Möglicher EU-Austritt Londons Das Brexit-Manöver

London · Probe für den Ernstfall: Was wäre bei einem EU-Austritt Londons? Bis Ende 2017 sollen die Briten über ihre Zukunft in Europa abstimmen.

Es reichte ihm ziemlich schnell und Leszek Balcerowicz brauchte nicht viele Worte, um seinen Missmut auszudrücken. „Viele Polen empfinden es als Beleidigung, dass sie beschuldigt werden, nur Sozialleistungen in Großbritannien zu wollen“, sagte der ehemalige stellvertretende Regierungschef Polens in Richtung Königreich. Sein mürrischer Blick in die Runde stockte bei Sir Malcolm Rifkind, der stellvertretend für seine britische Regierung am Tisch saß und den umstrittenen Vorschlag verteidigte, Sozialleistungen für EU-Ausländer in den ersten vier Jahren zu streichen – selbst wenn sie arbeiten. „Das ist klare Diskriminierung“, schallte es aus kontinentaler Richtung.

Die Denkfabrik Open Europe hatte am Montag Politiker aus wichtigen EU-Ländern zu einem simulierten Gipfel mit dem martialischen Titel „EU Wargames“ eingeladen. Hochrangige Repräsentanten, etwa aus Frankreich, Deutschland, Spanien und Italien, spielten die Verhandlungen über die von Großbritannien geforderten EU-Reformen durch. Hitzig stritten die Politiker über das Undenkbare, das Unvorstellbare, das Unplanbare. Im grellen Scheinwerferlicht saßen sie um den runden Tisch und diskutierten den Fall eines Brexits – wenn sich die Briten also in dem von Premier David Cameron versprochenen Referendum für einen Austritt entscheiden sollten. Derzeit liegen auf der Insel Europafreunde und -gegner in Umfragen etwa gleichauf.

Das will der Premier bald ändern. Er hofft, beim nächsten EU-Gipfel Mitte Februar eine Einigung mit den Mitgliedstaaten über seine vier Reformforderungen zu erreichen. Mit dem Deal in der Tasche will er ins Königreich zurückkehren, um für den Verbleib im Club der 28 zu werben. Spätestens bis Ende 2017 sollen die Briten über ihre Zukunft in Europa abstimmen.

Sollte es tatsächlich zur politischen Katastrophe kommen, was also würde passieren am Tag X? Spaniens Ex-Außenministerin Ana Palacio möchte es sich kaum ausmalen: „Ein Tsunami wäre im Vergleich zum Brexit eine Kleinigkeit.“ Lord Norman Lamont, Ex-Finanzminister in London und Euroskeptiker, wirbt für eine umfassende Handelsvereinbarung und will weiterhin nicht auf die Vorteile für die Londoner City verzichten.

Das sorgt für Ärger. „Warum sollten wir London einen Deal geben, der beispielsweise Frankfurts Wettbewerbsfähigkeit schadet?“, fragt Steffen Kampeter, früherer Finanzstaatssekretär, der als Vertreter Deutschlands auftritt. Auch der Belgier Karel de Gucht, ehemaliger EU-Handelskommissar, zeigt sich irritiert: „Wie können Sie nach einem Austritt erwarten, dass die EU akzeptieren würde, dass ihr Finanzzentrum außerhalb der Grenzen liegt?“ Kampeter findet: „Sich die Rosinen herauszupicken, nachdem man uns vorher monatelang gequält hat, ist nicht akzeptabel.“ Die Emotionen kochen selbst beim Rollenspiel hoch.

Ein neuer Deal mit dem abtrünnigen Großbritannien habe nach einem Brexit erst einmal keine Priorität, heißt es immer wieder. Zudem dürfe man nicht zu großzügig sein, so der Pole Balcerowicz. Abschreckung sei wichtig, damit andere populistische Bewegungen wie etwa der Front National in Frankreich nicht auf die Idee kämen, ebenfalls für einen Austritt zu werben. Eines sollte Großbritannien auf jeden Fall bedenken, warnte der ehemalige Ministerpräsident Italiens, Enrico Letta: „Es ist nicht möglich, auszutreten und zu denken, immer noch drinnen zu sein.“

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