EU-Russland-Gipfel in Brüssel Beide Seiten gehen behutsam aufeinander zu

BRÜSSEL · Die EU-Spitze wollte mit dem russischen Präsidenten "Tacheles" reden. Wladimir Putin hatte sich im Gegenzug vorgenommen, den Europäern "den Kopf zu waschen". Als der Mann aus dem Kreml nach dem dreistündigen Kurz-Gipfel von Brüssel zusammen mit EU-Kommissionschef José Manuel Barroso und Ratspräsident Herman Van Rompuy vor die Mikrofone trat, gaben sich die beiden Parteien allerdings einsichtig.

Skeptische Gesichter: Präsident Wladimir Putin und EU-Kommissionspräsident Herman Van Rompuy gestern Nachmittag.

Skeptische Gesichter: Präsident Wladimir Putin und EU-Kommissionspräsident Herman Van Rompuy gestern Nachmittag.

Foto: AP

Man sprach von "Missverständnissen", erinnerte an den russischen Schriftsteller Fjodor Dostojewski, der über das Unheil "unausgesprochener Dinge" philosophiert hatte und versprach, dass "wir mehr miteinander reden müssen". Ein Gipfel-Erfolg, der auch ohne Ergebnis zustande kam?

"Wir sollten verstehen, dass Moskau und Brüssel den Ländern der östlichen Partnerschaft helfen können und müssen", zeigte sich sogar Putin einsichtig und wiederholte nahezu gleichlautend, was vor ihm bereits seine beiden europäischen Gesprächspartner festgestellt hatten - sie nannten allerdings die Ukraine beim Namen. Barroso und Van Rompuy verurteilten die Eskalation der Gewalt, die undemokratische Verschärfung der Demonstrationsgesetze in Kiew.

[kein Linktext vorhanden]Zeitweise war man versucht, den Auftritt der drei Staatsführer als Auftrag an die Ukraine zu verstehen, endlich wieder zur Ruhe zu kommen, sich eine vernünftige Regierung zu wählen und sich dann vor allem nicht mehr zwischen dem Kreml und der EU entscheiden zu müssen, weil man auch beide zusammen haben könne.

"Das ist unsere Botschaft", betonte Putin: "Wir tragen alle Verantwortung für die Länder der östlichen Partnerschaft." Moskau und Brüssel wollen nun Experten benennen, die "Missverständnisse" und "offene Fragen" klären. "Europa hat nicht deutlich genug gemacht, dass es Russlands Sphäre nicht stören will", sagte ein hoher Diplomat aus der Putin-Delegation.

"Die Russen mussten sich einsichtig zeigen, um in wenigen Tagen bei den Olympischen Spielen nicht als Diktatoren dazustehen", meinte ein Vertreter der EU-Mannschaft. Nun hat man sich sechs Monate Zeit gegeben, um Mitte des Jahres beim nächsten Gipfeltreffen in Sotschi ein neues Abkommen über strategische Zusammenarbeit zu vereinbaren. Putins Erwartungen sind dabei hoch: "Wir wollen die ökonomische Zusammenarbeit vorantreiben, wir wollen keine Hindernisse für unsere Unternehmen auf dem europäischen Markt", betonte er. Barroso sprach gar vom Traum eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes von Lissabon bis Wladiwostok. "Das geht nicht über Nacht, aber es ist unser gemeinsames Ziel."

Die EU, eingebunden in eine östliche und eine transatlantische Partnerschaft - es sind erste Grundzüge einer strategischen Neuausrichtung, von der beide Seiten sprachen. Mit unterschiedlichen Akzentuierungen: Putin redete nahezu ausschließlich von Wirtschafts- und Energiefragen, die EU-Führungsriege nannte auch die Menschenrechte als zentrales Thema. Russlands Präsident schwieg dazu.

Den Protest der halbnackten Femen-Aktivistinnen hatte er ohnehin nicht mitbekommen. Die waren von den EU-Sicherheitsbeamten schon weggeräumt worden, bevor der Machthaber aus Moskau überhaupt in Brüssel eintraf. Nur einmal erntete Putin höhnisches Gelächter der Zuhörer: Da hatte ihn ein Korrespondent gefragt, ob denn die Milliarden-Kredite mit Kiew auch unter einer neuen, möglicherweise EU-freundlichen Regierung Bestand hätten.

Der russische Präsident hob daraufhin zu einem Loblied auf die Moskauer Außenpolitik an, die "stets und immer vom Respekt der Unabhängigkeit eines anderen Landes getragen war".

Deshalb werde der Kredit "natürlich" nicht zurückgenommen. Das war dann doch zu viel des Eigenlobs. Barroso und Van Rompuy bemühten sich jedenfalls angestrengt, nicht den Kopf zu schütteln.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort