Interview Bischof Ackermann: "Hape Kerkeling wäre herzlich willkommen"

Der Trierer Bischof Stephan Ackermann über die Heilig-Rock-Wallfahrt, die Missbrauchsdebatte, Papst Benedikt und Hape Kerkeling.

 Der Heilige Rock.

Der Heilige Rock.

Foto: dpa

Heute in 14 Tagen beginnt in Trier die Heilig-Rock-Wallfahrt, zu der das Bistum Hunderttausende von Pilgern erwartet. 500 Jahre, nachdem im Trierer Dom zum ersten Mal der Heilige Rock gezeigt wurde - ein Kleidungsstück, das Jesus bei seinem Kreuzweg als Untergewand getragen haben soll -, wird die Reliquie bis 13. Mai wieder ausgestellt. Mit dem Bischof von Trier, Stephan Ackermann, sprach Bernd Eyermann.

Wissen Sie, ob sich der bekannteste deutsche Pilger Hape Kerkeling ("Ich bin dann mal weg") angemeldet hat?

Ackermann: Bei mir persönlich noch nicht.

Würden Sie sich denn freuen, wenn er käme?

Ackermann: Natürlich, er wäre herzlich willkommen, aber für ihn ist die Strecke nach Trier wahrscheinlich zu kurz.

Was ist das besondere an der Wallfahrt?

Ackermann: Der Blick der Pilger richtet sich nicht wie bei vielen anderen Wallfahrtsorten auf Maria oder einen anderen Heiligen. Anziehungspunkt hier in Trier ist mit dem Heiligen Rock eine Christusreliquie. Wir schauen also auf Jesus Christus selbst. Natürlich ist auch die 500-jährige Tradition der Wallfahrt etwas ganz besonderes.

Die Menschen pilgern zu einem rotbraunen, zerknitterten, brüchigen und zerfurchten Gewand, von dem man nicht einmal weiß, ob es wirklich etwas mit Jesus zu tun hat. Verstehen Sie, dass da Menschen zweifeln?

Ackermann: Man darf Zweifel haben. Wir können nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, dass hier in Trier Teile vom Untergewand Jesu Christi aufbewahrt werden. Aber wir können auch nicht sagen, dass hier sicher nicht Teile des Gewandes Jesu liegen.

Was können Sie denn sagen?

Ackermann: Die Reliquie selbst - verfilzte Wollfasern aus antiker Zeit - ist seit dem Mittelalter immer wieder eingehüllt worden durch kostbare Stoffe, um sie zu sichern. Die ältesten Teile sind an der Innenseite des Rückenteils eingenäht, also nicht sichtbar.

Wie erklären Sie sich, dass die Kirche immer wieder in der Kritik, das Pilgern aber weiterhin hoch im Kurs steht, ja fast schon Eventcharakter hat?

Ackermann: Wir Menschen des 21. Jahrhunderts, von denen viele in klimatisierten Räumen vor Bildschirmen sitzen, ständig Nachrichten aufnehmen und verarbeiten müssen, wir spüren, dass wir zwischendurch immer mal wieder eine Unterbrechung brauchen, in der wir ohne Handy oder Smartphone uns selbst erleben können - geistlich und spirituell, aber auch körperlich, so dass die Füße wehtun.

Eine Wallfahrt als Suche nach Grenzerfahrungen?

Ackermann: Ja. Viele wollen das, um dabei Zeit zu haben, über Dinge nachzudenken, für die im Getriebe des Alltags keine Zeit bleibt. Das spricht auch Menschen an, die nicht kirchlich gebunden sind.

Vor knapp 500 Jahren hat Martin Luther zum Heiligen Rock von "der Bescheißerei zu Trier" gesprochen. Hat es Sie überrascht, dass mit dem EKD-Vorsitzenden und Präses der rheinischen Landeskirche, Nikolaus Schneider, auch die evangelische Kirche zur Wallfahrt aufruft?

Ackermann: Es hat mich sehr gefreut. Nicht nur die Kirchenleitung, sondern auch viele Gemeinden zeigen großes Engagement und setzen sich mit dem für protestantische Christen doch sperrigen Thema "Reliquien" auseinander. Im Übrigen: Auch die orthodoxen Christen und die anderen Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen gestalten die Wallfahrt mit. Sie ist wirklich ökumenisch geprägt.

Wie viele Pilger werden kommen?

