Wahl in Niedersachsen Banger Blick Richtung Niedersachsen

Hannover · Am 15. Oktober stimmen die Wähler im Norden über einen neuen Landtag ab. Das Rennen ist völlig offen. Zugleich pausiert der politische Betrieb in Berlin. Die Parteien erhoffen sich ein besseres Blatt im Poker um Koalitionen und Posten.

 Der Landtag in Hannover.

Der Landtag in Hannover.

Foto: picture alliance / dpa

Etwas mehr als eine Woche vor der Landtagswahl blasen Niedersachsens Politiker zur Jagd. Im Visier: der Wolf. Die rot-grüne Landesregierung von SPD-Ministerpräsident Stephan Weil verkündete am Donnerstag eine härtere Linie im Umgang mit „Problemwölfen“. Ganze Rudel solcher für den Menschen gefährlichen Tiere sollen künftig in Ausnahmefällen getötet werden können. Damit muss sich der Wolf jetzt nicht mehr nur vor dem CDU-Spitzenkandidaten Bernd Althusmann in Acht nehmen, der die Jagd auf das durch EU- und Bundesgesetze geschützte Tier für Förster ganz freigeben will.

Wenn Niedersachsen am 15. Oktober einen neuen Landtag wählt, werden dabei auch die Wölfe eine Rolle spielen. Landwirte beklagen immer wieder Angriffe auf ihre Tiere, Bürger fürchten sich, Umweltschützer warnen vor dem Abschuss. Es ist ein emotionales Thema. Ähnlich wie die Schulpolitik, die öffentliche Sicherheit, Flüchtlinge oder die Landesbeteiligung am VW-Konzern – es sind Landesthemen, die die vorgezogene Neuwahl bestimmen. Sie war nötig geworden, nachdem die Grünen-Abgeordnete Elke Twesten Anfang August zur CDU gewechselt war und damit die knappe rot-grüne Mehrheit zu Fall gebracht hatte.

Bundesparteien blicken gespannt nach Hannover

Bang auf das Treiben in Hannover blickt auch das politische Berlin, das noch erschöpft ist vom Bundestagswahlkampf und waidwund wie Union und SPD. Der Ausgang der Landtagswahl wird auch Folgen für die Bundesparteien haben, die vor schwierigen Sondierungsgesprächen stehen oder, wie die SPD, ihre neue Rolle in der Opposition suchen.

In letzter Konsequenz dürfte der niedersächsische Problemwolf also mit darüber entscheiden, ob der Problemwolf der SPD, Martin Schulz, noch eine Zukunft als Parteichef hat.

Zurzeit dürfen sich die Genossen aber Hoffnungen machen. Die Ausgangslage in Niedersachsen ist weit günstiger als vor der Bundestagswahl. Ministerpräsident Weil, ein leise auftretender Jurist, ist populärer als CDU-Herausforderer Althusmann, Personalberater und Hauptmann der Reserve. Dies und auch der Fokus auf Landesthemen im Wahlkampf erklären, warum die Kräfteverhältnisse anders sind als im Bund: In Hannover ist kein großer Verdruss über die Volksparteien zu spüren.

Laut jüngsten ARD-Umfragen liegen SPD und CDU mit 34 Prozent fast gleichauf, Althusmanns monatelanger Vorsprung auf Weil ist dahin. Die Grünen kommen auf 8,5, die FDP auf 8 Prozent. Die Linke würde mit 4,5 Prozent den Einzug in den Landtag verpassen, die AfD liegt mit rund 8 Prozent eher unterhalb der gewohnten Ergebnisse. Die Menschen im Norden stünden treu zu SPD und CDU und seien skeptisch gegenüber politischen Rändern, sagen Wahlforscher.

„Niedersachsen ist weder klassisches CDU- noch SPD-Land“, sagt Althusmann. Er rechne mit einem knappen Ergebnis. Dabei dürfte es weder für eine Fortsetzung der rot-grünen Koalition noch für ein Bündnis aus CDU und FDP reichen – beide Seiten bräuchten einen dritten Partner. Das verspricht interessante Verhandlungen am Wahlsonntag nach 18 Uhr.

