Ex-Verfassungsrichter Winfried Hassemer im Interview "Das Gericht sollte etwas sensibler sein"

Berlin · Der frühere Bundesverfassungsrichter Winfried Hassemer kritisiert im Streit um die Vergabe von Medienplätzen im bevorstehenden NSU-Prozess mangelnde Sensibilität des Oberlandesgerichtes München.

Der frühere Bundesverfassungsrichter Winfried Hassemer kritisiert im Streit um die Vergabe von Medienplätzen im bevorstehenden NSU-Prozess mangelnde Sensibilität des Oberlandesgerichtes München.

Der frühere Bundesverfassungsrichter Winfried Hassemer kritisiert im Streit um die Vergabe von Medienplätzen im bevorstehenden NSU-Prozess mangelnde Sensibilität des Oberlandesgerichtes München.

Das in dem Fall angewandte Windhund-Verfahren, wonach Plätze nach dem Eingang der Anmeldung vergeben werden, dürfe "nicht ohne Korrektur" bleiben. Das Gericht solle "etwas sensibler" bei der Zulassung auch der ausländischen Medien sein.

Das Oberlandesgericht München hat für den Auftakt des NSU-Prozesses das so genannte Windhund-Verfahren bei der Zulassung der Medien gewählt. Die 50 Ersten bekommen die Plätze. Was ist, auch im Hinblick auf die politische Dimension des Prozesses, davon zu halten?
Hassemer: Das Kriterium "Wer zuerst kommt, mahlt zuerst" ist grundsätzlich das richtige Kriterium. Es geht darum, das Gericht gewissermaßen dazu zu zwingen, Öffentlichkeit zuzulassen. Der Witz dieses Prinzips ist aber, dass sich das Gericht die Öffentlichkeit nicht aussuchen kann, sondern das Gericht muss darauf warten, wann sich wer anmeldet. Und so wie die Interessierten sich anmelden, stellt sich die Öffentlichkeit her. Wir vergessen nicht: Das Gericht soll ja durch die Öffentlichkeit kontrolliert werden. Aber dies ist natürlich nur der Normalfall und somit nicht der Fall dieses NSU-Prozesses.

Welche Probleme sehen Sie?
Hassemer: Es trifft bei großem allgemeinem Interesse vor allem die Opfer beziehungsweise deren Hinterbliebene. Und nach den Opfern kommt natürlich auch die Presse. Deshalb darf man diesem Windhund-Prinzip im vorliegenden Fall nicht ohne Korrektur folgen. Das Gericht muss ein wenig ab- und zugeben, es muss sich praktische Lösungen überlegen, ohne das Prinzip der Öffentlichkeit zu verletzen. Es sollte etwas sensibler sein bei der Zulassung auch der ausländischen Medien. Man könnte beispielsweise eine Poolbildung vereinbaren oder einen weiteren Raum für die Presse öffnen. Wenn dabei bestimmte Sicherheitsvorkehrungen erfüllt sind, wäre das, glaube ich, kein Problem.

Haben Sie den Eindruck, dass das Oberlandesgericht München Angst vor einem formalen Verfahrensfehler hat, weil es an diesem Windhundverfahren so strikt festhält?
Hassemer: Ich kann als Jurist nur sagen, wenn das Gericht Angst hat, einen Fehler zu machen, dann ist es auf der richtigen Seite. Das ist wirklich ein Problem mit Blick auf eine mögliche Revision. Wenn das Gericht den Fehler macht, zu viel, zu wenig oder die falsche Öffentlichkeit zuzulassen, dann kann passieren, dass nach Abschluss des Verfahrens die eine oder andere Seite sagt: Das war eine Verletzung des Rechts. Dann müsste das gesamte Verfahren möglicherweise nochmal neu aufgerollt werden. Jeder Jurist hat davor Angst.

[kein Linktext vorhanden]Was spricht gegen eine Videoübertragung in einen anderen Saal des Gerichts, gleichfalls ein geschützter Raum?
Hassemer: Ich will das Gericht nicht belehren, aber das wäre der Weg, von dem ich denke, man könnte ihn gehen. Man muss nach dem Gesetz und seinem Sinn verhindern, dass eine manipulierte Öffentlichkeit an dem Verfahren teilnimmt. Das wäre ein Prozess, den wir alle nicht wollen. Aber man könnte mit einer solchen Übertragung den Gerichtssaal gewissermaßen akustisch vergrößern. Das ist möglich, ohne die Grundprinzipien eines öffentlichen Strafverfahrens zu verletzen. Außerdem: Mit der Dauer des Verfahrens lässt nach aller Erfahrung auch das öffentliche Interesse an dem Prozess nach.

Sie meinen eine Art Hörfunk- und somit keine Videoübertragung?
Hassemer: Eine Hörfunkübertragung könnte es sein. Das haben wir auch beim Bundesverfassungsgericht schon praktiziert. Und Karlsruhe macht das immer noch. Ich habe aber auch nichts gegen eine Videoübertragung in einen anderen Saal des Gerichts, wenn das richtig in die Wege geleitet und richtig kontrolliert wird.

Haben Sie keine Angst vor einem Schauprozess?
Hassemer: Das sind durchaus berechtigte Bedenken des Oberlandesgerichts München. Wenn bei der Zulassung von Öffentlichkeit Fehler gemacht werden, kann es zum Schluss ein Schauprozess werden. Und das wäre furchtbar, das wäre schlicht verfassungswidrig. Aber wenn man bei einer Videoübertragung sicherstellt, dass es kein Schauprozess wird, dann wäre das ein gangbarer Weg.

Hessens Justizminister Jörg-Uwe Hahn (FDP) hat angeregt, das Akkreditierungsverfahren noch einmal komplett neu zu starten. Ist das die Lösung?
Hassemer: Ich habe das nicht zu beurteilen, sehe aber nicht, dass es unvernünftig wäre.

[kein Linktext vorhanden]Sie würden es begrüßen?
Hassemer: Ich habe Probleme, dem Gericht Ratschläge zu geben. Aber es gibt Wege, wenn man die rechtsstaatlichen Kriterien beachtet.

Reichen knapp 14 Tage, die bis zum Prozessbeginn noch bleiben, für ein neues Akkreditierungsverfahren aus?
Hassemer: Das ist in der Tat die schwache Stelle dieses Vorschlags. Das zu beurteilen, liegt in der Einschätzung der Richter, nicht in meiner.

Zur Person
Winfried Hassemer war von 1996 bis 2008 Richter am Bundesverfassungsgericht. Mit dem promovierten und später auch habilitierten Rheinhessen war 1996 erstmals ein Strafrechtsprofessor an das höchste deutsche Gericht berufen worden. Im März 2002 wurde Hassemer zum Vizepräsidenten und Vorsitzenden des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichtes gewählt. Hassemer gilt als entschieden liberal. Unter anderem war er Gegner der so genannten Kronzeugenregelung und des Großen Lauschangriffs.

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