Zapfenstreich für Wulff Begleitet von Protest wurde Wulff aus Schloss Bellevue verabschiedet

BERLIN · Da geht er also. Irgendwohin ins ungefähre Nichts. In ein Leben außerhalb von Politik, die sein Leben nun seit 37 Jahren bestimmt hat, ja, sein Leben war. Was kommen wird? Wer weiß das schon. Schon gar nicht in dieser Abendstunde.

Ein lange nass-kalter Tag, vier Grad über dem Gefrierpunkt. Das Feuer der Fackeln flackert im Wind. Soeben ist eine politische Karriere zu Ende gegangen. "Somewhere over the rainbow" haben die Militärmusiker des Stabsmusikkorps der Bundeswehr gespielt. Einer von vier Titeln, den sich der Bundespräsident außer Diensten, Christian Wulff, zum Abschied von der großen Bühne gewünscht hat.

Eine Bühne, die von Anfang an zu groß für ihn war, wie er gegen Ende seiner neunzehneinhalb Monate als deutsches Staatsoberhaupt tatsächlich einräumen musste. Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen hatte er am 4. Januar bei seinem letzten Versuch, sich von öffentlichen Vorwürfen der Vorteilsnahme und Günstlingswirtschaft zu befreien, noch gesagt, er sei "vom Ministerpräsidenten zum Bundespräsidenten sehr schnell gekommen, ohne Karenzzeit, ohne Vorbereitungszeit. Das ging sehr schnell".

Und es sei eben ein Unterschied, "ob man als Ministerpräsident Akteur ist oder als Staatsoberhaupt den präsidialen Anforderungen genügt". Das Bundespräsidentenamt ein Lehrberuf? Das war neu. Das Land weiß mittlerweile: Wulff hat diesen Anforderungen nicht genügt.

Wulff-Abschied
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Hinter dem Regenbogen

"Somewhere over the rainbow". Irgendwo hinter dem Regenbogen liegt Wulffs Zukunft. Wulff verlässt - sehr unfreiwillig - mit nur 52 Jahren das höchste Staatsamt. 52 Jahre ist viel zu jung, um abzutreten, sich gar entspannt aufs Altenteil zu setzen, erst recht, wenn jemand so für eine politische Karriere gekämpft hat wie Wulff. Wer es vergessen hat: Der CDU-Politiker, beinahe bis zum Schluss als Schwiegermutters Traum beschrieben, weil er doch so nett lächeln kann, brauchte drei Anläufe, um Ministerpräsident in Niedersachsen zu werden.

Andere hätten nach zwei Niederlagen gegen die Wahlkampfmaschine Gerhard Schröder (SPD) aufgegeben. Wulff nicht. 1994, damals erst 34 Jahre alt, und 1998 unterlag er deutlich. Schröder wurde Bundeskanzler. Wulff startete 2003 in Hannover seinen dritten Anlauf. Und gewann. Wer so lange kämpft, gibt nicht freiwillig auf, wofür er gekämpft hat.

Sein steiniger Weg an die Macht war am Ende symptomatisch für Wulffs Umgang mit der Wahrheit, für seine Weigerung, die Dinge vollständig offenzulegen. Er wollte nicht hergeben. Dabei hatte er schon früh in der Affäre um einen Kredit von einem befreundeten Unternehmer-Ehepaar moralisch so viel Kredit verloren, dass er kaum mehr zu retten war. Er hat es nur nicht gemerkt. Realitätsverlust? Wie so oft, war es nicht der Auslöser selbst, sondern der Umgang mit der Affäre, der auch in der Causa Wulff letztlich zum Rücktritt führte. Krisenmanagement: Note sechs minus. Jetzt ist es ein Fall für die Staatsanwaltschaft, die wegen des Verdachts der Vorteilsnahme ermittelt.

Am Donnerstagabend im Licht der Fackeln war Wulff noch einmal auf jener Bühne, auf der er sich wohl gefühlt hatte. Er sagt beim Empfang im Rahmen des Großen Zapfenstreiches für ihn: "Diesen Anlass hatte ich mir für das Jahr 2015 vorstellen können. Nun ist es anders gekommen." Doch sowohl er wie seine Frau Bettina, die in der öffentlichen Wulff-Ehe für den Glamourfaktor sorgte, mussten registrieren, dass zum Abschied noch nicht einmal die Amtsvorgänger Walter Scheel, Richard von Weizsäcker, Roman Herzog und Horst Köhler kommen wollten, so einsam ist es um Wulff geworden. Macht schafft Distanz. Wenn man sie hat. Und erst recht, wenn man sie verliert. Immerhin: Bundeskanzlerin Angela Merkel ist gekommen. Und ein großer Teil ihres Kabinetts.

Wie ein Lippenbekenntnis

Wulff fühlt sich ungerecht behandelt. Wenn er Fehler einräumt, hat sich dies bis zuletzt wie ein Lippenbekenntnis angehört. Bei seinem Rücktritt am 17. Februar formulierte er es so: "Ich habe in meinen Ämtern stets rechtlich korrekt mich verhalten. Ich habe Fehler gemacht, aber ich war immer aufrichtig." Er betont das formal Juristische, obwohl er wissen muss, dass es für das höchste Amt im Staate andere Ansprüche gibt. Moralisch unanfechtbar, in jeder Hinsicht unbestechlich.

Sein zentrales Thema "Migration und Integration" hatte er im Präsidentenamt gefunden, Maß und Mitte nicht. Seine Vorgänger haben sich zum Zapfenstreich drei Lieder gewünscht. Bei Wulff müssen es vier sein. Auch auf den stattlichen Ehrensold von 199.000 Euro jährlich plus Büro plus Mitarbeiter plus Dienstwagen nebst Fahrer auf Lebenszeit will Wulff nicht verzichten. Es steht ihm zu. Rechtlich alles korrekt. Doch genau das ist Wulffs Problem: die Lücke zwischen dem juristisch Korrekten oder Erlaubten und dem moralisch Gebotenen.

Draußen vor Schloss Bellevue blasen Protestanten, Wulff-Gegner und Gelegenheitsspaßmacher in Vuvuzelas, jene lärmenden Blasinstrumente, die schon bei Fußball-Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika Spielern, Trainern und Schiedsrichtern den Nerv geraubt hatten. Die Polizei greift ein. "Schande, Schande"-Rufe der Demonstranten. Internet-Aktivisten hatten zuvor dazu aufgerufen, den Zapfenstreich zu begleiten. Im Park von Schloss Bellevue marschiert wenig später der Große Zapfenstreich ab. Es gibt einen neuen Anfang. Irgendwo hinter dem Regenbogen.

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