GA-Interview vor Kampfabstimmung Brinkhaus will Unionsfraktion nicht spalten

Bonn · Am Dienstag nächster Woche will Ralph Brinkhaus vom Vize zum Chef werden. In einer Kampfabstimmung um den Vorsitz der Unions-Bundestagsfraktion tritt der 50-jährige Ostwestfale gegen Amtsinhaber Volker Kauder an.

 Er will Volker Kauder beerben: Ralph Brinkhaus.

Er will Volker Kauder beerben: Ralph Brinkhaus.

Foto: dpa

Als zentrale Herausforderung für die Politik bezeichnen Sie den Zusammenhalt der Gesellschaft. In den letzten Jahren ist viel kaputt gegangen. Wie wollen Sie die Spaltung der Gesellschaft überwinden?

Ralph Brinkhaus: Das ist eine Gesamtaufgabe unabhängig davon, wer Fraktionsvorsitzender wird. Wir müssen einen neuen Anlauf nehmen, mit denjenigen ins Gespräch zu kommen, die sich von uns abgewandt haben.

Sind die CDU-Kritiker denn noch alle erreichbar? Viele sind ja zur AfD gegangen. Volker Kauder hat gesagt, AfD-Wähler sollten sich schämen, diese Partei zu wählen.

Brinkhaus: Viele Protestwähler kommen aus der Mitte der Gesellschaft. Wir müssen auch mit denen reden, die der CDU den Rücken gekehrt haben, und sie nach ihren Beweggründen fragen. Wir brauchen Empathie. Mein Ziel ist, Vertrauen zurück zu gewinnen.

Wie?

Brinkhaus: Wir müssen mehr zuhören und mehr kommunizieren. Hinter der Frage der Migration stehen auch viele andere Themen: Sorge vor Globalisierung, sozialer Ungerechtigkeit, dem Tempo an Veränderungen und der Digitalisierung. Allein auf die Migration zu schauen, ist also zu kurz gegriffen. Wir müssen unsere Ziele und Lösungsansätze besser formulieren.

Die Parteispitzen wollten mit der Entscheidung, Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen zum Staatssekretär zu befördern, die Koalitionskrise lösen. Nun bricht die nächste über Union und SPD herein, weil dafür SPD-Staatssekretär Gunther Adler gehen muss. Wie sehen Sie das Ganze?

Brinkhaus: Ganz unabhängig davon, wie man zu Herrn Maaßen steht, ist der Ablauf in den letzten Tagen nur noch schwer zu vermitteln.

Welche Zukunftsthemen sind angesichts der Turbulenzen in der Regierung in den vergangenen Monaten sträflich vernachlässigt worden?

Brinkhaus: Sträflich vernachlässigt haben wir sicherlich nichts. Es ist jetzt aber wichtig, dass wir für die im Koalitionsvertrag vereinbarten Zukunftsthemen wie Wohnen, Pflege, Gesundheit und Digitalisierung nachhaltige Lösungen finden und schnell umsetzen.

Wie weit gehen Sie mit Ihrer Empathie, mit diesem Einfühlen in die Motive der Anderen?

Brinkhaus: Wir dürfen uns nicht anbiedern und auch nicht unsere Werte aufgeben. Wir müssen ihnen aber sagen: Wir verurteilen Euch nicht. Wir nehmen Euch ernst. Wir wollen wissen, was Eure Sorgen und Nöte sind. Nur so können wir mit ihnen ins Gespräch kommen. Mit diesem Verständnis können wir die Menschen wieder für uns gewinnen – und natürlich auch, indem wir sie an den richtigen Stellen unterstützen, wie etwa mit dem Baukindergeld.

Von der Spaltung der Gesellschaft zur Spaltung der Unionsfraktion. Sie sind der erste Gegenkandidat von Amtsinhaber Volker Kauder – jemals. Werden die CDU- und CSU-Abgeordneten nach der Vorstandswahl zerrissen sein?