Bis dahin halten die Strategen in Berlin die Füße still. Erst mal Niedersachsen abwarten, lautet die Devise – die Wahlkämpfer vor Ort nicht stören und zugleich auf ein besseres Blatt bei den Verhandlungen und Personalrochaden in Berlin hoffen. Wahlen in dem Flächenland haben schon immer besonders in den Bund abgestrahlt, Prominente wie Gerhard Schröder, Frank-Walter Steinmeier, Sigmar Gabriel, Christian Wulff oder Ursula von der Leyen starteten hier ihre Karrieren.

In diesem Jahr ist die Wahl im Norden in den Augen von Parteistrategen zudem eine Art Korrekturmöglichkeit nach der Bundestagswahl. Die SPD könnte mit einem guten Ergebnis ihren Absturz aufhalten. Die CDU hofft auf Linderung nach dem Wahldebakel und auf Stärkung beim Vermessen des Kräfteverhältnisses in einer Koalition mit Grünen und FDP. Die Liberalen und Grünen wiederum müssen einen Dämpfer fürchten. Und die AfD, die vor Kraft kaum laufen kann, muss laut mancher Umfragen sogar um den Einzug in den Landtag zittern.

Kurz vor der Wahl holen sich die Kandidaten in Niedersachsen nun prominente Unterstützung dazu. Für Althusmann trommelt Kanzlerin Angela Merkel bei fünf Auftritten. Schulz tritt nur zwei Mal für Weil auf. Am Mittwochabend warb er in Cuxhaven für seinen Parteifreund – und für sich selbst: „Ich habe die SPD selten so geschlossen gesehen“, rief Schulz. Der SPD-Chef dürfte eine weitere Pleite nach dem Saarland, Schleswig-Holstein, NRW und dem Bund nur schwer politisch überleben.

Spannend wird, wie sich die Parteien in Hannover zu Bündnissen finden. Rechnerisch möglich wären – Stand jetzt – eine große Koalition, ein Jamaika-Bündnis aus CDU, Grünen und FDP oder eine Ampel aus SPD, FDP und Grünen – was der Spitzen-Liberale Stefan Birkner aber nicht will. Denkbar wäre auch Rot-Rot-Grün, sollte die Linke in den Landtag kommen. Dazu wollte sich Weil nie festlegen.

Fall Twesten belastet Verhältnis zwischen den Parteien

Doch Mathematik ist das eine – persönliche Spannungen sind das andere. Das Verhältnis zwischen CDU, SPD und Grünen gilt als schwer belastet. Das liegt nicht zuletzt an der Abgeordneten Twesten, die von den Grünen zur CDU gewechselt war. Dazu gibt es nun zwei Versionen: Die CDU und Twesten selbst erzählen von einer mit sich ringenden Abgeordneten, die sich von ihren eigenen Leuten und von Weil gemobbt fühlte – und deshalb nicht anders konnte, als überzulaufen. Die andere Seite sieht dagegen finstere Hinterzimmer-Intrigen am Werk. Die CDU habe Twesten zu sich gelockt, um Rot-Grün zu torpedieren.

Auch die Aufregung um Weils Rolle bei Volkswagen belastet die Beziehungen zwischen CDU und SPD. Als Ministerpräsident, der qua Amt Mitglied im VW-Aufsichtsrat ist, schickte Weil seine Regierungserklärung vorab an den Konzern zur Durchsicht. Die Presse bekam davon Wind, der Skandal war groß. Die SPD vermutet eine gezielte Kampagne des politischen Gegners. Folgerichtig bezeichnet Weil eine große Koalition als „ex-trem unwahrscheinlich“.

Aber auch zwischen CDU und Grünen, mögliche Partner einer Jamaika-Koalition, läuft es nicht gerade harmonisch. Anders als in Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg gibt in Niedersachsen vor allem der linke Flügel den Ton an. Als „schwarz-gelbe Hetzer“, beschimpfte der grüne Agrarminister Christian Meyer kürzlich CDU und FDP. Das sei „Gauland-Rhetorik“, feuerte Althusmann zurück, in Anspielung auf den AfD-Vize Alexander Gauland.

Wie auch immer die Wahl ausgeht – es ist ungemütlich geworden im Norden. Nicht nur für den Wolf.

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