Nach Trumps Auftritt in Europa Zeitenwende zwischen EU und den USA

Die Bundesregierung betont nach dem Nato-Treffen und dem G7-Gipfel die Bedeutung der transatlantischen Beziehungen. Ein Neustart mit mehr Eigenständigkeit der EU steht dennoch bevor.

 Kein Bekenntnis zur Beistandspflicht: US-Präsident Donald Trump bei der Nato. Neben ihm Jens Stoltenberg, Generalsekretär der Allianz.

Kein Bekenntnis zur Beistandspflicht: US-Präsident Donald Trump bei der Nato. Neben ihm Jens Stoltenberg, Generalsekretär der Allianz.

Foto: AFP

Ausgerechnet Angela Merkel, für die Amerika als junge Frau in der DDR der Sehnsuchtsort war, erklärt die Verlässlichkeit in den Beziehungen zwischen den USA und Europa für beendet. Für Merkel, die auch im Bierzelt nicht die Kontrolle über ihre Worte verliert und die Vertraute zu Beginn ihrer Amtszeit als „transatlantische Romantikerin“ wahrnahmen, sind die Äußerungen vom Wochenende bemerkenswert.

„Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen“, sagte Merkel bei einem gemeinsamen Bierzelt-Auftritt mit CSU-Chef Horst Seehofer. In diese Richtung äußerte sich Merkel in den vergangenen Monaten im Lichte des Brexit und der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten schon mehrfach. Überraschend aber ihre Ergänzung: „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei, das habe ich in den letzten Tagen erlebt.“

Diese Worte waren auf den verkorksten G7-Gipfel gemünzt. Die G7 sind die Gruppe der Industriestaaten, über die Merkel stets sagte, sie seien in erster Linie eine Wertegemeinschaft. Erstmals im Kreis dieser befreundeten Staaten gab es ein Abschlusspapier, in dem Differenzen offen benannt werden mussten.

Trump, der am Klimawandel zweifelt, wollte kein Bekenntnis zum Pariser Klimaabkommen ablegen. Noch in dieser Woche will er die Welt wissen lassen, ob er aus der globalen Vereinbarung für gemeinsamen Klimaschutz ausscheren wird.

Merkel ist „zutiefst überzeugte Transatlantikerin“

Dass der deutschen Kanzlerin gegenüber Trump der Geduldsfaden gerissen ist, wurde weltweit mit großer Aufmerksamkeit aufgenommen. Viele europäische Kommentatoren sehen die transatlantische Allianz am Ende. In den USA machten die Trump-Gegner den Präsidenten dafür verantwortlich, während seine Anhänger auf Merkels „Dummheit“ schimpften. Die französische Zeitung „Le Monde“ stellt fest, Deutschland sei in Wirklichkeit „tief bestürzt“, denn es habe immer auf die Amerikaner und die Briten gesetzt.

Die Bundesregierung bemühte sich am Montag, den Eindruck zurückzuholen, Merkel kehre den transatlantischen Beziehungen den Rücken. Gerade weil diese so wichtig seien, sei es auch richtig, Differenzen ehrlich zu benennen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert. Er nannte Merkel eine „zutiefst überzeugte Transatlantikerin“.

Mehr europäische Eigenständigkeit

Der CDU-Außenexperte Norbert Röttgen betonte die Notwendigkeit der transatlantischen Beziehungen über die Ära Trump hinaus. Es gebe weiterhin eine tiefgehende Werte- und Interessenübereinstimmung zwischen den USA und Europa, sagte Röttgen. „Trump ist nicht die USA, sondern er ist nur der gegenwärtige Präsident.“

Ähnlich wie Merkel setzt Röttgen auf mehr Eigenständigkeit der Europäer: „Wir müssen in diese Allianz mehr europäische Einheit, mehr Willen und mehr Handlungsfähigkeit einbringen – Deutschland allen voran, weil wir in Europa eine besondere Stellung haben, die besondere Verantwortung bedeutet.“ Als ein mögliches gemeinsames transatlantisches Projekt nannte er die Friedensbemühungen im Nahen Osten. „Da sollten die Europäer mal einen Vorschlag machen.“

Skeptischer sieht Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) die europäisch-amerikanischen Beziehungen. „Wer den Klimawandel durch weniger Umweltschutz beschleunigt, wer mehr Waffen in Krisengebiete verkauft und wer religiöse Konflikte nicht politisch lösen möchte, der bringt den Frieden in Europa in Gefahr“, sagte Gabriel unserer Redaktion. Die kurzsichtige Politik der amerikanischen Regierung stehe gegen die Interessen der Europäischen Union.

Stabilität sichern und verteidigen

„Wenn wir Europäer heute dem nicht entschlossen entgegentreten, dann werden sich die Migrationsströme nach Europa noch weiter vergrößern. Wer dieser US Politik nicht entgegentritt, macht sich mitschuldig“, erklärte er. Es ist nicht der erste Emanzipationsschritt, den Deutschland gegenüber den einst als „großer Bruder“ gerühmten USA unternimmt. Auch 2002 waren es Wahlkampfzeiten, als der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder der Bush-Administration ein „Nein“ zum Irak-Krieg entgegenhielt.

Auch in der Europäischen Union stehen die Zeichen inzwischen auf mehr Eigenständigkeit. Die deutschen Vertreter im Europa-Parlament dringen insbesondere auf eine bessere gemeinsame Sicherheitspolitik innerhalb der EU. „Jahrzehntelang haben die USA unsere Stabilität subventioniert, wir haben uns darauf verlassen, dass sie für uns im Ernstfall schon die Kartoffeln aus dem Feuer holen“, sagte Vize-Parlamentspräsident Alexander Graf Lambsdorff (FDP).

Diese Zeiten seien vorbei. Jetzt müsse Europa von einem Konsumenten zu einem Produzenten von Stabilität werden. Ähnlich äußerte sich der Chef der Europäischen Volkspartei im EU-Parlament, Manfred Weber (CSU): „Europa muss künftig in der Lage sein, sich selbst zu verteidigen. Wir Europäer haben uns zu lange an der Brust der Amerikaner ausgeruht.“

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