Brinkhaus: Weder Volker Kauder noch ich wollen die Fraktion in zwei Lager spalten. Wir werden das – unabhängig vom Ausgang – danach zusammen hinbekommen und gemeinsam die anstehenden politischen Projekte angehen. Im Übrigen gehen alle sehr demokratisch und respektvoll mit dieser ungewohnten Situation um.

Herr Kauder gilt auch als Zuchtmeister der Fraktion, der die Reihen in Krisen schließen kann, um die Regierung zu stabilisieren. Haben Sie das auch im Kreuz?

Brinkhaus: Ich persönlich habe Volker Kauder nicht als Zuchtmeister wahrgenommen. Die Aufgabe des Fraktionsvorsitzenden ist es, die Fraktion zusammenzuhalten. Wir sind heterogen – von konservativ bis zur linken Mitte; haben aber das gleiche Wertefundament. Diese Vielfalt ist gerade unsere Stärke als Volkspartei. Wir müssen immer wieder Brücken bauen. Wir dürfen uns als Fraktion aber auch einmal die Freiheit nehmen, an der einen oder anderen Stelle eine andere Position als die Regierung zu beziehen.

Ist das jetzt der perfekte Zeitpunkt, dass die CDU-Vorsitzende Angela Merkel allmählich einen Wechsel an der Parteispitze einleitet?

Brinkhaus: Es geht hier jetzt ausschließlich um die Fraktion. Alles andere liegt in den Händen der Parteivorsitzenden, der Generalsekretärin und insbesondere unserer CDU-Mitglieder.

Sind sie enttäuscht, dass sich Merkel für Kauder ausgesprochen hat?

Brinkhaus: Aufgrund ihrer langjährigen Verbundenheit mit Volker Kauder kann ich es gut verstehen, dass sie ihn vorschlägt. Ich hätte es mir anders gewünscht, aber ich bin nicht enttäuscht darüber. Es ist jetzt die große Herausforderung, innerhalb der Wahlperiode einen Prozess in Gang zu bringen, der dazu führt, dass es mit der Union langfristig erfolgreich weitergeht. Das ist die spannende Frage, ob uns das gelingt. In der Partei hat das jetzt Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer angestoßen. Es gibt neue Gesichter in der Bundesregierung. Jetzt geht es darum, wie sich die Fraktion aufstellt.

Ihr Landeschef in Nordrhein-Westfalen, Ministerpräsident Armin Laschet hatte gesagt, die NRW-CDU sei in der Bundespolitik schon gut vertreten, da müsse es nicht auch noch die Fraktionsspitze im Bundestag sein. Das war jetzt auch keine Unterstützung für Sie.

Brinkhaus: Über diese Aussage war die Freude in vielen Teilen der NRW-CDU sehr übersichtlich. Aber wir beide haben das geklärt.

Hält die Bundesregierung bis 2021 durch?

Brinkhaus: Ja. Schon weil wir unseren Koalitionsvertrag vernünftig umsetzen wollen. Dafür brauchen wir noch drei Jahre. Langfristig sollten wir aber nicht auf eine große Koalition setzen. Es gibt auch andere Optionen: Zum Beispiel christlich-liberal wie in NRW, aber auch eine Jamaika-Koalition wäre 2017 eine echte Chance für einen Aufbruch gewesen.

Sie fordern, mehr Zeit zum Nachdenken für Politiker. Was macht die Schnelllebigkeit so gefährlich?

Brinkhaus: In der politischen Kultur ist es eine der gefährlichsten Entwicklungen, dass von uns erwartet wird, quasi binnen Sekunden auf neue Entwicklungen zu reagieren. Wir haben immer weniger Zeit, seriöse Informationen einzuholen, Dinge sacken zu lassen und sich fundiert Gedanken zu machen. Der Qualität von Politik, aber auch der öffentlichen Diskussion täte es gut, wenn wir uns alle ein wenig entschleunigen.

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