Ackermann: Beim letzten Mal waren es rund 700.000. Für die kommende Wallfahrt planen wir für 500.000 Menschen.

Sie haben mal gesagt, die Wallfahrt kann "eine Chance für die Kirche in Deutschland" sein. Worin besteht diese Chance?

Ackermann: Wir hören oft die Kritik, die Kirche beschäftige sich vor allem mit den Strukturen, größeren pastoralen Räumen, den Finanzen oder kirchenpolitischen Themen. Es gebe zu viel Diskussion und zu wenig Spiritualität. Bei der Wallfahrt nehmen wir die Person und Botschaft Jesu Christi bewusst in den Blick. Wir schauen auf die Mitte und den Kern des Glaubens. Und nur wenn wir das tun, finden wir auch die richtigen Antworten auf die anderen Themen. Das ist die Chance.

An welchem Punkt steht für Sie die Kirche in Deutschland?

Ackermann: Wir sind in einer Phase, in der das Erscheinungsbild und die soziale Gestalt der Kirche im Umbruch sind. Das sind massive Veränderungen, die Fragen aufwerfen, zum Beispiel nach dem Christsein heute. Was man als Volkskirche bezeichnet hat, das bricht an vielen Stellen ab, aber ich gehöre nicht zu denen, die sagen, früher war alles besser.

Heißt das für Sie, die Kirche ist gar nicht in einer Krise?

Ackermann: Es gibt auf jeden Fall krisenhafte Momente. Und was wir im Zusammenhang mit der Missbrauchsproblematik gesellschaftlich an Vertrauen und Glaubwürdigkeit verloren haben, das ist eine Krise. Die Kirche ist aber nicht in ihren Fundamenten bedroht.

Erzbischof Zollitsch hat von einer "dienenden Kirche" gesprochen. Was heißt das für Sie?

Ackermann: Jesus sagt: Ich bin gekommen, damit die Menschen das Leben haben und es in Fülle haben. Die Kirche steht im Dienst dieses Auftrags, also im Dienst am Menschen, im Dienst am Leben im umfassenden Sinn.

Und wie passt das zu dem Begriff der Entweltlichung von Papst Benedikt?

Ackermann: Es geht darum, dass wir noch unterscheidbar sein müssen. Wir dürfen nicht nur Sozialunternehmen oder Bildungsanbieter sein. Kirche soll Kirche in der Welt, aber nicht von der Welt sein.

Sie haben erklärt, dass Ihr Bistum bis 2016 dauerhaft 30 Millionen Euro einsparen will. Ist die Kirche zu groß geworden?

Ackermann: Das lässt sich im Nachhinein leicht sagen. Vor 100 Jahren, als hier im Bistum Trier sehr viele Kirchen gebaut wurden, wollten die Menschen ein Gotteshaus in ihrem Dorf haben. Meistens haben sie dafür viel investiert. Das war sehr positiv. Als die Kirchensteuereinnahmen vor 20, 30 Jahren immer weiter stiegen, hat man viele zusätzliche Stellen geschaffen. Aus heutiger Sicht kann man natürlich fragen: War das alles notwendig? Bei manchen Stellen war man sicher zu optimistisch, dass das alles so weitergeht.

Und jetzt müssen Sie erklären, dass der bisherige Standard nicht mehr zu halten ist?

Ackermann: Genau.

Und die Menschen haben ihre Schwierigkeiten damit.

Ackermann: Wenn ich anderes gewohnt bin, ist Veränderung schwer, etwa wenn ich zur nächsten Kirche fahren muss, weil in der eigenen kein Sonntagsgottesdienst mehr stattfindet, selbst wenn es nur drei oder vier Kilometer sind. Da sind viele Emotionen mit im Spiel. Natürlich könnte ich sagen, die Leute fahren auch zum Einkaufen einige Kilometer und helfen den Eltern oder Schwiegereltern dorthin zu kommen. Aber der Supermarkt ist etwas anderes als die ?eigene' Kirche. Ich verstehe das.

Ist der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz mit dem Stand der Aufklärung zufrieden?

Ackermann: Dass wir in den vergangenen zwei Jahren die Leitlinien zur Aufklärung überarbeitet und den Schutz von Kindern und Jugendlichen verbessert haben, eine telefonische Hotline eingerichtet haben, Regelungen für eine materielle Anerkennung getroffen haben und zwei Forschungsprojekte in die Wege geleitet haben, darüber bin ich froh. Das kann sich sehen lassen. Dennoch besteht kein Anlass, sich zufrieden zurückzulehnen. Es gibt weiterhin Enttäuschungen, Bitterkeit und Aggressionen bei Betroffenen. Das lässt mich nicht kalt und ist schmerzlich.

