint.

Jede Klima-Botschaft aus dem Klein-Klein-Koalitions-Hickkack erschien auf der Bonner UN-Bühne geradezu peinlich. Die CSU, zum Zeitpunkt des Pariser Klimajubels Mitglied der Regierungskoalition, springt schützend vor Verbrennungsmotoren, und ausgerechnet bei der innovativen FDP reicht der Fortschrittswille nur bis zum Digitalen, während sie in der Energiefrage die fossile Maske aufsetzt. Das bizarrste Argument fiel NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) ein: „Ein Braunkohle-Ausstieg in der Lausitz puscht die AfD auf 30 Prozent.“ Ein Satz, der – über Bande – die NRW-Kohle schützen soll.

In Bonn informierte Fidschis Premierminister Frank Bainimarama, was „Winston“, der bis dato stärkste Wirbelsturm auf der Südhalbkugel, im Februar angerichtet hatte: „Wir hatten 44 Tote zu beklagen und haben ein Drittel unseres Bruttoinlandprodukts verloren.“ Unwillkürlich stellt man sich vor, dass Laschet dem Fidschianer achselzuckend sagt: Ich bitte um Verständnis, aber 0,15 Prozent der deutschen Arbeitsplätze (Braunkohle) sind wichtiger als der Untergang des Fidschi-Inselreichs. Tatsächlich ist das leider auch die unausgesprochene Botschaft der 23. UN-Klima-Konferenz.

Fidschi wäre nur zu retten, wenn die Welt die Erhöhung der Erdtemperatur auf 1,5 Grad Celsius beschränkt. Tatsächlich erreicht sie voraussichtlich noch nicht einmal das Zwei-Grad-Ziel. Alle nationalen Treibhausgas-Einsparpläne enden bei mindestens 3,0 Grad, und spätestens ab 2020 muss die Weltemission sinken. Was ist das für eine deutsche Energiewende, bei der die Emission nicht sinkt?

Was ist das für ein globaler Bewusstseinswandel, wenn 2017 wieder ein Rekord-Emissionsjahr wird? Das – weitere – Spiel auf Zeit spiegelt, dass das politisch Machbare sich nicht mit dem technologisch Machbaren deckt und schon gar nicht mit dem wissenschaftlichen Konsens. Selbst der Mut für UN-Beschönigungsrhetorik fehlt. Niemand spricht, wie sonst nach einer Cop üblich, von einem „richtigen Schritt in die richtige Richtung“.

Die Geschichte des globalen Klimaschutzes seit 1995 (Cop 1) lehrt: Erst wurde der Klimawandel bestritten, dann, dass der Mensch dahinter steckt, schließlich – nach Jahrzehnten des Zweifelns und Zauderns – schlichen sich Themen auf die Agenda, die weniger mit Klimaschutz als mit Klimaanpassung zu tun haben. Unausgesprochen wurde akzeptiert, dass der Klimawandel längst begonnen hat, schneller abläuft als erwartet und alle Klimagipfel die Weltemission nicht gesenkt haben.

Wird der politische Kompass nicht bald auf physikalische Realitäten geeicht, wird bald ein neues Thema auf die UN-Agenda rücken: Großchirurgische Eingriffe, die den Planeten kühlen sollen. Geo-Engineering ist zwar extrem risikoreich, aber bald unausweichlich. Politiker werden bald „Negativemission“ aussprechen. Sanft müssen der Gesellschaft harte Schritte erklärt werden, die auch bedeuten, dass Kohlendioxid in die Erdkruste zurückgepumpt wird.

Und das in einer Gesellschaft, die schon wegen neuer Stromtrassen im Zeichen der Energiewende auf die Barrikaden steigt. Die Bürger werden überrascht sein, die Politiker wissen es schon heute, schweigen aber. Nichts Neues also unter der Sonne: Die Welt taktet nach Legislaturperioden und gelegentlich, wie gerade in Berlin, nach dem kleinsten politischen Nenner.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort