Anschlag auf Kirche in Pakistan Bislang wohl schlimmster Angriff auf Christen forderte mehr als 75 Todesopfer

BANGKOK · Das Alter der schwer verletzten Frau ist angesichts der vielen Splitter im Gesicht kaum zu schätzen. Ihr schulterlanges Haar ist blutverklebt. Ein Helfer in weißem Kittel versucht mit der Frau zu sprechen. Sie gestikuliert mit den Armen. Es ist eine einzelne Szene aus einer Terrorattacke, die selbst in dem für religiöse Minderheiten gefährlichsten Land der Welt aus dem brutalen Rahmen fällt.

 Verletzte Christen erhalten im Krankenhaus Nachricht vom Tod ihrer Angehörigen.

Verletzte Christen erhalten im Krankenhaus Nachricht vom Tod ihrer Angehörigen.

Foto: afp

Mindestens 75 Tote und rund 100 überwiegend lebensgefährlich Verletzte, lautet die vorläufige Bilanz des Selbstmordattentats auf die "Pakistan Church" in Peshawar nahe Pakistans Grenze zu Afghanistan. Zwei Männer hatten am Sonntagmorgen vor dem blütenweiß gestrichenen Gotteshaus nahe dem berühmten Kohati Tor der Grenzstadt so lange gewartet, bis der Gottesdienst beendet war.

Als die 600 bis 700 Gläubigen sich gegenseitig grüßten und langsam die Kirche verließen, zündeten die Männer ihre Sprengsätze. Mindestens vier Kinder kamen ums Leben. Unter den Opfern befanden sich außerdem zwei Polizisten. Sie sollten Gläubige und Gotteshaus just vor einem solchen Anschlag schützen.

"Wir leben in einer Gegend, die das Ziel von Terroristen ist", erklärte Peshawars geschockter Polizeichef Sahibzada Anees, "deshalb gab es spezielle Sicherheitsvorkehrungen rund um die Kirche. Wir werden herausfinden, was schief gelaufen ist, sobald die augenblickliche Notsituation vorüber ist." Aber diese Notlage ist nichts Neues für Pakistan.

Die dogmatischen und radikalen Vertreter des Sunnismus stempeln längst jeden Bürger des Landes, der ihnen nicht folgen will, zum Irrgläubigen. Zu den Opfern gehören im 180 Millionen zählenden Pakistan nicht nur Angehörige der gerade mal vier Prozent umfassenden Christen aller Glaubensrichtungen.

[kein Linktext vorhanden]Sie werden entweder bei Anschlägen ermordet oder von Fanatikern der Blasphemie beschuldigt. Vielen landen anschließend im Gefängnis und sogar in der Todeszelle. Aber neben den Christen gehören auch islamische Schiiten zu den religiös Verfolgten in Pakistan. Ärzte und Rechtsanwälte der Glaubensrichtung werden gezielt ermordet.

In der Stadt Quetta starben Hunderte von ihnen bei Bombenanschlägen um die Jahreswende. Nicht einmal sunnitische Sufis, die die Mehrheit der pakistanischen Bevölkerung stellen, sind sicher. Sie stoßen den Fanatikern auf, weil sie Heilige in Schreinen verehren - für Extremisten eine Todsünde, die in ihren Augen Mord rechtfertigt.

Pakistans seit Mai regierender Premierminister Nawaz Sharif verurteilte den Anschlag in Peshawar auf Schärfste. "Terroristen haben keine Religion. Attacken auf unschuldige Leute widersprechen allen Lehren des Islam und aller anderen Religionen", erklärte er. Doch so recht mag ihm in Pakistan niemand diese Empörung abkaufen. Denn schon im Wahlkampf trat Sharif für Friedensverhandlungen mit den Extremisten ein.

Der Gewalt im Land fielen seit 2001 etwa 40.000 Menschen zum Opfer. Unter ihnen befanden sich auch zwischen 3000 und 4000 Soldaten. Bislang hat es allerdings keine Gespräche gegeben, obwohl auch der ehemalige Kricket-Star Imran Khan für solche Verhandlungen plädierte. Seine Partei holte bei den vergangenen Wahlen in der Provinz Khyber-Pakhtunkhwa rund um Peshawar, einer Bastion der Extremisten, die Mehrheit.

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