Was fehlt noch?

Ackermann: Wir haben jetzt die Ordnungen und Vorgaben, aber die müssen wir systematisch mit Leben füllen und umsetzen. In den Jugendverbänden, in den Kinder- und Jugendeinrichtungen, in den Schulen.

In den Priesterseminaren?

Ackermann: Selbstverständlich auch dort.

Wie betrachten Sie den Vorwurf, dass aufgrund des Zölibats Männer, die mit ihrer Sexualität Probleme haben, sich öfter für den Priesterberuf entscheiden?

Ackermann: Wenn man bei Kandidaten den Eindruck hat, dass das so ist, dann darf man sie nicht zum Priesteramt zulassen. Zwischen Zölibat und Missbrauch gibt es aber nachgewiesenermaßen keinen ursächlichen Zusammenhang.

Ihnen wird vorgeworfen, dass Sie in Ihrem Bistum Priester, die sich des sexuellen Missbrauchs schuldig gemacht haben, weiter als Geistliche wirken lassen. Warum lassen Sie sie im Dienst?

Ackermann: Ich handele in Übereinstimmung mit den Leitlinien der Bischofskonferenz, die, das möchte ich hier auch nochmal betonen, unter breiter Beteiligung von Experten mit psychiatrisch-psychotherapeutischem und juristischem Sachverstand sowie im Gespräch mit Vertretern von Opferschutzverbänden und im Kontakt mit Mitgliedern des Runden Tisches der Bundesregierung erarbeitet worden sind.

Was bedeutet das konkret?

Ackermann: Danach kann ein Pfarrer oder kirchlicher Mitarbeiter, der sich des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger schuldig gemacht hat, nicht mehr in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen eingesetzt werden. Es ist, wenn überhaupt, nur noch ein eingeschränkter Einsatz unter Auflagen möglich. Ob und wie jemand weiter glaubwürdig als Priester arbeiten kann, wenn er Missbrauchstäter geworden ist, das ist die Frage, der wir uns weiterhin zu stellen haben.

Zahlen, Daten und Fakten zur Heilig-Rock-Wallfahrt

Äußerst selten wird der Heilige Rock gezeigt - im 20. Jahrhundert etwa nur in den Jahren 1933, 1959 und 1996. Entsprechend lang werden die Schlangen sein, in denen die Menschen durch den Trierer Dom zum Rock pilgern. Rund um die Wallfahrt mit täglich fünf festen Gottesdiensten gibt es ein großes Programm - mit Konzerten von Rock bis zu geistlichen Liedern, mit Ausstellungen oder einer Musical-Aufführung (www.heilig-rock-wallfahrt.de). In St. Paulus gibt es täglich Jugendmessen, Workshops und Diskussionen.

Aus vielen Gemeinden des Bistums und darüber hinaus machen sich Wallfahrer mit dem Bus, per Fahrrad oder auch zu Fuß in die älteste Stadt Deutschlands auf. Im Kreis Ahrweiler ist die Gemeinde St. Laurentius hierbei ein Schwerpunkt. Ob es noch freie Plätze bei den Wallfahrten gibt, kann im Pfarrbüro (Tel. 02641/34737) erfragt werden.

Trier freut sich derweil auf die Besucher. Selbst Veranstalter, die eher auf Kulturreisen spezialisiert seien, hätten in diesem Jahr Reisen nach Trier gebucht, sagt Dieter Jacobs vom Presseamt. "Buntes und internationales Publikum wird sich in Trier aufhalten und zu einer positiven Atmosphäre in der Stadt beitragen", fügt er hinzu. Er hofft, dass viele der Besucher in den nächsten Jahren erneut nach Trier kommen, vielleicht das Grab des Apostels Matthias aufsuchen.

Das Bistum gibt nach eigenen Angaben für die Wallfahrt rund drei Millionen Euro aus. Hinzu kämen Personalkosten, wobei sich die Organisation auch auf mehrere Hundert Ehrenamtliche stützen könne, teilte Wallfahrts-Sprecherin Judith Rupp mit. Was die Stadt ausgibt, sei noch nicht zu beziffern, sagte der Stadtsprecher.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort